Hof Narr» steht auf einem Schild beim Eingang des Landwirtschaftsbetriebs im zürcherischen Hinteregg. Darauf zu erkennen ist eine Gestalt, die mit ihrer Narrenkappe mit zwei Glöckchen am Ende der beiden Eselsohren an Till Eulenspiegel erinnert, umgeben von verschiedenen Tierarten.

Die Idee des Narren passt gut zum Lebenshof von Sarah Heiligtag und Georg Klingler. «Eines Tages kam mir der Gedanke, dass der Hofnarr früher als einziger dem König die unverblümte Wahrheit sagen durfte», sagt Sarah Heiligtag. Auch der Zusammenhang mit Till Eulenspiegel verbildlicht die Idee des bio-veganen Hofes bestens: Er soll der Konsumgesellschaft den Spiegel vorhalten und Menschen dazu anregen, sich selber kritische Fragen zu stellen.

Unsichtbare Schweine

Die Idee, auf dem 5,5 Hektar grossen Betrieb verschiedene Tierarten zu halten, entstand nach und nach. Klar war für Sarah Heiligtag von Anfang an einzig, dass Schweine dabei sein sollten. «Obwohl zahlreich vertreten, sind sie in der Schweiz kaum sichtbar. Schweine werden deshalb häufig stark unterschätzt», sagt die Hofnärrin.

Wichtig war dem Paar, dass die Zusammensetzung der Tiere zum Betrieb und dessen Gegebenheiten passt, und dass sie auch vom pädagogischen Aspekt her Sinn macht, denn Sarah Heiligtag unterrichtet Schulklassen in Ethik und Nachhaltigkeit. Deshalb besteht die 80-köpfige Tierbande aktuell aus Schweinen, Ziegen, Pferden, Hühnern, Enten und Kaninchen – fast alle von ihnen wurden vor dem Schlachthof gerettet oder konnten einer nicht-tiergerechten Haltung entkommen. Zum Hof Narr gehört zudem der Betrieb «zuKUHnft» im nahen Wald ZH, ein ehemaliger Milchbetrieb, der ebenfalls auf Lebenshof umgestellt hat und 30 Hektaren umfasst.

2013 konnte Familie Heiligtag den heutigen Hof Narr in Pacht übernehmen. Diesem Schritt ging ein langer Prozess voraus. Sarah Heiligtag verbrachte als Kind viel Zeit bei ihren Grosseltern in Norddeutschland in einem bäuerlichen Umfeld. Die Liebe zu den Tieren und den Bezug zu naturnah produzierten Lebensmitteln bekam sie von ihren Eltern mit auf den Weg. Sie haben immer auf eine vegetarische Lebensweise und biologisch produzierte Lebensmittel geachtet.

Erlebbare Ethik

«Mein Vater ist Onkologe und verzichtete unter anderem aus gesundheitlichen Gründen auf Fleisch. Von meiner Mutter habe ich ein grosses Herz für Tiere mitbekommen», erzählt sie. Sarah war schon früh in Tierrechtsorganisationen aktiv und entschied sich später zu einem Philosophie-Studium mit dem Schwerpunkt Umweltethik. Danach unterrichtete die heute 39-Jährige an der Universität Ethik.

Dabei störte sie immer mehr, dass viele Themen, die diskutiert wurden, im Klassenzimmer nicht erlebbar waren. Sie wollte, dass diese Themen nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz ihrer Studenten erreichte. Gleichzeitig machten ihr und ihrem Mann Georg, der an der ETH Umweltnaturwissenschaften studiert hat, die Übernutzung unseres Planeten und dessen Zukunft zunehmend Sorgen. Aus dieser Verzweiflung heraus wuchs allmählich die Idee eines nachhaltigen bio-veganen Betriebs.

Ausbildung zur Landwirtin

Sarah hatte zwar bereits in Irland landwirtschaftliche Erfahrung gesammelt, aber diese reicht nicht aus, um einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen zu können. Deshalb absolvierte sie in Basel berufsbegleitend die Ausbildung zur Landwirtin. Nach Abschluss der Ausbildung ergab es sich, dass die damaligen Pächter des heutigen «Hof Narr» den Betrieb aufgeben wollten. Sarah Heiligtag und ihr Mann Georg bewarben sich mit ihrem Konzept für den Hof – und es klappte. Die Hofübernahme fiel mit der Geburt von Sohn Nils zusammen.

