Neue Anbautechniken, umweltfreundliche Pflanzenschutzmethoden sowie robuste und resistente Sorten tragen zu einer nachhaltigen Produktion bei. Diese ist allerdings nicht zum Nulltarif zu haben, betont Jürg Hess, Präsident des Schweizer Obstverbandes (SOV). Die Mehrwertstrategie benötige den Einsatz der ganzen Branche. «Packen wir es gemeinsam an», ermuntert Hess Produzenten, Vermarkter und Forscher gleichermassen.
Neue Baumform bringt Vorteile
Der heutige Niederstamm-Obstbau ist geprägt durch Spindelbäume, an denen die Äste mehr oder weniger waagrecht an einem Stamm wachsen. Josef Österreicher und Jürgen Christanell vom Südtiroler Beratungsring für Obst- und Weinbau begleiten seit sechs Jahren den Anbau von mehrachsigen Obstbäumen.
Ein oder zwei Stämme auf derselben Unterlage werden zur Seite gebogen, von diesen wachsen Äste – Achsen genannt – senkrecht nach oben. Richtiger Schnitt und Anbindung der Achsen sind Voraussetzung für das Gelingen der neuen Baumform.
Am Anfang dieser Anbaumethode stand der sogenannte BiBaum, bei welchem zwei Stämme aus derselben Unterlage kommen. Die Mehrachsenbäume sehen aus wie Spalierobstbäume, deren Äste an einem Drahtrahmen noch oben wachsen.
Mehr Sonne für die Früchte
Da die Bäume eine schmale Fruchtwand bilden, gelangt die Sonne besser an die Früchte, diese trocknen schneller ab und es ist eine bessere Fruchtausfärbung zu erwarten als bei Spindelbäumen, was vor allem bei zweifarbigen Sorten wie Fuji und Kanzi von Bedeutung ist.
Schnitt, Pflanzenschutz, Fruchtausdünnung und Pflücken lassen sich vereinfachen und besser mechanisieren. Noch steckt diese neue Anbaumethode in den Kinderschuhen: In Südtirol werden 97 Prozent der Niederstammbäume als Spindel angebaut, 2,3 Prozent als BiBäume, sogenannte Zweiachser, und nur 0,6 Prozent als Mehrachsen.
Weniger Ertrag und mehr Arbeit in den ersten Anbaujahren
Die Fahrgassen in Anlagen mit Mehrachsbäumen sind nur leicht schmaler als in solchen mit Spindelbäumen, aber die Baumabstände in der Reihe sind deutlich grösser, so dass weniger Bäume pro Hektar nötig sind als bei der Spindelform. Bäume mit einer waagrechten Achse sollte man leicht schräg pflanzen, empfiehlt Christanell.[IMG 2]
Sobald eine senkrechte Achse den Draht erreicht, ist sie anzubinden, dicke Äste und solche an der Unterseite der Achsen sind zu entfernen, Achsen und Gipfeltrieb sollte man nicht anschneiden. Je gerader die Äste nach oben wachsen, desto besser für die Baumpflege.
Bei Pflanzenschutzbehandlungen können wegen der guten Erreichbarkeit der Früchte und Blätter 20 Prozent der Mittel eingespart werden. Obstanlagen mit Mehrachsbäumen haben in den ersten Jahren weniger Ertrag pro Hektar als solche mit Spindel- oder BiBäumen, da sich weniger Bäume pro Flächeneinheit befinden. Diese Unterschiede dürften sich aber im Laufe des Wachstums verändern. Daten zu langfristigem Ertrag und zur Qualität fehlen allerdings noch, halten die Obstberater fest. Auch wenn in den ersten Anbaujahren der Arbeitsaufwand bei Mehrachsbäumen grösser ist als bei Spindelbäumen, dürfte über die gesamte Anbauzeit gesehen bei den Mehrachsbäumen weniger Arbeit anfallen.
