Für Lisa Stoll ist es wie ein stärkendes, lieb gewonnenes Ritual am Ende eines Arbeitstages: Es beginnt damit, dass sie in ihren bronzefarbenen Wagen steigt. «Lisa Stoll fährt Suzuki», steht gross auf der Heckscheibe des gesponserten Vitaras mit Schaffhauser Nummer.

Von ihrem Arbeitsort in Wiedlisbach fährt sie einige Dörfer weiter Richtung Solothurn und parkiert unterhalb eines Wäldchens bei Riedholz. Nach kurzem Fussmarsch packt sie ihr Instrument aus und wenig später ertönen die unverkennbaren Töne eines Alphorns neben dem abendlichen Konzert der Vögel.

Abschalten und Kraft tanken

«Ich gehe oft mit meinem Instrument in die Natur, auch an abgelegene Plätze», sagt Lisa Stoll. Da sich das Alphorn zerlegen lässt und nur etwa fünf Kilogramm wiegt, kann sie das gut drei Meter lange Instrument  problemlos tragen. «Es ist mehr als Hinstehen und üben. Dabei kann ich abschalten und Kraft tanken.» 

Swing und Alphorn in Japan

Kraft, die Lisa Stoll gebrauchen kann. Sie ist Alphorn-Solistin und hat derzeit praktisch jedes Wochenende einen Auftritt. Erst kürzlich war sie eine Woche in Japan unterwegs, gemeinsam mit dem bekannten Jugendmusikorchester «Dai Kimotos Swing Kids». Die Formation trat unter anderem in Osaka, Kobe und in Kyoto auf.

Das Alphorn ist in Japan kein unbekanntes Instrument. «Es gibt sogar einen Alphornclub mit 2000 Mitgliedern», erzählt Lisa Stoll. «Um dort aufgenommen zu werden, muss man sein Instrument selber bauen.»

Swing und Jazz zum Alphorn? Passt das? Geht das? Für Lisa Stoll ist das keine Frage. «Das Alphorn ist mehr als ein simples Rohr, in das man einfach reinbläst. Klassik, Jazz, Pop, Blues, man kann fast alles damit spielen. Vor zehn Jahren kannte man diese Vielfalt noch kaum. Ich war damals eine der ersten, die damit begonnen hat.»

Frühe Alphorn-Begeisterung

Vor zehn Jahren war Lisa Stoll gerade mal 13 Jahre alt und lebte mit ihrer Familie in Wilchingen SH im Klettgau. Bereits seit ihrem achten Lebensjahr spielte sie Cornet, mit zehn Jahren entdeckte sie das Alphorn für sich.

Innert kurzer Zeit lernt sie das Instrument so virtuos zu spielen, dass sie im Jahr 2009 den Nachwuchswettbewerb der TV-Sendung «Musikantenstadl» gewinnt. Schon wenige Monate später produziert sie mit den Volksmusik-Profis Carlo Brunner und Alex Eugster ihre erste CD.

Gefragte Solistin

Lisa Stolls Begeisterung für das Alphorn hielt an, ihr Können, ihre Vielseitigkeit und ihr Repertoire machen sie zu einer gefragten Musikerin. «Dieses Jahr kamen so viele Anfragen für Engagements, dass ich nicht alle annehmen konnte.»

Denn beruflich setzt Lisa Stoll nicht nur auf die Musik. Nach der Matura legte sie erst ein Zwischenjahr ein, besuchte eine Sprachschule und reiste durch die Welt. Dann arbeitete sie neben ihren Musik-Engagements im Service. 

Zweites Standbein

Inzwischen steckt sie mitten im Studium an der höheren Fachschule für Tourismus in Samedan. Ein Praktikum im Rahmen der Ausbildung verschlug sie auch in den Kanton Solothurn, zur Konzertagentur Obrasso.

«Räume reservieren, Musiker betreuen, Programme planen und mehr: Hier kann ich überall reinschnuppern und mithelfen. Das gefällt mir, denn ich kann mir vorstellen, später einmal im Eventbereich tätig zu sein.» 

Während des Praktikumsjahrs hat sich die Musikerin in Solothurn eine kleine Wohnung gemietet, wohnt erstmals nicht mehr bei Ihren Eltern, die in Wilchingen einen Landwirtschaftsbetrieb mit Mutterkühen und Ackerbau betreiben.

