"Ganz ruhig, es gibt keinen Grund zur Aufregung. He du, hiergeblieben. Ja, mit den Flügeln flattern darfst du, wenn dir das Spass macht.»

Mit ruhiger Stimme spricht Andrea Aeppli auf ihre Gänseschar ein. Die Tiere sind verunsichert durch die Fotografin, die mit der Kamera vor dem Gesicht vor ihnen in die Hocke geht. Sie schnattern aufgeregt und recken die Hälse.

Eigener Landwirtschaftsbetrieb

«Sie versuchen abzuschätzen, was die Frau will und warum wir sie bei ihrer Nachmittags-Siesta gestört haben», schmunzelt Andrea Aeppli. «Aber keine Angst, angriffig sind sie nicht.»

Andrea Aeppli ist Landwirtin mit eigenem Betrieb im zürcherischen Embrach. Zu ihrem 30-Hektaren-Hof am Waldrand oberhalb des Ortes gehören 17 Mutterkühe und ein – zeugungsunfähiger – Stier, acht Pferde, fünf Truten, drei Lamas, zwei Hunde, sieben Hühner und eine Schar von 30 Gänsen.

Weidegänse: Start mit 20 Gösseln

Genauer gesagt: Weidegänse. «Ich hörte vor fünf Jahren erstmals von diesem Projekt und bestellte für die Saison 2014 spontan 20 Gössel. Seither gehören sie dazu.» Als die Jungtiere kamen, sei sie von Beginn an «hin und weg» gewesen, erzählt Andrea Aeppli.

«Dabei konnte ich bis dahin mit Geflügel rein gar nichts anfangen. Ich dachte dabei immer an Hühner, die einem in den Finger picken. Da hatte ich als Kind schlechte Erfahrungen gemacht. Aber mit den Gänsen war es ganz etwas anderes.»

Weidegänse: Gras als Hauptnahrungsmittel

Im Gegensatz zu herkömmlichen Mastgänsen ernähren sich Weidegänse vorwiegend von Gras. Sie dürfen sich tagsüber auf grossen, eingezäunten Weiden frei bewegen und dort ihr Futter suchen.

Als Wassergeflügel brauchen sie zudem Zugang zu einer Schwimmgelegenheit. Die Nächte verbringen die Gänse in einem Stall, geschützt vor Fuchs und Marder.

«Gegen Abend weiden sie meist ganz hinten auf ihrer Wiese, fast beim Waldrand. Doch wenn ich sie mit einer Glocke rufe, watscheln sie brav zum Gattertor hinunter. Sie wissen, dass im Stall noch ein Getreide-Leckerli auf sie wartet.» 

Hof von den Eltern übernommen

Andrea Aeppli hat den Hof vor drei Jahren von ihren Eltern Elisabeth und Hansueli Aeppli übernommen. Sie habe immer Landwirtin werden wollen, trotz guter Noten sei das Gymnasium daher für sie nie ein Thema gewesen.

«Ich bin hier sehr verwurzelt. Ich wollte nie weg.» Das 1. Lehrjahr konnte sie auf dem elterlichen Betrieb absolvieren, anschliessend verschlug es sie ins Luzernische.

«Ich wollte damals nie und nimmer auf einen Hof mit Kindern», erinnert sie sich lachend. «Doch dann kam ich zu einer Bauernfamilie mit  fünf Kindern – und es war eine super Zeit.»

Traumjob Landwirtin

Landwirtin sei bis heute ihr Traumjob. Als Frau, die einen Landwirtschaftsbetrieb führe, sei sie aber immer ein wenig die Exotin. «Meine männlichen Berufskollegen reden untereinander viel über Maschinen und das Land. Mich interessiert anderes.»

Noch arbeiten ihre Eltern tatkräftig mit. Doch der Arbeitsaufwand auf dem Hof soll so gestaltet werden, dass sie ihn als Frau alleine bewältigen kann. «Mein Freund ist Plattenleger und mit der Landwirtschaft noch nicht so vertraut. Er unterstützt mich aber, wo er kann.»

Ein wichtiger Entlastungsschritt war, von Milchkuh- auf Mutterkuh-Haltung umzustellen. Kein einfacher Entscheid. «Unsere Holsteiner gehörten fast zur Familie. Es fiel uns schwer, sie wegzugeben. Die beiden ältesten habe wir behalten.» 

Freude an den Tieren 

Neben Gänsen, Truten und Mutterkühen gehört Hippotherapie zu Andrea Aepplis Angebot. Sie hat ihre drei Pferde für das therapeutische Reiten ausgebildet und begleitet die Stunden als Pferdeführerin.

Selber sitzt sie am liebsten ohne Sattel auf dem Pferderücken. «Ausritte sind nicht so mein Ding. Mich interessiert mehr, wie man das Pferd sanft mit dem Körper lenken kann, zum Beispiel mit Gewichtsverlagerung.»

Weidegänse sind nicht betreuungsintensiv

Die Gänse haben sich mittlerweile an die fremden Menschen auf ihrer Weide gewöhnt. Sie planschen unbeschwert im Wasser herum, tauchen unter, vergnügen sich mit Unterwasser-Rollen. «Es macht einfach Spass, sie zu beobachten.»

