Mit einem strahlenden Lachen und einem Milchaggregat in der Hand kommt mir Monika Kötzli entgegen. «Wir sind heute etwas spät dran mit Melken», entschuldigt sich die 27-jährige Landwirtin. Die Bauerntochter aus dem Schangnau verbringt dieses Jahr schon den sechsten Sommer auf einer Alp. Zum vierten Mal bei der Familie Kurt und Therese Mösching aus Gstaad. Möschings sind Miteigentümer der Alp Meiel. Die nordseitige Alp, welche auf der Route zum Col du Pillon führt, liegt zuhinterst im Meielsgrund und reicht von 1800 m ü. M. bis hinauf zum 2350 m hohen Witenberghorn. Hier oben ist das Älplerteam zu Hause und weil wir hier im Berner Oberland sind, ist man mit allen per Du.
Einen guten Alpsommer
Inmitten dieses Alpenpanoramas ist Monika Kötzli für fast drei Monate daheim. Zusammen mit Kurt und Therese Mösching sorgt sie diesen Sommer für 45 Kühe, vier Ziegen und 20 Kälber. «Die Milch verkäsen wir zu Berner Alpkäse AOP», sagt Kurt Mösching. Gegen 800 Liter Milch seien es in Spitzenzeiten, bis zu sechs Käse gebe es jeden Tag. Gegen den Herbst nehme die Milchleistung laufend ab. «Bisher haben wir einen guten Alpsommer erlebt», doppelt Monika Klötzli nach. Auf Anhieb spürt man die gegenseitige Sympathie, die Arbeit geht Hand in Hand und Unstimmigkeiten sucht man hier oben vergebens. «Ich fühle mich bei der Familie Mösching tatsächlich ‹pudelwohl›», sagt Monika anerkennend. Und auch Kurt ist voll des Lobes über seine Angestellte. Seit 18 Jahren gehe er schon z Bärg und jedes Mal erzielte er mit seinem Käse die Maximaltaxierung von 20 Punkten und da sei es schon von Vorteil, wenn die Harmonie zwischen den Angestellten und der Betriebsleiterfamilie stimme.
Auf der Alp Meiel werden die Kühe und Ziegen nachts geweidet, den Tag verbringen die Tiere im Stall. Dabei ist der Zeitplan genau geregelt: Um 7 Uhr sitzen alle am Frühstückstisch, um 7.30 beginnen Monika und Therese die Kühe in den Stall zu treiben, in der Zwischenzeit verzieht sich Kurt in den Käsekeller – danach wird gemolken und gekäst. «Manchmal dauert es bis zu zwei Stunden bis wir die Kühe im Stall haben», sagt Monika, welche fürs Leben gerne die Tiere von der Weide holt und dabei jeden Morgen aufs Neue die Natur beim Erwachen miterlebt. Da die Alp sehr weitläufig sei – mit vielen Hügeln, tiefen Senken und grossen Steinen – müsse man ab und zu auch das Handy als Hilfsmittel nehmen, um alle Vierbeiner zu finden. Da die 45 Kühe drei Besitzern gehören, gehen sie gerne in Gruppen und Verteilen sich in alle Himmelsrichtungen. «Da rufe ich manchmal Therese an oder sie mich, um uns gegenseitig zu erkundigen, ob wir diese oder jene Kuh gesehen haben», sagt Monika.
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Richtige Bergsteigerinnen
Die Simmentaler seien richtige Bergsteigerinnen, welche meistens weit oben an den Hängen grasen würden, die Kühe der anderen Rassen seien hingegen eher auf den unteren Flächen zu finden. Sind dann alle Tiere im Stall, gehe es mit den vier Aggregaten ans Melken. Einen Stall besorgt Monika, den anderen übernimmt Kurt oder Therese. Dabei fliesst die Milch direkt über die Rohmelkanlage ins Käsekessi, welches inmitten der grossräumigen Käserei steht. «Ich gehe jetzt die Ziegen melken, willst du mitkommen», fragt Monika beim Vorbeilaufen. Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen: Den Melkstuhl umgehängt, den Milchkessel in der Hand und die Haare in einem Kopftuch verstaut, marschiert die umtriebige Frau Richtung Ziegenstall. Mit schnellen Schritten folge ich ihr. Etwas ungläubig schaue ich dennoch auf die Uhr, denn es zeigt schon fast 10.30 Uhr an. «Wie gesagt, wir sind heute etwas spät, normalerweise sind wir eine Stunde früher», entgegnet sie mir.
