Wenn man die "Sonntagszeitung" von diesem Wochenende anschaut, fühlt man sich an die Magazine von Radikaltierschützer Erwin Kessler erinnert. Dekoriert mit möglichst schlimmen Bildern werden die Bauern nach Kräften an den Pranger gestellt (siehe Kasten). "Tausende Bauern verstossen gegen den Tierschutz", heisst es auf der Front, wenn man einmal umblättert, ist die Rede von "skandalösen Zuständen auf Schweizer Höfen".

Bildmaterial von "Tier im Fokus"

Das Gros des Bildmaterials stammt vom Verein "Tier im Fokus", wie dessen Präsident Tobias Sennhauser auf Anfrage erklärt. Die Journalisten hätten um Bilder von Vorfällen gebeten. Just am Samstag hatte die Organisation in Bern eine weitere Demonstration für die Abschaffung der Nutztierhaltung durchgeführt, laut eigenen Angaben besucht von 400 Personen. Dass die Demo praktisch mit der Publikation der Breitseite der "Sonntagszeitung" zusammenfiel, ist laut Sennhauser reiner Zufall.

Das Zahlenmaterial wiederum hat das Rechercheteam der Zeitung vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und vom Bundesamt für Veterinärwesen und Lebensmittelsicherheit (BLV) erhalten. In diesem Dokument finden sich die Strafverfahren, deren Zahl sich 2018 im Bereich landwirtschaftlicher Nutztiere auf 613 belief, wie das Sonntagsblatt anprangert. Dass im gleichen Zeitraum 869 Verfahren gegen Haustierhalter über die Bühne gingen, ist der "Sonntagszeitung" dagegen keine Zeile wert.

Artikelserie geplant

Die "Sonntagszeitung" bzw. die Herausgeberin Tamedia belässt es übrigens nicht bei einem einzelnen Artikel, geplant ist offenbar eine wöchige Serie unter dem Titel Brennpunkt Bauernhof, wobei der Titel unvollständig ist, da sich nicht sämtliche Verfahren gegen Landwirte richten, sondern teilweise auch gegen Transporteure. Im zweiten Teil, den die Tamedia-Blätter heute in einer koordinierten Aktion gross fuhren, beklagen sich die Kantonstierärzte über mangelnde finanzielle Ressourcen für unangemeldete Kontrollen.

Die Angegriffenen, also die Bauern, kamen in diesen Artikeln unter Missachtung von üblichen journalistischen Gepflogenheiten bisher nicht zu Wort. Der Schweizer Bauernverband (SBV) wurde in einem knappen Abschnitt zitiert, darin heisst es, dass fehlbare Bauern dem Ruf der gesamten Branche schaden, dass aber die grosse Mehrheit der Bauern gut für ihre Tiere sorgten.

SBV ist überrascht

Auf Anfrage erklärte der SBV heute: "Tierwohl ist eine Kernleistung der Schweizer Landwirtschaft. Grobe Verstösse in der Nutztierhaltung heissen wir deshalb in keiner Art und Weise gut", so schreibt die Medienstelle. Der Bauernverband sei entsprechend überrascht über die veröffentlichten Zahlen. Morgen werde man sich mit dem BLW treffen, um diese zu diskutieren.

Überrascht sei man "einerseits, weil wir diese Zahlen so nicht kennen und andererseits, weil wir sie zum Teil auch nicht nachvollziehen können", schreibt der SBV weiter. In der Vergangenheit habe es sich bei den meisten Fällen um Bagatell-Vergehen gehandelt, wie zum Beispiel, dass eine verlangte Aufzeichnung oder schriftliche Dokumentation nicht gemacht wurde.

"Wir sind in Kontakt mit den Behörden, um Licht ins Dunkle zu bringen und die Faktenlage zu klären", heisst es abschliessend, "was wir nicht gutheissen können, ist die pauschale Verurteilung der gesamten Landwirtschaft. Die grosse Mehrheit der Bauernfamilien schauen gut zu ihren Tieren und für diese ist der Sonntagszeitungsartikel sehr frustrierend", so der SBV.

Rache für den Inseratestopp?

