Frau Reinhard, die Zufriedenheit mit dem nun vorgelegten Papier scheint hoch, gab es auch kritische Stimmen an der Präsentation von vergangener Woche?

Eva Reinhard: Die Rückmeldungen aller Teilnehmenden reichten von gut bis sehr erfreulich. Zudem war ich diese Woche am Obstbautag in Martigny und an der Eröffnung der Messe Agrovina. Auch hier gab es zahlreiche positive Rückmeldungen, insbesondere der anwesenden Walliser und Waadtländer: Sie sind sehr zufrieden und sehen den Mehrwert in der vorgelegten Strategie.

Die sind wahrscheinlich vor allem happy weil Changins als Forschungszentrum erhalten bleibt und weil es im Wallis in Leytron eine neue Versuchsstation gibt…

Das muss man jetzt schon auseinanderhalten. Die Standortstrategie umfasst ein «Gesamtpaket» mit einer optimierten Standort- und Themenwahl. Die Agrarforschung wird schweizweit gestärkt, so auch der Austausch mit der Praxis. Damit ist es richtig, dass auch sie gewinnen. Die Kantone haben sich eingebracht und konstruktiv mitgearbeitet und haben Freude, dass Lösungen gefunden wurden, manchmal gar für schwelende Konflikte, die schon länger dauern. So zum Beispiel zur Frage: Wo ist das Önologiezentrum der Schweiz? Jetzt gibt es eine Vereinbarung zwischen Wallis und Waadt, in der sie die Zusammenarbeit regeln. Auch der Kanton Luzern kommt in seiner Problemlösung einen Schritt weiter. Die Emissionen über die Tierhaltung haben dort bereits zu politischen Auseinandersetzungen geführt. Jetzt werden wir vor Ort gemeinsam mit der Praxis nach Lösungen suchen. Das sind nur Beispiele, es gibt einige mehr.

Die Standortstrategie umfasst ein «Gesamtpaket» mit einer optimierten Standort- und Themenwahl. Die Agrarforschung wird schweizweit gestärkt, so auch der Austausch mit der Praxis. 

Agroscope-Leiterin Eva Reinhard

 

Wer sind denn die Verlierer zum Beispiel in Sachen Arbeitsplätzen?

Nähme man die Anzahl Bundesmitarbeiter als Messgrösse, so würde Wädenswil zu den Verliererinnen gehören. Wenn man dagegen die landwirtschaftliche Forschung und ihre Wirkung als Ganzes betrachtet, gehören auch diejenigen Themen zu den Gewinnern, die heute in Wädenswil bearbeitet werden.

Wieviele und wohin?

Die Themen an den neuen Standorten sind publik. Wir können es uns nicht mehr leisten, standortunabhängige Tätigkeiten wie etwa Laboranalysen mit teuren Spezialgeräten an mehreren Orten gleichzeitig durchzuführen. An den drei Hauptstandorten soll eine universitäre Atmosphäre herrschen. Da ist die Forschung grundlagenorientiert und findet v.a. im Labor oder im Büro statt, Synergien werden optimal genutzt. Mit den damit erreichten Effizienzgewinnen können wir zusätzliche Forscherinnen und Forscher anstellen, neue Forschungsthemen bearbeiten und den Austausch mit der Praxis über Versuchsstationen verstärken. Das generiert Mehrwert.

Nochmal, gibt es eine Übersicht zu den Arbeitsplatzverschiebungen?

Exakte Detailberechnungen befinden sich noch in Arbeit. Klar ist, dass Pflanzenschützer aus der Ostschweiz in die Westschweiz umziehen. Die Arbeitsplätze der Gruppen Extension Obst und Gemüse, welche den Wissensaustausch verantworten, verbleiben aber grossmehrheitlich da. Im Gegenzug wechseln Züchter aus Changins in die Nähe der ETH nach Reckenholz. Wädenswil wird stark reduziert, von Tänikon werden standortunabhängige Arbeitsplätze in den Campus nach Posieux verschoben. Gerade in Tänikon besteht aber mit dem Thema Digitalisierung ein grosses Potential für Zusammenarbeiten mit externen Partnern und damit zusätzlichen Arbeitsplätzen. So haben z.B. der Kanton Schaffhausen und die Ostschweizer Fachhochschulen bereits Interesse angemeldet.