Mit dem Abnehmer zusammenarbeiten
Obstbauer Julien Taramarcaz führt in Fully im Wallis die Domaine du Grand St. Bernard, ein traditioneller Familienbetrieb mit 30 ha Äpfeln, 6 ha Birnen, 5 ha Aprikosen und 2 ha Reben. Er sieht die Obstproduktion einem immer grösser werdenden Druck ausgesetzt. Es braucht mehr Arbeit, die Ausgaben für Investitionen steigen und der Verdienst nimmt ab. Spitzentechnologie wie Roboter seien für die kleinen Schweizer Betriebe zu teuer. Für zentral hält er die Beziehung zum Handel: «Fragen, was der Partner braucht.» Doch man dürfe nicht jeden Modetrend mitmachen, sondern müsse seine Linie beibehalten. Empfehlungen, die sich in der Praxis wohl nicht immer einfach vereinbaren lassen.
Wetterstationen und Prognosemodelle als Entscheidungshilfen
Wer im nachhaltigen Obstbau erfolgreich sein will, braucht Entscheidungshilfen für den Pflanzenschutz. Agrometeo, eine Internet-Plattform von Agroscope, stellt solche Hilfen kostenlos zur Verfügung, erklärt Anita Schöneberg.[IMG 3]
Sie forscht bei Agroscope an Prognosemodellen zum Pilzbefall und betreut den Warndienst für die Obstproduzenten. Grundlage bildet ein Messnetz von mehr als 200 in der Schweiz verteilten Kleinwetterstationen in Kombination mit Prognosemodellen sowie Beobachtungen des Schädlings- und Pilzbefalles in den verschiedenen Regionen.
«Je besser man den Behandlungszeitpunkt trifft, desto grösser ist der Erfolg», erklärt die Spezialistin für Prognose. Obstbauberater Richard Hollenstein lobt die Plattform: «Mit wenigen Klicks ist man immer auf dem aktuellen Stand.» Immer mehr Betriebe unterhalten auch eigene Wetterstationen, um eine für ihre Anlage möglichst genaue Prognose zu erhalten.
Die Zuverlässigkeit der Modelle und damit der Prognose hange stark davon ab, wie zuverlässig die Messinstrumente seien, betont Schöneberg. Vor allem die Blattnässe sei schwierig zu bestimmen – die Position des Sensors spiele dabei eine wichtige Rolle.
Eine sorgfältige, regelmässige Wartung der Wetterstationen ist Voraussetzung für verlässliche Wetterdaten. So kann zum Beispiel eine nicht entdeckte tote Hummel im Regenmesser zu falschen Niederschlagsmessungen und damit zu falschen Modellergebnissen führen. «Nicht blind auf die Prognosemodelle vertrauen, sondern mitdenken – es kann immer Fehler geben», rät die erfahrene Obstbauforscherin.
Nachhaltige Produktion – wie weiter?
In einer Podiumsdiskussion stellten sich Vertreter der Obstproduktion, des Handels und der Verwaltung den Fragen von Richard Hollenstein, Obstbauberater beim Landwirtschaftlichen Zentrum St. Gallen LZSG. Erwin Büsser von der Migros unterstützt die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Produzenten mit den vereinbarten, zusätzlichen 6 Rappen je Kilogramm Obst, das entsprechend dem Nachhaltigkeitsprogramm produziert wird. Verschiedene Meinungen gab es dazu, wie sich ein höherer Preis am Ladentisch erreichen lasse. «Die Produzenten machen mit, aber der Mehrpreis wird dem Konsumenten nicht kommuniziert», stellte Christian Bertholet von der Fenaco fest.
Hans Dreyer vom Bundesamt für Landwirtschaft gratulierte dem Schweizer Obstverband zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsprogrammes und erwartet vom Handel, dass er zur Biodiversität beiträgt, indem er mehr Apfelsorten anbietet. Jürg Hess und Edi Holliger vom SOV sehen bei den Produzenten die Bereitschaft, bei der nachhaltigen Produktion mitzumachen, aber es gehe nicht zum Nulltarif. Die Produktionssystembeiträge gehen zurück, so bleibt als Kompensation der Mehrkosten nur eine Erhöhung des Produktepreises, was am Markt schwer umzusetzen ist.
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