Die Ausstellungssaison hat begonnen. Bereits beim Auftakt, der Swisscow, der Rindviehausstellung zum 125-jährigen Bestehen von Swissherdbook, gaben überladene Euter zu Diskussionen Anlass. Der Ehrenkodex der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter (ASR) soll Auswüchse wie diese verhindern.

Dennoch landen jährlich durchschnittlich zwei Kühe auf dem Operationstisch. Diagnose: Sekundenkleber im Strichkanal oder in der Zitzenzisterne. «In vielen Fällen kann dieser Viertel aber auch nach einem Eingriff nicht mehr normal gemolken werden», erklärt Adrian Steiner, Leiter der Nutztierklinik an der Universität in Bern.


Ist das Vergehen eindeutig, kommt es zur Anzeige


Der «BauernZeitung» ist bekannt, dass noch weitere Tiere mit Problemen nach Ausstellungen in medizinische Behandlung müssen. Keine Einzelfälle also. «Wenn die Situation eindeutig ist, wird der Tierbesitzer informiert, dass wir Anzeige erstatten», so Steiner. Im Auftrag des Bundesamts für Lebensmittel­sicherheit und Veterinärwesen wurde in diesem Bereich eine wissenschaftliche Arbeit durchgeführt. Die Resultate werden im November präsentiert.


Ungesunder Sportgeist und übertriebener Ehrgeiz


Reto Wyss, Kantonstierarzt Bern, wünscht sich mehr Signalwirkung durch die Entscheide der Richter. «Ein übervolles 
Euter sollte im Ring zurückgestellt werden», ist er sicher. Das passiere aber klar nicht. «Kühe, die sich so präsentieren, erlangen oftmals Platzierungen in den vorderen Rängen», erklärt er.

Eine Fehlentwicklung für den Tierarzt, der überzeugt ist, dass sich ein ungesunder Sportgeist und ein übertriebener Ehrgeiz breit gemacht habe. «Hier geht es nicht mehr um die Zucht, das ist mit einem Spitzensport zu vergleichen, bei dem mit illegalen Mitteln gekämpft wird», führt Wyss gegenüber der «Bauern­Zeitung» aus.


Branche muss sich der 
Problematik bewusst werden


Die Idee der Branchenlösung mittels Ehrenkodex begrüsst der Kantonstierarzt im Grundsatz. Dennoch ist er überzeugt, dass es noch mehr brauche. «Die Branche muss sich dessen bewusst werden», so Reto Wyss. Der Druck, der an Ausstellungen auf die verantwortlichen Organe ausgeübt wird, erachtet der Tierarzt als immens. Kontrollkommissionen und auch Amtstierärzte würden von Teilnehmern an solchen Wettbewerben beschimpft, teils auch bedroht. Eine unschöne Entwicklung, meint Wyss.


Zitzen verkleben verbieten?

«Ich bin dafür, dass man das Verkleben der Zitzen an Ausstellungen verbieten sollte», äussert Albert Fritsche, Kantonstierarzt St. Gallen, auf Anfrage der «BauernZeitung». Fritsche ist überzeugt, dass man mit dieser 
Massnahme am einfachsten verhindern könnte, dass Kühe mit überladenen Eutern in den Ring kommen. «Wenn die Milch ausläuft, ist das ein Zeichen, dass der natürliche Verschluss in der Zitze dem Druck nicht mehr Stand hält und das Euter der Kuh voll ist», so Fritsche.

Auch Bauern sind zunehmend sensibilisierter

Nicht nur in Kreisen der Tierärzte nimmt die Sensibilität zu. Auch die Bauern fordern Reaktionen. Und zwar schnell. Denn schliesslich seien es einzelne schwarze Schafe, die den Ruf 
der gesamten inländischen Viehzucht gefährdeten. Und nicht nur die Viehzucht, sondern die damit eng verbundene Milchproduk­tion. «Es steht zu viel auf dem Spiel, um wegzuschauen», äussert Swissherdbook-Vizepräsident Ueli Bach, Turbach BE, auf Anfrage der «BauernZeitung».

Walter Lüthi, Allmendingen BE, ebenfalls Vorstandsmitglied bei Swissherdbook und Präsident des Emmentalischen Fleckviehzuchtverbands, ist zudem als Mitglied der Aufsichtskommission der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter (ASR), zuständig für die Kontrolle an Milchviehausstellungen. «Schauen, dass geschaut wird», könnte die Aufgabe auch lauten, denn Lüthi hat anlässlich einer Ausstellung nicht die Kompetenz, Tiere aus dem Ring zu weisen. Auf die Frage, ob die Branche in dieser Angelegenheit einfach wegschaut, meint er: «Wegschauen ist nicht richtig, aber es wird zu wenig hingeschaut», ist der Viehzüchter 
sicher.