Während Monika melkt, frage ich sie, was sie am Älplerleben denn so reize? «Die Natur, die Berge, dass Arbeiten mit den Tieren – diesen Wunsch verspüre ich jeden Frühling, wenn es wieder Zeit wird, auf die Alp zu gehen», sinniert die Landwirtin. Dabei hat die Schangnauerin nicht nur Landwirtin gelernt, sondern auch die Bäuerinnenschule sowie den Alpsennenkurs absolviert. «Die Arbeit auf der Alp ist zwar hart, aber dennoch lehrreich und unbeschreiblich erfüllend», fügt sie mit strahlenden Augen an. Das wichtigste am Älplerleben sei aber, dass man warme Kleider mitnehme. «Ä Chappe muesch de scho i packe», meint sie lachend. Vor allem 2014 sei ein spezielles Jahr gewesen. «Das war mein erster Alpsommer und ich glaube ich bin fast jeden Tag mit den Gummistiefeln ausgerückt, so nass war es in diesem Sommer».
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Sauberkeit und Kontrolle
Im Nu sind die drei Ziegen gemolken, dass Milchgeschirr gewaschen. Jetzt geht es ab in die Küche, hier wartet schon der Käsebruch im Kessi. Dabei hat der Alpbesitzer Kurt schon viel Vorarbeit geleistet. Immer wieder kontrolliert der erfahrene Käser die Milchtemperatur und prüft den Bruch. Damit man Alpkäse AOP produzieren darf, muss man auch das Pflichtenheft einhalten. Dieses sagt vor, dass für die Milcherwärmung nur Holz verwendet werden darf. Früher passierte dies noch auf dem offenen Feuer, heute gehe es auch mit heissem Dampf. Nicht nur das Zeitmanagement muss beim Käsen stimmen, auch die Milchqualität und die Sauberkeit seien oberste Gebote.
Den Schluck probieren
Das eigentliche Käsen beginnt mit dem Überziehen und Brechen des Schlucks (geronnene Milch) mit der Harfe. «Komm, willst du mal den Schluck probieren», sagt Kurt Mösching zu mir. Etwas zögerlich greife ich zu. Die Konsistenz des Bruchs ist etwas zwischen einem Caramelköpfli und fester Creme – schmecken tut es eigentlich nach nichts. «I gibä dir no chli Nidle drüber», meint Monika, die wohl mit meinem Gesichtsausdruck etwas Bedauern hatte. «Es ist Gewohnheitssache», meint Kurt. Einige mögen ihn andere nicht. Mir hingegen schmeckt ein gereifter Käse doch deutlich besser. «Wenn der Bruch die richtige Reife erreicht hat, wird die Käsemasse auf 52°C erwärmt, je nach Milchmenge darf dieser Vorgang 35 bis 45 Minuten dauern», hält der Käser fest. Anschliessend wird die Masse noch ein paar Minuten gerührt. Dazu laufen die Vorbereitungen für den Käseauszug: Bretter und Järben (Käseformen) werden bereitgestellt und die Käsetücher in Griffnähe gelegt.
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Linus kocht das Mittagessen
Während Kurt und Monika mit dem Käsen beschäftigt sind, bereitet der 16-jährige Linus Matter schon mal das Mittagessen vor. «Es gibt Salat und Teigwaren mit Cervelat», sagt der Ferienbub aus dem Aargau, der schon den dritten Sommer auf der Alp verbringt und später einmal Tierarzt werden möchte. Aber nicht nur Kochen gehört zu seinem Aufgabenbereich, auch Melken macht der aufgeschlossene junge Mann fürs Leben gern. «Komm Monika, ich bin parat, der Bruch ist gut, wir können ihn jetzt rausnehmen», sagt Kurt im breiten Oberländer Dialekt. Jetzt gilt es, die Käsemasse möglichst in einem Durchgang aus der Käsemilch zu holen – wieder eine partnerschaftliche Aufgabe für Monika und ihren Chef. Beide tauchen ihre Arme in die warme Käsemilch, das Käsetuch taucht mit. Beim Auftauchen ist das Tuch gefüllt, ganze 80 kg Bruch ist darin – zu schwer, um die Masse mit eigener Muskelkraft aus dem Kessi zu ziehen.
