ie Idee der Nahrungsmittelproduktion in städtischen Gebieten ist nicht neu und erfuhr immer wieder durch verschiedene Treiber verstärkten Aufschwung. In jüngster Zeit haben «Urban Farming» oder auch «Urban Gardening» unter anderem durch den Klimawandel und angetrieben von der ökologischen Nachhaltigkeitsidee wieder mehr an Bedeutung gewonnen. So hat auch die Imkerei in die Stadt gefunden.
Etablierter Trend
Sogar die Schweizerische Post ist unter die Imker gegangen: Seit diesem Jahr stehen auf dem Dach des Briefzentrums Zürich-Mülligen Bienenstöcke. «Aktuell beherbergen wir acht Völker – davon sechs ausgewachsene mit rund 40’000 Bienen und zwei zusätzliche Jungvölker mit zirka 14’000 bis 20’000 Bienen pro Volk», sagt Oliver Flüeler, Mediensprecher der Post AG. Die Idee gehe auf die Initiative eines engagierten Mitarbeitenden zurück, dem das Thema Biodiversität sehr am Herzen liege. Die Post habe ihn dabei gerne unterstützt und die Idee mit ihm weiter vorangetrieben. «Es geht vor allem darum, die Erhaltung und Förderung der für den Menschen lebensnotwendigen Bienen zu stärken – der Honig ist für uns lediglich ein süsses Nebenprodukt und die Bestätigung für unser Tun», meint Oliver Flüeler weiter.
Bienenland
Die Post-Bienen sind lange nicht die einzigen, die den Luftraum von Zürich mit Gesumme erfüllen. Auch die Bienenvölker von Anna Hochreutener und Tom Scheuer sind bereits seit mehreren Jahren in der Stadt zuhause. Die beiden betreuen auf den Dächern von Zürich über 100 Bienenvölker – jeder Bienenstock umfasst zwischen 25’000 und 35’000 Bienen. Alleine ihre Imkerei «Wabe3» hat also mindestens fünfmal so viele Einwohner wie die Stadt selbst.
Sowieso gehört die Schweiz weltweit zu den Ländern mit den höchsten Bienendichten. 2014 gab es in der Schweiz laut einer Auswertung vom nationalen landwirtschaftlichen Forschungsinstitut Agroscope 17’503 Imkerinnen und Imker mit 165’290 Bienenvölker. Heute dürfte die Anzahl Bienenvölker über 200’000 betragen – so sind eben auch städtische Bienenstöcke schon lange keine Seltenheit mehr.
«Urban Imkering»
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«Für jemanden, der in der Stadt lebt, ist es sicher interessant, auch Bienen zu halten und ähnlich wie beim ‹Urban Gardening› in der Stadt Lebensmittel zu produzieren», meint Mathias Götti Limacher, Zentralpräsident des Imkerverbandes BienenSchweiz. Daneben gewähre die Bienenhaltung in der Stadt den Bewohnerinnen und -bewohnern einen Einblick in die Natur und vermittle einen gewissen Umgang mit ihr. Unterschätzen dürfe man ein solches Unterfangen allerdings nicht: Die Nähe zu vielen anderen Menschen berge ein gewisses Konfliktpotential. «Stadtimkerinnen und -imker müssen besonders darauf achten, dass ihre Bienen nicht schwärmen oder dass sie ihre Bienenstöcke nicht zu nah an irgendwelchen Durchgangsstrassen oder Wohnblöcken platzieren», gibt Mathias Götti Limacher zu bedenken. Und bei der Zucht könnten Imkerinnen und Imker zwar auf sanftmütige Bienen setzen, aber auch das könne nicht in jedem Fall garantieren, dass die Bienen nicht stechen.
Giftfrei?
Die Völkerzahlen zeigen, dass die Honigbienen hierzulande nicht am Rande des Aussterbens sind. Trotzdem ist es unbestritten, dass auch die heimischen Bienen Probleme haben. Gerade darum biete der Lebensraum Stadt für die Bienen auch grosse Vorteile, meint Anna Hochreutener: «Die Pestizidbelastung in der Stadt ist minimal und Abgase stören die Bienen kaum.»
Zwar sei es tatsächlich so, dass Landwirtschaftskulturen wie Obst und Raps, die für Bienen sehr attraktiv sind, auch Kulturen seien, bei denen mehr Pflanzenschutz betrieben werden müsse. Aber auch in der Stadt würden punktuell Pestizide eingesetzt, relativiert Mathias Götti Limacher. Die Frage sei viel mehr, welche Mittel eingesetzt würden: «Auch in der Stadt muss das Bewusstsein für sachgerechten und überlegten Pestizideinsatz vorhanden sein.» Tendenziell vermute er aber, dass in der Stadt schon weniger Pestizide eingesetzt würden.
Lebensraum Stadt
Tatsächlich stellen die Abgase in der Stadt kein Problem für die Bienen und die Honigproduktion dar – Bienen können Umweltrückstände wie Verkehrsemissionen neutralisieren. Die Honigbiene besitzt am Ende ihrer Speiseröhre einen Kropf, in dem sie Nektar, Honigtau und Wasser transportiert. Der Inhalt des Kropfes ist eine noch unreife Vorstufe des Honigs, Honigblase genannt. «Die Biene ist via die Honigblase in der Lage, Schadstoffe aktiv herauszufiltern – Honig ist also immer relativ rein», erklärt Mathias Götti Limacher.