Ganz entscheidend für ihn ist, dass an den vielen 
Ausstellungen mit unterschied­lichen Massstäben gemessen wird. «Wenn es der Kuh das Zentralband rausdrückt, ist es ganz klar zu spät», ist Lüthi überzeugt und weiss: «Auf solche Zeichen dürfen wir nicht warten.» Die Verantwortung liege klar beim OK des Anlasses. «Will man vermehrt die Richter in die Verantwortung mit einbeziehen, muss das Reglement entsprechend 
angepasst werden», erklärt er. Wäre die Thematik «einfach so 
zu lösen», hätte die Branche die 
Angelegenheit im Griff, ist er 
sicher. Aber das hat sie nicht. «Noch nicht», so Lüthi.

Es braucht eine 
Kontrollgruppe der ASR

Auch dem erfahrenen Schaurichter Helmut Matti aus Turbach BE sind die überladenen Euter ein Dorn im Auge. Er fordert deshalb: «Jetzt muss unbedingt eine Kontrollgruppe durch die ASR gebildet werden. Diese hat dafür zu sorgen, dass fragwürdige Kühe den Ring nicht mehr betreten.» Auch der Richter habe seine Verantwortung wahrzunehmen, indem er bei der Rangierung überladene 
Euter bestrafe. Indes hat er nichts  gegen ein Verkleben der Zitzen mit Collodium. Matti wehrt sich vehement gegen die Aussage, dass ein tropfendes oder grosses Euter auch automatisch ein überladenes Euter ist. Es seien andere Faktoren zu berücksichtigen, ist er sicher.

Für eine Euter-Champion muss eine Kuh für Helmut Matti auch nicht immer das grösste und breiteste Euter haben. «Ein normal gefülltes Euter kann qualitativ ebenso hochwertig sein», ist er überzeugt. «Hier könnten die Richter ein Signal senden, 
indem sie diese Kriterien auch in ihre Beurteilung einfliessen 
lassen.» Helmut Matti weiss, was die Schweizer Landwirtschaft dem Konsumenten schuldig ist. «Wir dürfen wegen der paar schwarzen Schafen nicht unseren guten Ruf aufs Spiel setzen», sagt er, und: «Die Branche hat jetzt Zeit, das Problem endlich selber zu lösen, bevor es andere tun.»

860'000 Franken 
fliessen zur ASR

Das Bundesamt für Landwirtschaft hat 2015 Finanzhilfen aus der Absatzförderung von 860'000 Franken an die ASR für die 
Beständeschauen und die Exportförderung zugesichert. Die ­Finanzhilfe für die Beständeschauen ist auf höchstens 300'000  Franken limitiert. Mindestens 
50 Prozent der anrechenbaren Kosten müssen über eigene 
finanzielle Mittel der ASR, also der Bauern, getragen werden. Die Mittel werden ausschliesslich für die Kosten der Exterieurbeurteilungen durch Experten an traditionellen Viehschauen zur Verfügung gestellt.

Das Problem lösen, 
bevor es gelöst wird

Die übrigen Mittel erhält die ASR zur Exportförderung von 
Lebendvieh, Sperma und Embryonen. In Genuss dieser Gelder kommen auch Ausstellungen, die in Sachen überladene Euter zunehmend in der Kritik stehen. Das weiss auch Reto Wyss, Kantonstierarzt Bern. «Wir haben es an regionalen oder kantonalen Ausstellungen bisher eher mit Einzelfällen zu tun», weiss Wyss. Andere Rückmeldungen habe er zu nationalen Ausstellungen wie der Expo Bulle oder der Swiss 
Expo in Lausanne. «Da scheinen die Vorreiter die Taktgeber zu sein», meint er und fordert zum Hinschauen auf. Ein grosser Teil der Bauern sei mit diesen 
Auswüchsen nicht einverstanden. «Da braucht es den Mut 
zu sagen: ‹Das geht in die falsche Richtung, das wollen wir nicht›», fordert der Kantonstierarzt die Branche auf.     

Simone Barth 
und Peter Fankhauser

Mehr zum Thema in der aktuellen BauernZeitung vom 30. Oktober 2015