Mein Mann sollte sich mehr bewegen.» «Meine Mutter muss endlich Ordnung in ihre Angelegenheiten bringen.» «Meine Nachbarin sollte freundlicher sein.» Kennen Sie das? Zum einen meinen wir, genau zu wissen, was anderen guttäte. Zum anderen glauben wir, es ginge uns besser, wenn sich die anderen anders verhalten würden. Solche Gedanken können uns die sonnigsten Tage verdüstern.

Aber sind sie auch wahr? «Wenn du willst, dass die Wirklichkeit anders ist, als sie ist, kannst du genauso gut versuchen, einer Katze das Bellen beizubringen», sagt Byron Katie. Die 75-jährige Amerikanerin entdeckte  vor etlichen Jahren eine Selbsthilfe-Technik, um aus dem ewigen Gedankenkarussell auszusteigen. Sie nennt sie «The Work», die Arbeit.

Die Verantwortung für uns selbst

Byron Katie kam dazu, als sie selbst in einer schweren Depression steckte. Längst wird ihre Technik auch in der Schweiz von Laien wie Fachleuten eingesetzt. «Mich hat die Methode überzeugt, weil sie total einfach und wirksam ist», sagt Colette Grünbaum, Coach und Autorin aus Winterthur. Sie begleitet ihre Klienten regelmässig durch «The Work». «Wir sind es gewohnt, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Doch für unsere Gedanken sind nur wir selbst verantwortlich, sonst niemand.» 

Die Grundidee von «The Work» ist, die eigenen Gedanken zu überprüfen. Dadurch bekommt man einen anderen Blickwinkel auf sie. «Ich lasse meine Überzeugungen nicht los. Ich hinterfrage sie. Dann lassen sie mich los», erklärte Byron Katie in einem Interview dazu. 

Vier Fragen als Basis

Gearbeitet wird bei «The Work» mit vier Fragen, die man am besten schriftlich beantwortet. Im Internet kann dafür bei Bedarf ein Gratis-Arbeitsblatt heruntergeladen werden. Schreiben Sie als Erstes auf, was Sie bedrückt (z. B.: «Ich bin traurig, weil mein Mann Peter so wenig mit mir gemeinsam unternimmt»). Notieren Sie nun, was sich ändern sollte (z. B.: «Peter sollte mehr mit mir unternehmen».) Stellen Sie sich dann die folgenden vier Fragen: 

1. Ist es wahr? (Ja/Nein)

2. Bin ich wirklich absolut sicher, dass es wahr ist? (Ja/Nein)

3. Wie fühle ich mich, wenn ich diese Gedanken glaube? (z. B.: nicht respektiert, zurückgestossen, ungeliebt)

4. Wer wäre ich ohne diese Gedanken? (z. B.: freier, liebevoller, zufriedener)

Sich Zeit lassen

Es geht nicht darum, möglichst schnell zu antworten. «Werden Sie still. Lassen Sie die Frage sinken, horchen Sie in sich hinein», rät Colette Grünbaum. Was sagt das Herz? Was spüren Sie im Körper? 

In einem nächsten Schritt wird der belastende Gedanke umgekehrt und für jeden dieser Umkehrsätze mindestens ein konkretes Beispiel gesucht. Dies könnte so aussehen: «Ich sollte mehr mit Peter unternehmen.» (Konkretes Beispiel: Ich will ihm schon lange einen Vorschlag für einen Überraschungsabend machen.) «Peter sollte nicht mehr mit mir unternehmen.» (Peter wollte mit mir die Herbstmesse besuchen. Ich wollte lieber mit einer Freundin gehen.) «Ich sollte mehr mit mir unternehmen.» (Mich endlich zum regelmässigen Turnen aufraffen.)

Auf dem Weg zur Gedankenfreiheit

«The Work» ist selbstverständlich kein Allerheilmittel für jedes psychische Problem. Aber die Fragen können helfen, die tiefere Wahrheit zu entschleiern und zu mehr Gelassenheit und innerem Frieden führen. Denn unsere Gedanken sind manchmal ziemliche Miesepeter, die uns  drangsalieren, uns beherrschen – bis wir sie hinterfragen. 

Dieses Hinterfragen braucht etwas Mut. «Zögernde Klienten frage ich oft: Möchten Sie Ihr Leben nicht lieber selbst in die Hand nehmen?», sagt Colette Grünbaum. «Lassen die Klienten sich auf das vermeintliche Wagnis ein und arbeiten mit den Fragen, sieht man, wie Spannungen abfallen und sich Gesichter aufhellen.» Die Methode lässt sich grundsätzlich auf jeden Lebensbereich anwenden: Arbeit, Familie, Freunde, den Körper. 

Natürlich verändert sich die Realität dadurch nicht. Doch es kann sich ganz anders anfühlen, darin zu leben, und es kommt etwas in Bewegung. Wann funktioniert die Methode nicht? «Wenn man bei der Beantwortung der Fragen ein bestimmtes Resultat erreichen will, nicht bereit ist, sich zu verändern oder wenn man andere verändern will.» 

Ein weiterer Grundsatz der Methode ist, klar zu unterscheiden, mit wessen Angelegenheiten man sich beschäftigt. Tatsächlich nur mit den eigenen? Oder mit den Angelegenheiten des Partners, des Sohnes, der Freundin, des Vaters? «Was mein Partner tut, ist voll und ganz seine Angelegenheit. Wie ich darauf reagiere, ist meine Sache. Wie er wiederum mit meiner Reaktion umgeht, ist dann wieder seine Angelegenheit», erklärt Colette Grünbaum. 

Oder belasten wir uns gar mit den Angelegenheiten des Universums? Damit ist alles gemeint, was ausserhalb unserer Kontrolle liegt, angefangen mit dem Wetter. Hier klare Grenzen zu ziehen, kann ungeheuer befreiend wirken. Oder wie Byron Katie es ausdrückt: «Frage dich das nächste Mal, wenn du Stress oder Unbehagen spürst, in wessen Angelegenheiten du dich gedanklich befindest – und vielleicht wirst du laut loslachen. Es könnte dein Leben auf eine Art befreien, die du dir noch nicht einmal vorstellen kannst.»

Weitere Informationen:

www.thework.com

Unter dem Stichwort «zum Herunterladen» finden sich kostenlose Anleitungen für «The Work».

 

Buchtipp

Colette Grünbaum

Perlen tauchen

mit The Work of Byron Katie

J. Kamphausen-Verlag, 166 Seiten