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Die Hitze mache den Bienen hingegen mehr zu schaffen: Ursprünglich seien Honigbienen nämlich in lichten Wäldern zuhause und eine brütige Hitze auf einem Dach sei deshalb nicht optimal für einen Bienenstock. Wenn aber genug Wasser zur Verfügung stehe und die Stadtimkerinnen und Imker für etwas Schatten sorgten, seien die Bienen durchaus in der Lage mit Hitze und prallem Sonnenschein umzugehen.
Schlaraffenland
«Die Blütenvielfalt ist enorm – durch die vielen Grünanlagen und die Begrünung von Flachdächern gibt es viele Nahrungsquellen und eine grosse Nahrungsvielfalt für die Bienen», sagt Anna Hochreutener. Auch nicht zu unterschätzen sei die reichhaltige Bepflanzung von Balkonen und Terrassen durch Privatpersonen. Diese Beobachtung teilt Mathias Götti Limacher: In der Natur sei es grundsätzlich so, dass das grosse Aufblühen im Frühling passiere und im Sommer viel weniger Blüten vorhanden seien. «Auf dem Land verschärft sich diese Situation dann durch das Mähen und die Ernte noch», meint er. In Stadtpärken und -gärten sind Pflanzen und Bäume beliebt, die etappenweise blühen, damit die Grünflächen die ganze Saison attraktiv wirken. «Grundsätzlich kann man sagen, dass in der Stadt oft bewusst so angepflanzt wird, dass die ganze Saison etwas blüht und das ist natürlich schon sehr positiv für die Bienen», erklärt Mathias Götti Limacher.
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Standortsuche
Die Nahrungsbeschaffung ist für Stadtbienen also kein Problem, trotzdem kann es eine Herausforderung sein, für ein Bienenvolk den passenden Standort zu finden. «Freie Flächen sind rar, aus diesem Grund imkern wir auf Dächern», erklärt Anna Hochreutener. Dies sei natürlich viel aufwändiger als an einem bodenebenen Standort, bei dem sie direkten Zugang zu den Völkern hätten. Anfangs hätten sie sich ausserdem darum bemühen müssen, geeignete Standorte zu finden: «Mittlerweile sind wir in der glücklichen Lage, Dächer angeboten zu bekommen und können sogar Rosinen picken.»
Gerade in der Stadt sei es aber besonders wichtig, darauf zu achten, dass die Honigbienendichte in sinnvollem Mass sei, erklärt Mathias Götti Limacher: «In der Stadt haben beispielsweise auch die Wildbienen gute Bedingungen und wenn es dann zu viele Honigbienen gibt, führt das zu Konkurrenz.» Man müsse mögliche Standorte darum gut analysieren und beobachten, wie viele andere Bienenvölker dort schon vorhanden seien.
Fachwissen ist unerlässlich
Imkern in der Stadt ist also schon längst kein herziger Trend mehr – und sollte es grundsätzlich auch nicht sein, meint Mathias Götti Limacher. Ob auf dem Land oder in der Stadt, Imkern setze Fachwissen voraus: «Auch Menschen, die in der Stadt imkern, sollten eine gute Grundausbildung machen», sagt er. Verhältnismässig sei der Anteil von Menschen in der Stadt, die ohne Grundkurs irgendwo einen Bienenstock aufstellen, grösser als auf dem Land. «Bei der Stadtimkerei beobachten wir eine Tendenz, dass Menschen ‹sorgloser› mit der Imkerei umgehen und das Gefühl haben, es reiche, wenn man auf dem Balkon eine Kiste aufstelle – das ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll», mahnt Mathias Götti Limacher.
Auch bei «Wabe3» und bei der Post nimmt man die Bienenhaltung ernst: Anna Hochreutener ist ausgebildete Imkerin mit eidgenössischem Fachausweis und auch bei der Post hat man mit einem Imker, der sich um Bienenkolonien auf dem Dach des Briefzentrums Zürich-Mölligen kümmert, das nötige Fachwissen hinzugezogen. «Die Zusammenarbeit mit dem Imker aus Zürich ist sehr gut und problemlos angelaufen und wir verfügen zwischenzeitlich unter den Mitarbeitenden über eine ausgebildete Imkerin», erklärt Oliver Flüeler. Diese stehe dem verantwortlichen Imker in ihrer Freizeit gerne helfend zur Seite.
Bienensterben
Das seit Beginn des Jahrtausends zu beobachtende Bienensterben in der ganzen Welt macht auch den Schweizer Bienen zu schaffen. Das besagte Bienensterben betrifft aber vor allem Wildbienen – Honigbienen sind nicht vom Aussterben bedroht, solange es fürsorgliche Imker gibt. Bei den Wildbienen sieht die Lage allerdings anders aus: Neben der Honigbiene gibt es in der Schweiz über 500 weitere einheimische Bienenarten. Dabei handelt es sich hauptsächlich um sogenannte Solitärbienen wie Mauerbienen, Hosenbienen, Sandbienen, Furchenbienen, Maskenbienen und Hummelarten. Die meisten dieser Wildbienen leben im Gegensatz zur Honigbiene nicht in Gemeinschaften, sondern einsiedlerisch und rund 45 Prozent der hiesigen Wildbienenarten sind akut vom Aussterben bedroht. Sie sind darauf angewiesen, dass wir ihren Lebensraum schützen und bewahren.
Auch die Landwirtschaft kann einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Stärkung der Bienen- und Insektenpopulationen leisten, indem sie beispielsweise mit Blühstreifen die Landschaft besser vernetzt und Lebensräume schafft, Lebensräume am rohen Boden ermöglicht, mit Pestiziden und Dünger sorgfältig umgeht oder Feuchtgebiete schützt. Jeder Landwirt – aber auch jeder Gartenbesitzer – kann die Bedingungen für Insekten verbessern