Die Artikelserie der Tamedia-Blätter gibt zu kommentierenden Gedanken Anlass: Warum gerade jetzt? Eine mögliche Erklärung ist das Sommerloch, das sich jetzt vor dem inneren Auge der Journalisten öffnet und gerne gefüllt wird mit Serien. Andererseits scheint der Zeitpunkt ideal, um noch ein bisschen auf den Bauern herumzuhacken, nachdem der SBV erfolgreich dazu beigetragen hat, einen Gegenvorschlag zu den Pflanzenschutz-Initiativen zu verhindern. Diesen Gegenvorschlag wollte man auf der Redaktion des "Tages-Anzeigers" (der wie die "Sonntagszeitung" zur Tamedia gehört, unbedingt, wie mehrere diesbezügliche Artikel und Kommentare unmissverständlich klar machten).

Im Weiteren herrscht Wahlkampf und es gibt eine antibäuerliche Lobby in grünliberalen und sozialdemokratischen Kreisen, die bei den Tamedia-Blättern immer wieder offene Türen finden. Zu guter Letzt muss man wohl auch noch das Inserat erwähnen, mit dem die "Sonntagszeitung" kürzlich die Bauern anprangerte. Ob man ums Verrecken die Landwirtschaft schützen wolle, fragte man ganzseitig und provokativ. Nach geharnischtem Protest des SBV wurde die Kampagne gestoppt, gut möglich, dass einige Vertreter des Medienhauses noch etwas betupft sind nach dieser Niederlage.

Missbrauchs-anfällige Medienmacht

Die massive Kampagne, mit der das Zürcher Medienhaus nun einfährt, wirft auch ein Schlaglicht auf die fortgeschrittene Konzentration im Schweizer Blätterwald. Wenn Tamedia beschliesst, irgendwem an den Karren zu fahren, dann kann sie dies mit einer Wucht tun, die ihr wohl kaum jemand nachmachen kann. Sie erstreckt sich von der West- in die Ostschweiz und von Sonntagsblättern bis zum Regionaltitel. Diese geballte Medienmacht ist hochgradig Missbrauchs-anfällig und sollte all denjenigen zu denken geben, welche sich für Meinungsäusserungsfreiheit einsetzen, ob sie die Bauern nun mögen oder nicht.

 

Die Vorwürfe der "Sonntagszeitung"

Zahlreiche Bauern verstossen laut der "Sonntagszeitung" und "Le Matin Dimanche" gegen den Tierschutz. So seien allein vergangenes Jahr 613 Halter von Nutztieren verurteilt worden, weil sie das Tierschutzgesetz verletzt hatten. Die Details zu dieser Statistik finden sich in diesem Dokument. Die Zahl der gekürzten Direktzahlungs-Bezüge aufgrund von Tierschutz-Widerhandlungen habe 2017 deren 7398 betragen. An erster Stelle lagen Mängel in Sachen qualitativem Tierschutz von Rindern (3905). Dahinter folgten Verstösse im Umgang mit Weidetieren (1903) und um fehlerhafte Dokumente (1298). Garniert ist der Artikel mit allerlei Exzessen, die den Eindruck einer breiten Verwahrlosung der Tierhaltung erwecken sollen. So berichtet die "Sonntagszeitung" über einen bestraften Zürcher Landwirten, der 39 Rinder "elend an einer Grippe verenden liess". Er habe gewusst, dass seine Tiere krank seien, stehe im Strafbefehl. Trotzdem habe er bewusst kein Tier mehr behandelt. Auch die Schweine eines Thurgauer Züchters hätten leiden müssen. "Die Tränkebecken waren mit Kot gefüllt und für die Tiere unbenutzbar", hiess es. Und auf einem Luzerner Hof sei ein Kadaver eines Schweines einfach liegengelassen worden, "so dass die anderen Schweine die Überreste frassen".

Im heutigen zweiten Teil der Artikelserie berichten die Tamedia-Blätter, es würden zuwenige unangemeldete Kontrollen gemacht. Grund dafür seien mangelnde Finanzen der kantonalen Veterinärdienste. Erst unlängst hatte das BLV berichtet, im vergangenen Jahr seien gut 10'000 Kontrollen durchgeführt worden, davon rund ein Drittel unangemeldet. Wie die Zeitungen berichten, soll dieser Anteil ab 2020 noch erhöht werden: "Der Bundesrat hat beschlossen, dass die Kantone voraussichtlich ab Mai 2020 statt zehn mindestens 40% der Kontrollen unangemeldet machen müssen".