Nachfolge gesichtert

Lisas jüngere Schwester Tina hat sich für eine Bauernlehre entschieden und wird den Betrieb wohl später einmal übernehmen. «Das ist für mich eine sehr schöne Vorstellung. Der Hof bleibt der Familie erhalten und ich kann immer wieder mal in die alte Heimat.»

Durch die Ausbildung und die vielen Engagements sind die Besuche in Wilchingen seltener geworden. Und dann ist da auch noch Freund Didier, Trompeter und aus dem Wallis.

Doch dem Klettgau ist Lisa Stoll nach wie vor sehr verbunden und sie trägt an ihren Auftritten stolz die Schaffhauser Sonntagstracht. «Das gehört zu mir.»

Verbunden mit der Volksmusik-Szene

Zum Volkstümlichen und zur Volksmusik kam Lisa Stoll erst übers Alphornspielen. «Volkstümliche Musik hörte bei uns in der Familie niemand. Die ist in der Region auch nicht sehr verbreitet.»

Längst fühlt sie sich mit der Musik und der Szene sehr verbunden. «Die Musiker arbeiten mit sehr viel Freude und Engagement, es ist immer eine gute Stimmung.» Die Volksmusik sei ein Schweizer Kulturgut. «Sie gehört zu unserem Land.»

Die archaische Seite

Trotzdem möchte sie mit ihrem Instrument auch andere Stilrichtungen ausprobieren. «Es reizt mich, das Alphorn in all seinen Varianten zu zeigen. Die verschiedenen Klangfarben. Auch seine archaische Seite.»

Jazz sei nicht so ihr Fall, aber Klassik interessiert sie sehr. «Es gibt Komponisten, die haben Musik speziell fürs Horn geschrieben, zum Beispiel Mozart oder die Schweizer Jean Daetwyler und Carl Rütti.»

Letztes Jahr spielte Lisa Stoll mit dem Symphonieorchester in der  Berliner Philharmonie. Sie habe auch schon Filmmusik mit dem Alphorn intoniert. Oder in der Schweizer Botschaft in Sri Lanka an einem 1. August für geladene Gäste gespielt.

«Ich reise sehr gerne. Am liebsten, wenn ich Kontakt zur einheimischen Bevölkerung habe und vielleicht sogar mit ihnen Musik machen kann.» 

Eigener Abend im KKL

Inzwischen ist die Schaffhauser Alphorn-Solistin so bekannt, dass sie nächsten März im KKL, dem renommierten Kultur- und Kongresszentrum in Luzern, einen eigenen Abend mit Gästen bestreiten wird: «Lisa Stolls Musikantentreff».

«Ich habe vier Musikergruppen eingeladen und führe durchs Programm. Ich möchte das Alphorn in verschiedenen Kombinationen zeigen und zu jeder Formation eine Geschichte erzählen.» Schon aufgeregt? Lisa Stoll zuckt die Schultern. «Ich glaube, ich bin soweit.» 

Das Alphorn erlebe gerade einen Boom, weiss Lisa Stoll. Es kämen viele junge Leute an die Konzerte. Die rund 20 Alphornbauer im Land seien alle gut ausgebucht.

Und sie selbst erhalte regelmässig Post von Mädchen, die das Instrument lernen und ganz begeistert sind. «Ihnen ein Vorbild sein zu dürfen, ist doch das Schönste.»

Ein Faible für alte Traktoren

Neben der Alphornmusik hat Lisa Stoll ein weiteres Hobby, ihren Kramer Traktor aus dem Jahr 1954. Mit dem macht sie gerne eine Ausfahrt, wenn sie in Wilchingen ist. Ein Nachbar hatte das Gefährt Lisa Stolls Vater vermacht. «Der Traktor stand aber jahrelang nur herum.

Als ich mit 14 die Traktorenprüfung machen durfte, habe ich ihn dann gemeinsam mit meinem Vater restauriert.» Von Motoren verstehe sie nicht viel, winkt sie lachend ab. «Ich weiss aber, wie die einzelnen Teile heissen und wo sie hingehören.»

Ihr 10-jähriges Bühnenjubiläum feiert sie daher in Wilchingen mit «Dampf & Diesel», einem Event mit Volksmusik, Oldtimer-Traktoren und Dampfmaschinen.

Erwartet werden Traktoren aus der ganzen Schweiz und bis zu 10 000 Leute. «Ich habe Spass an den alten Traktoren und Musik ist mein Ein und Alles. Mein Jubiläum auf diese Art zu feiern, freut mich riesig.»

Weitere Informationen:

www.lisastoll.ch