«Ich glaube, wenn etwas stimmig ist, dann kommt auch die richtige Unterstützung, so waren plötzlich viele tolle Menschen da, die mit anpacken wollten», freut sich Sarah Heiligtag. Auch jetzt sind 15 frei-willige Helfer oder «Narren» regelmässig auf dem Hof im Einsatz.

Dazu kommen Freiwillige, die sporadisch bei Placken- oder Heu-Einsätzen helfen. Der Verein «Hof Narr» wurde zur Unterstützung der geretteten Tiere gegründet und wird ausschliesslich über Patenschaften getragen. Er ist finanziell unabhängig vom Landwirtschaftsbetrieb.

Gewaltfreiheit vermitteln

Mit der Übernahme des Hofes eröffnete sich für Sarah endlich die Möglichkeit, Schulklassen zu unterrichten. Bei den Unterrichtseinheiten geht es ihr vor allem um die Gewaltfreiheit gegenüber Menschen, Tieren und der Natur. Der Hof Narr funktioniert nach dem Prinzip «Kein Mensch oder Tier soll für ein Lebensmittel leiden».

Sarah Heiligtag regt die Schulklassen an, selber Fragen zu stellen und kritisch zu hinterfragen, wo unsere Lebensmittel und andere Konsumgüter herkommen. «Ich gebe nicht einfach meine Werte weiter oder drücke diese jemandem auf», sagt die Ethikerin.

Ihr Unterricht steht grundsätzlich allen Schulklassen offen, doch muss sie sich als Mutter zweier Kleinkinder die Zeit etwas einteilen. Sarah hat bereits während ihres Studiums an der Ethikschule in Basel unterrichtet und konnte dort viel Erfahrung sammeln.

«Das Wichtigste beim Unterrichten ist für mich, alle Schülerinnen und Schüler wahrzunehmen und auf deren Bedürfnisse einzugehen. Auffällige oder aggressive Schüler spanne ich oft als Assistenten ein, um sie besser in die Gruppe zu integrieren», sagt sie. Manche Klassen arbeiten zuerst zwei Stunden auf dem Hof mit; körperliche Arbeit, welche die meisten von ihnen nicht kennen. «Das ermöglicht es ihnen, anzukommen. Dann setzen wir uns zusammen und besprechen verschiedene Themen». Das vegane Mittagessen wirft abermals Fragen auf.

Nachhaltigkeit als oberstes Ziel

Eine nachhaltige Lebensweise ist für Familie Heiligtag/Klingler selbstverständlich. Sie wirft keine Lebensmittel weg, verzichtet wo möglich auf Plastik und fliegt schon lange nicht mehr in die Ferien. Das alles gehört für sie aus Überzeugung dazu. Kritik, dass sie ihre mittlerweile zwei Kinder vegan ernähren, erlebt das Paar kaum.

«Die Leute kennen unser ganzheitliches Denken und wissen, dass wir vor allem anderen möchten, dass unsere Kinder gesund und zufrieden aufwachsen. Unsere grösste Sorge gilt ja der Zukunft der Kleinen. Wer kritisch eingestellt auf den Hof kommt, ist danach meist besänftigt und inspiriert», sagt Sarah Heiligtag. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass sie Menschen offen begegnen und niemanden für seine Verhaltensweisen anklagen.

Was heisst «Tiere nutzen»?

Der Familie geht es nicht etwa darum, die Landwirtschaft abzuschaffen, im Gegenteil. «Aber ich finde es wichtig, sich zu überlegen, wie sie in Zukunft aussehen soll und kann», sagt die Landwirtin.
Am Herzen liegt Sarah Heiligtag dabei eine gewaltfreie Landwirtschaft. So findet sie es nicht vertretbar, dass Kälber nach der Geburt von ihren Müttern getrennt werden. «Ich bin der Meinung, dass man Tiere grundsätzlich nicht nutzen sollte. Wir sind darauf nicht angewiesen. Tiere haben dieselbe Lebensberechtigung wie wir Menschen», sagt sie.

Ihr ist dabei bewusst, dass «Nutzung» ein weiter Begriff ist. So «nutzt» die junge Familie zum Beispiel ihre Enten, um Schneckenschäden vorzubeugen, oder düngt das Feld mit dem Mist, der von den Tieren anfällt. Doch für Sarah Heiligtag und Georg Klingler ist ihre Lebensweise ein erster Schritt zu einer «fürsorglichen, friedlichen und nachhaltigen Landwirtschaft» und zu einer «Rückeroberung der eigenen Freiheit. Eine Freiheit voller Empathie für andere Lebewesen.»

Weitere Informationen:
www.hof-narr.ch