Warum behalten Sie den Standort denn nicht gleich in Wädenswil?

Es geht nicht um die Frage, ob es den Forschungsstandort Wädenswil noch braucht, sondern um die Frage, wie können die vorhandenen Versuchsflächen am gewinnbringendsten genutzt werden und wo bestehen noch Lücken. Die Kantone Zürich und Thurgau, zusammen mit dem Obstverband und Agroscope werden noch diese Woche die Frage erneut diskutieren und nach Antworten suchen. Diese Gespräche sind sehr konstruktiv und sachorientiert. Es ist eine Möglichkeit, die Versuchsstation «Obst und Beeren» in Wädenswil anzusiedeln. 

Es geht nicht um die Frage, ob es den Forschungsstandort Wädenswil noch braucht, sondern um die Frage, wie können die vorhandenen Versuchsflächen am gewinnbringendsten genutzt werden und wo bestehen noch Lücken.

Agroscope-Leiterin Eva Reinhard

 

Bisher war zum Beispiel der Pflanzenschutz überall, nun wird das alles konzentriert?

Die grundlagenorientierte Forschung zum Pflanzenschutz findet künftig in Changins statt, der praktische Pflanzenschutz findet aber in der ganzen Schweiz statt. Wir müssen die Bauern in der ganzen Schweiz abholen können und uns stärker mit der Praxis vernetzen. Ein Bauer profitiert nicht vom Wissen wie DNA sequenziert wird, sondern vielmehr von der Analyse, was diese Resultate für die Produktion bedeutet, von einem regen Wissensaustausch also. Für die Grundlagenforschung gemäss Lehrbuch sind ETH und Universitäten zuständig. Aber auch wir als angewandte Forschungsanstalt haben einen wichtigen Anteil von Grundlagen-orientierter Fragen, deren Beantwortung wir an den drei Hauptstandorten konzentrieren. Dies um effizienter zu werden, das Know-How zu bündeln und Synergien zu nutzen.

Nochmal zurück zu den Verlagerungen, Wädenswil wird abgebaut, welche anderen noch?

In Tänikon konzentrieren wir uns auf die Swiss Future Farm und die digitalen Entwicklungen. Diese sollen dort auf einem für die Schweiz typischen Mischbetrieb für die Praxis getestet und Indikatoren für eine nachhaltige Produktion und den Vollzug entwickelt werden. Beispielsweise in Sachen Emissionen: Welche Endpunkte sind wichtig und wie können sie gemessen werden? Hierzu braucht es im ersten Schritt keine Ökonomen, diese werden künftig in Posieux arbeiten. Tänikon soll sich als ein Demonstrationsort für die Praxis weiterentwickeln, der Wissensaustausch wird dort gross geschrieben.

Warum geht jetzt eigentlich alles in die Westschweiz, hat das Guy Parmelin veranlasst?

Das stimmt so nicht. Es geht nicht alles in die Westschweiz. Die Wirkung wird schweizweit verbessert und vom Mehrwert profitieren alle.

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Ist es Ihnen wohl dabei, wenn künftig fast alles nurmehr in der Westschweiz stattfindet?

Die grundlagenorientierte Forschung wird auf drei in der Schweiz verteilte Hauptstandorte konzentriert. Die lösungsorientierte Praxisforschung und der Wissensaustausch findet da statt, wo er gebraucht wird – in der ganzen Schweiz. Alle Regionen profitieren.

Ursprünglich war der Plan, 20 Prozent der Kosten von Agroscope einzusparen. Davon scheint man nun abgekommen zu sein?