Zudem sei der Aufwand für die Gänsebetreuung  klein, die Tiere passen gut zu Andrea Aepplis Betriebskonzept. «Ich lasse sie morgens raus, wechsle das Wasser in den kleinen Becken, fülle die Futterstation. Am Abend locke ich sie wieder in den Stall.»

Weidegänse: Acht Monate auf dem Hof

Die Gänse leben jeweils etwa acht Monate auf dem Betrieb. Ihr Wohlergehen ist Andrea Aeppli vom ersten Tag an ein Anliegen.

Als die Gössel geschlüpft seien, erzählt sie, sei ihr Vater selbst zur Ausgabestelle in der Ostschweiz gefahren, statt die Tiere liefern zu lassen. «Er hat die ganze Fahrt im überhitzten Auto geschwitzt, nur damit die Tiere ja nicht kalt haben.» 

Wichtig, wie die Tiere gehalten werden

Wenn sie dann die Gänse im Dezember zum spezialisierten Geflügelschlachthof nach Amlikon fährt, lasse sie das keineswegs kalt. «Aber auch ich esse Fleisch. Wichtig ist, wie die Tiere bis zu ihrem Tod gehalten werden. Mir liegt am Herzen, dass unsere Gänse ein gutes Leben haben.» 

Nach dem Schlachten werden die Gänse gerupft, ausgenommen und vakuumiert. Das Fleisch einer ganzen Gans reicht für sechs bis acht Personen.

Die Nachfrage sei gut. «Ich habe viele Stammkunden. Mir gefällt, dass ich die Leute kenne. Ich weiss, sie schätzen es, wie wir die Gänse aufziehen.» Auch die Qualität des Fleisches werde gelobt. Sie selber esse allerdings nicht besonders gerne Gänsebraten. «Ganz ehrlich? Rindfleisch ist mir lieber.» 

Weidegans-Daunendecken 

Gleich 130 Weidegänse tummeln sich jedes Jahr von Frühling bis Dezember auf dem Hof Egg von Martin und Monika Zehnder. Der Landwirtschaftsbetrieb liegt ausserhalb des Dorfes Zimmerwald im Bernbiet auf 900 Metern über Meer.

«Wir gehören zu den Gründungsmitgliedern von Weidegans.ch», sagt Monika Zehnder. «Für uns sind die Gänse eine ideale Erweiterung unseres Angebots, da wir auf Direktvermarktung ausgerichtet sind.»

Hilfe bei der Vermarktung

Ihre Produkte selbst zu verkaufen, funktioniert nicht für alle Landwirtschaftsbetriebe und manchen Bau-ernfamilien liegt es auch nicht. Daher haben Zehnders die «Schweizer Gänse GmbH» gegründet:

Diese kauft Weidegänsehaltern, welche nicht direkt verkaufen können oder möchten, die Tiere ab und vermarktet sie über Grossverteiler wie Coop und Migros. 

Zudem haben sie dieses Jahr das Label «Federleicht» gegründet. Bisher konnten die Daunen und Federn der Weidegänse nicht verarbeitet werden. «Doch eines unserer ­Ziele ist, alle Teile der Gans zu verwerten», erklärt Monika Zehnder.

«Daunen und Federn sind hochwertige Produkte. Die Tiere baden bei Wind und Wetter draussen. Dadurch entwickelt sich ein ausgeprägtes ­Federkleid. Die Daunen sind sehr ­voluminös und haben eine grosse Füllkraft.»

95 Prozent Daunenanteil

Bei sehr günstigen Daunenduvets würden oft Federn beigemischt. Bei den Weidegans-Duvets beträgt der Daunenanteil laut  Monika Zehnder 95 Prozent. «Ein Duvet braucht keine Federn, aber es ist nicht möglich, jedes einzelne feine Federchen auszusortieren.»

Die Herstellung ist aufwendig. Gerupft werden die Tiere nach dem Schlachten in zwei auf Geflügel spezialisierten Metzgereien. Anschliessend trocknet der Heutrockner eines Bauern in der Region die Daunen, damit sie nicht zu riechen anfangen.

Dann werden die Daunen und Federn im Aargau gewaschen, erneut getrocknet und sortiert. Das Nähen und Füllen der Kissen und Decken übernimmt die Firma Kyburz Bettwaren in Kehrsatz. 

Das Gefieder von 500 Weidegänsen

Im ersten Jahr hat die Schweizer Gänse GmbH das Gefieder von rund 500 Gänsen verwertet. Allein für ein Duvet braucht es Daunen von etwa 30 Gänsen. Der Preis liegt zwischen 835 und 1245 Franken für eine «Federleicht»-Daunendecke.

«Der Preis ist gerechtfertigt, wenn man weiss, wie die Gänse gehalten werden», sagt Monika Zehnder. «Wir bieten ein Premiumprodukt auf natürlicher Basis an. Das darf auch etwas wert sein. Denn schliesslich verbringen wir im Bett mehr Zeit als sonst wo.» 

Weitere Informationen:

www.weidegans.ch

www.schweizergaense.ch