Per Winde und Knopfdruck hievt der 6-jährige Phil, der Grossbub von Möschings, das Käsetuch aus dem Kessi. Auf dem Presstisch wird die Masse in sechs Formen geknetet und mit der Presse die restliche Flüssigkeit herausgepresst. Geredet wird dabei nicht viel, jeder weiss, was zu tun ist. Die zurückgebliebene Schotte fliesst über eine Leitung direkt zu den Schweinen, die sich unweit der Alphütte in einem grossen Freigehege tummeln und sich jetzt ihre Bäuche mit der warmen Suppe Vollschlagen. Die frischen Käse werden danach im Keller einmal täglich gewendet und mit Salzwasser eingerieben. Bis zum Herbst füllt sich der Käsekeller bis auf den letzten Platz. Danach wird die kostbare Ware auf dem Talbetrieb weiter gepflegt, bis man die Laibe an den Käsehändler verkauft.
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Der Wolf macht Sorgen
Meistens dauert das Käsen bis 13 Uhr. Danach wird gegessen und eine kurze Mittagspause gemacht. «Auf der Alp gibt es immer was zu tun», meint Monika Klötzli. Zäunen, die Weiden in Schuss halten oder das Holz für die Käseproduktion bereitstellen, seien weitere zusätzliche Arbeiten. «Vor allem das Pflegen der Alpweiden nimmt einen grossen Zeitaufwand in Anspruch», hält Kurt Mösching fest. Würde man dies nicht mehr tun, wäre die Alp in kurzer Zeit mit Unkraut und Dornen übersät. Auch die Wolfspräsenz in ihrem Gebiet lässt die Älplerfamilie aufhorchen. «Auch bei uns ist der Wolf allgegenwärtig, obwohl noch nie was passiert ist, haben wir doch ein ungutes Gefühl, wenn wir unsere Ziegen, Kälber und Kühe nachts auf die Weide lassen», so der Alpmeister.
Gut eingerichtet
Obwohl die Alphütte über kein Stromnetz verfügt, ist man auf dem Meiel dennoch gut ausgerüstet. «Wir melken hier oben mit einem Notstromaggregat», sagt Monika. Sogar eine Dusche und eine Abwaschmaschine habe man hier oben. «Vor 20 Jahren haben wir diesen Wohnteil mit Küche angebaut», weiss Kurt. Auf der anderen Seite, hinter dem Stall habe man früher noch auf dem offenen Feuer gekäst und gehaust. Sogar eine Transportseilbahn führt seit einigen Jahren vom Meielsgrund hinauf auf den Berg. Nicht nur die Kälber und die Schweine werden damit transportiert, da sie von den Behörden abgenommen wird, darf auch das Alppersonal mit ihr reisen.
Steht man unten an der Talstation, sieht man nur eine Felswand, welche den Himmel emporragt – ähnlich wie bei der Engstligenalp – dort fragt man sich auch, wie die Kühe den Berg hinaufsteigen. Nur ein schmaler Pfad führt hinauf auf den Meiel. Jeden Sommer und jeden Herbst nehmen die Kühe den zweistündigen beschwerlichen Weg in Angriff. Neun Wochen, bis Anfang September, bleiben sie jeweils hier oben. Danach begibt sich das Vieh auf die Vorweide ins Turbachtal. Für ein paar Tage bleiben Monika und Kurt dann noch alleine auf der Alp. Entfernen die Zäune, führen den Mist aus und machen die Hütte für die Winterzeit parat. Und danach? «Diesen Winter bin ich auf der Marbachegg als ‹Mädchen für alles› angestellt», sagt Monika. Und im Sommer? «Ich entscheide mich so um die Weihnachtszeit, ob ich wieder auf die Alp gehe oder nicht», weiss sie. Träume hat sie noch viele – nicht nur auf die Alp zu gehen, sondern vielleicht auch wieder nach Neuseeland zu reisen. Aber der Traum, den Sommer auf einer Alp zu verbringen, sei manchmal so stark, dass man dem nicht entfliehen könne.
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