Das ist erfreulich! Alle waren der Meinung, dass Agroscope heute nicht effizient aufgestellt und der status quo nicht zukunftsträchtig ist. Nun werden wir effizienter, bezahlen weniger Miete und haben dafür mehr Geld für die Forschung zur Verfügung. Grob gesagt können wir mit den Effizienzgewinnen bis zu 80 neue Forschende anstellen, unabhängig von Drittmitteln oder kantonalen Beiträgen.

Also hat die Akzeptanz für die praxisnahe Forschung eher zugenommen?

Agroscope wurde bisher oft kritisiert für die mangelnde Praxisnähe. Deshalb wollen wir mit einem anderen Design fahren, das sich nicht auf den Ausgleich der Standorte und Arbeitsplätze zwischen den Regionen beschränkt. Die Anträge für den Inhalt sollen vermehrt aus den Branchen und den Regionen kommen. Ein ähnliches Modell hat sich bei den Ressourcenprojekten bewährt. Die Vertreterinnen und Vertreter des externen Projektausschusses zeigten sich sehr erfreut über diese Überlegungen und das Konzept.

Orientieren Sie sich dabei auch am FiBL?

Wir lernen gerne von positiven Beispielen, die zeigen, wie Forschungsergebnisse in die Praxis kommen. Vom FiBL übernommen haben wir den Ansatz, dass bei den Versuchsstationen unter Mitwirkung der Kantone auch Beratungsleistungen integriert sein sollen. So bringt etwa der Kanton Luzern für die neue Versuchsstation in Sursee den kantonalen Beratungsdienst mit ein, angedacht ist auch eine Mitwirkung von Branchenorganisationen zum Beispiel Suisseporcs und Lieferanten von Vorleistungen wie Fenaco.

Wer bezahlt denn die Arbeitsplätze an den neuen dezentralen Versuchsstationen?

Diese werden von Agroscope und den Partnern finanziert. Die Kantone stellen uns Praxisnetzwerke zur Verfügung. In diesen Netzwerken können wir eng mit Landwirten zusammenarbeiten. Bei der Versuchsstation «Stoffflüsse» gehen wir seitens Agroscope von 2 bis 5 Mitarbeitenden in Sursee aus. Dasselbe in Ins: Auch dort sind wir inhaltlich so weit, abschätzen zu können, wie viele Leute es unsererseits braucht, um die sich stellenden, wissenschaftlichen Fragen zu bearbeiten. Bei der Versuchsstation «Gemüsebau» in Ins sind der Kanton Bern, der nationale und die kantonalen Gemüseproduzentenverbände sowie die HAFL stark beteiligt. Der Kanton Bern und die Gemüseproduzenten sind sehr engagiert und machen Synergien möglich.

Alle Betroffenen – Branchen, Forschung, Kantone – stehen nun hinter dem Konzept und sehen darin eine Stärkung der landwirtschaftlichen Forschung und Verbesserung des Wissenstransfers.

Agroscope-Leiterin Eva Reinhard

 

Konnten sich die Kantone bewerben für eine Versuchsstation?

Ja, sie wurden eingeladen, mit Bundesrat Guy Parmelin Kontakt aufzunehmen. Dabei waren der themenspezifische Bedarf und der Nutzen für die Landwirtschaft zentral. Das heisst, es wurde in den Gesprächen über Inhalte und Mehrwerte diskutiert. Das hat dem Prozess neuen Schwung gegeben und dazu geführt, dass nun alle Betroffenen – Branchen, Forschung, Kantone – hinter dem Konzept stehen und darin eine Stärkung der landwirtschaftlichen Forschung und Verbesserung des Wissenstransfers sehen.

Was dürfen die Bauern Neues erwarten aus den Labors von Agroscope?

Zusammengefasst: mehr Forschung, mehr Praxisrelevanz und mehr Wissensaustausch.