Pedro ziert sich. Misstrauisch äugt er aus dem Stall in den Nebel. «Los, komm doch, dann kriegst du auch einen Apfel», lockt Sandra Stadler. Nur zögerlich trottet der Esel ins Tageslicht, während seine vierbeinige Partnerin, Eselin Pina, ihren Früchte-Znüni schon fast vertilgt hat.

Die Esel Pedro und Pina leben auf dem Versuchsbetrieb für Obstbau in Güttingen, der zum landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg gehört. Hier sind auch Sandra Stadler und ihre Familie daheim, ihr Mann Patrick ist der Betriebsleiter.

Politisch aktiv

Sandra Stadler selbst arbeitet vor allem ausserhalb des Betriebs. Sie unterrichtet einen halben Tag pro Woche Wirtschaft, Arbeit und Politik an der Schule Schloss Kefikon.

Und sie ist für die Partei «Die Mitte» seit zwölf Jahren im Güttinger Gemeinderat, Vize-Präsidentin der Kantonalpartei und seit 2021 auch im Thurgauer Kantonsrat. Die politischen Ämter entsprechen einer 50-Prozent-Stelle. Zudem engagiert sie sich ehrenamtlich als Teamleiterin für die Hauspflege der Thurgauer Landfrauen.

Dieses Wochenende betritt Sandra Stadler ein anderes politische Parkett: Sie ist eine von246 Gewählten, die an der Frauensession 2021 im Bundeshaus teilnehmen. Zuerst habe sie mit der Bewerbung gezögert, erzählt die 44-Jährige.

Doch dann sprachen sie verschiedene Seiten darauf an, dass es an der Frauensession auch bürgerlich denkende Frauen brauche. Also bewarb sie sich doch noch auf dem Online-Portal – und wurde gewählt.

Die Landwirtschaft im Fokus

«Ich freue mich sehr darauf. Dabei geht es nicht nur um die politische Arbeit, sondern auch um das Erlebnis.» Sandra Stadler gehört zu den 17 Mitgliedern der Kommission Landwirtschaft, deren Schwerpunkt die Anliegen der Frauen in der Landwirtschaft sind.

Im Spätsommer trafen sich die Teilnehmerinnen zu zwei Sitzungen. Alle Mitglieder konnten vor dem ersten Termin Ideen für Forderungen an den Bundesrat und das Parlament einreichen. Sandra Stadler war eine der Frauen, die diese Chance nutzten.

Informationsbedarf

Nicht alle Kommissionsmitglieder haben einen Bezug zur Landwirtschaft. An der ersten Sitzung informierten daher drei Expertinnen die Frauen über die landwirtschafts- und sozialrechtlichen Sachverhalte und Fragestellungen.

Sandra Stadler engagierte sich, traute sich, das Wort zu ergreifen. «Mich packte das politische Feuer. Ich dachte mir, wenn ich nicht mal diese Kommission überzeugen kann, dann keine.» In der zweiten Sitzung erarbeiteten die 17 Frauen aus ihren Anliegen zwei Motionen, ein Postulat und eine Interpellation.

Knacknuss vergleichbares Einkommen

Ein Thema sind dabei die Verdienstmöglichkeiten in der Branche. Laut Artikel 5 des Landwirtschaftsgesetzes trägt der Bund die Verantwortung dafür, dass die Landwirtschaftsbetriebe Einkommen erzielen können, die mit dem Verdienst der übrigen erwerbstätigen Bevölkerung in der Region vergleichbar sind.

Die Realität sieht anders aus. «Die Verteilung der Margen innerhalb der Wertschöpfungskette ist heute alles andere als fair», sagt Sandra Stadler.

Möglichst eigenständig

Der Mutter von zwei Teenagern ist es dabei ein Anliegen, dass die Bauernfamilien möglichst eigenständig und unternehmerisch arbeiten können. Sie weiss aber: «Die Situation in den Bergregionen sieht anders aus als auf einem Obstbaubetrieb im Tal.» Sie selbst ist in Stalden im Kanton Obwalden als Tochter eines Bergbauern aufgewachsen. Ihr Vater arbeitete immer zusätzlich auswärts als Polier, weil der Hof zu wenig abwarf. «Ich kannte früher keine andere Art von Landwirtschaft.»

Durch ihre frühere Arbeit als Schulleiterin auf dem Arenenberg und ihren Einsatz für den Thurgauer Landfrauenverband weiss sie, dass das knappe Einkommen ein Grund für die dürftige soziale Absicherung vieler Bäuerinnen und Bauern ist. «Beides hängt eng zusammen.»

Ein Spaziergang über den Versuchsbetrieb führt zu Reihenvon Spindelbäumen. Im fahlen Herbstlicht leuchten Dutzende von roten Äpfeln an den Zweigen. «Die Sorte ist noch nicht im Handel» erklärt Sandra Stadler. Auf dem Versuchsbetrieb werden über 100 Sorten getestet. Sie hilft bei Bedarf als freiwillige Pflanz- und Erntehelferin auf dem Betrieb mit. Zudem bewirtschaftet sie die Aprikosenkultur auf dem Gelände und kümmert sich um die Esel.«Ich arbeite gerne handfest. Und so weiss ich auch aus eigener Erfahrung, von was ich rede.»

Kommissionssprecherin

Sandra Stadler tritt am Samstag als eine der Sprecherinnen der Kommission Landwirtschaft ans Rednerinnenpult. «Das macht mich schon etwas nervös.» Erst am Mittwoch hatte sie ihr erstesVotum im Thurgauer Kantonsparlament. Und nun gleich der Nationalratssaal im Bundeshaus.

Braucht es 2021 überhaupt noch eine Frauensession? Sandra Stadler nickt. «Die Frauenbewegung ist wie eine Branchenorganisation. Sie gibt den Frauen ein Gesicht.»

Es sei wichtig, dass sich Frauen unterstützen und sich vernetzen. Sie habe bei der Arbeit für die Kommission Landwirtschaft viel ehrliches gegenseitiges Wohlwollen gespürt. «Früher hätte ich nie gedacht, dass ich mich mal auf einer Frauenplattform engagiere. Heute bin ich glücklich darüber.»

Weitere Informationen: www.sandrastadler.ch