Vielerorts breitet sich das Hirtentäschel heuer wie ein zartweisser Flaum über die Wiesen aus. Das beobachtet auch Hanspeter Hug, Futterbau-Fachmann vom Strickhof. Hirtentäschel sei – wie alle Kräuter – ein Lichtkeimer und damit typischer Lückenfüller. «Das vermehrte Aufkommen von Hirtentäschel lässt sich auf Fehler im vergangenen Jahr zurückführen», sagt Hug.
Schäden lassen Lücken entstehen
2023 hätten sich viele Landwirte gezwungen gesehen, nach den langanhaltenden Regenfällen bei nassen Verhältnissen zu mähen. «Das gab Schäden an den Beständen, mit der nachfolgenden Trockenheit sind Lücken entstanden», schildert Hanspeter Hug. Da sie weniger auf längere Schönwetterphasen angewiesen sind, zeigten sich solche Probleme bei Betrieben mit Silageproduktion häufiger. Nun steht das Hirtentäschel bereits stark in der Blüte und bildet gleichzeitig keimfähige Samen – «man kann gar nicht so schnell mähen, dass kein Hirtentäschel absamt», bemerkt Hug. Zwar ist das frühreife Kraut wegen der enthaltenen Senfölglykoside und Alkaloide leicht giftig. Um zu einer Vergiftung von Nutztieren zu führen, müsste man aber quasi eine Reinsaat verfüttern, sagt der Fachmann. «Alkaloide sind sicher nicht gut, Hirtentäschel aber auch nicht schmackhaft, darum wird es auf der Weide nicht umsonst stehengelassen.» In einer Klee-Graswiese sei – wie in der Futterration – davon auszugehen, dass eine ausreichende Verdünnung mit Gräsern vorliege.
In vielen Fällen zu früh
Wo in den letzten Tagen gemäht worden ist, sind die Blüten und viele Samen des Hirtentäschels in der Silage eingemischt. Tatsächlich sei «wie wild» gemäht worden, sagt Hanspeter Hug. Doch er sieht das kritisch: «Man muss die Erträge und die jeweiligen Qualitäten über das ganze Jahr beurteilen und da gilt; je früher der erste Schnitt, desto schlechter sind der zweite und eventuell auch der dritte.» Laut Hug mache ein so früher Schnitttermin nur nach einer Neuansaat im vergangenen Jahr oder einer Übersaat im Herbst / Frühling Sinn, oder aber wenn nun auf der fraglichen Fläche Sonnenblumen oder Zuckerrüben folgen sollen. In allen anderen Fällen sei es jetzt für einen ersten Schnitt zu früh – aus Gründen des nassen Bodens, des Jahresertrages und der Qualität sowie der nachhaltigen Bestandeserhaltung, vor allem bei den Naturwiesen.
«Man muss Erträge und Qualitäten über das ganze Jahr beurteilen»
Hanspeter Hug sieht das frühe Mähen kritisch.
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Niemals vor der Gerste
Für den richtigen Schnitttermin müsse man sich am Stadium der Leitgräser orientieren, erinnert Hanspeter Hug: «Der optimale Schnittzeitpunkt ist erreicht, wenn die Hälfte der Leitgras-Pflanzen im Stadium 3, Beginn Rispenschieben sind.» Zu frühes Mähen fördere frühreife, weniger wertvolle Gräser und aufgrund der verkürzten Halme und dadurch sehr schnelles Ährenschieben leide die Futterqualität des zweiten Schnitts. «Die Entwicklung der Pflanzen wird nicht nur von der Temperatur und dem Wetter, sondern auch von der Tageslänge bestimmt», gibt Hug zu bedenken. Es gebe daher zwar durchaus «frühe Jahre», Raigras habe aber noch nie vor der Gerste – die immer um den 1. Mai herum schiebt – die Ähren geschoben. Ganz frühe englische Raigräser täten dies Ende April, die meisten ein den Kunstwiesen eingesetzten Sorten Anfang Mai und italienisches Raigras sogar erst Mitte Mai.
Futtergräser selbst absamen lassen statt übersäen
Wer jetzt bereits gemäht hat bzw. lückige Naturwiesenbestände mit Hirtentäschel hat, dem legt Hanspeter Hug ans Herz, mit dem zweiten Schnitt die Reife der wichtigsten Futtergräser abzuwarten. «Den Bestand älter werden lassen, dann heuen», beschreibt er das Vorgehen. Auf diese Weise könnendie lokal angepassten Ökotypen selbst absamen. Um das noch zusätzlich zu fördern, rät Hug zu einem Striegeldurchgang nach der Dürrfutterernte, bei dem die Samen in den Boden eingearbeitet werden. Alternativ sei eine Übersaat nach einer Nutzung im Spätsommer (ab etwa Ende August) möglich. «Beim Absamen bei der Bodenheuproduktion gelangt ein Vielfaches der Saatgutmenge einer Übersaat auf den Boden – und eben angepasste Genotypen», sagt der Fachmann.
«Mit Bodenheu resultiert ein Vielfaches der Saatgutmenge einer Übersaat»
Hanspeter Hug über den Vorteil, wenn die Gräser selbst absamen können
Besser altes Heu statt Stroh
Mit dem zweiten Schnitt zuzuwarten macht das Heu strukturreich. Das passt gut zur frühen Silage, die tiefe Strukturwerte aufweise. «Mit altem Heu zu kombinieren ist besser als mit Stroh, denn älteres Zweitschnittheu ist immer wertvoller als Stroh», ergänzt Hug. Seiner Meinung nach kann es generell nicht das Ziel sein, früh zu mähen und die Ration dann mit Stroh zu ergänzen.
Zukunftsarten ertragen das nicht
Im Idealfall bilden sich dank dem Heuen und selbständigem Versamen wieder dichte Bestände. So haben die zunehmend immer häufiger auftretenden Hirsenarten keine Chance, die als hitzeliebend nur zu gern die Lücke füllen, die das Hirtentäschel anfangs Sommer wieder freigibt. «Häufiges Mähen begünstigt die Ausbreitung der Borstenhirse, da sich unter dem kurzen Gras der Boden stärker erwärmt», sagt Hanspeter Hug. Hitze- bzw. trockenheitsfestere Gräser wie Knaulgras oder Rohrschwingel werden seiner Meinung nach die Arten sein, mit denen in Zukunft vermehrtgearbeitet werden muss, wenn man die Erträge erhalten möchte. «Und diese ertragen weder zu frühes, noch zu häufiges Mähen.»