Seit der Chat-Roboter Chat GPT und ähnliche Angebote der Öffentlichkeit zugänglich sind, ist künstliche Intelligenz (KI) in aller Munde. Bereits werden ganze Abschlussarbeiten mit KI geschrieben, Mediziner berichten von KI-Diagnosen und Ingenieure von Maschinen, die mit KI entwickelt werden. Und die Landwirtschaft?

Einerseits ist sie ganz vorne mit dabei. Melkroboter, die Zitzen erfassen, oder Geräte, die auf dem Feld selbstständig Unkräuter erkennen können, seien bereits mit KI bestückt, sagt Thomas Anken von der Forschungsgruppe Digitale Produktion bei Agroscope. Damit scheint aber das Ende der Fahnenstange erreicht – zumindest vorläufig. Zwar gibt es eine lange Wunschliste von KI-Anwendungen in der Landwirtschaft, wie Anken aufzählt: «Intelligente Heubelüftungssteuerungen, bessere Tiersensoriksysteme, automatische Erkennung von Schädlingen wie Insekten oder verbesserte Stickstoffdüngungsempfehlungen». Das Problem derzeit: Im Gegensatz zum Labor bleibt die Natur unberechenbar. Und das macht der KI Mühe.

Ohne Messungen geht nichts

«Die Systeme sind auf gute Daten angewiesen», sagt Anken. Diese seien aber oft Mangelware: «Im Bereich der Sensorsysteme gibt es noch sehr viele Lücken, da sich viele wichtige Parameter noch nicht kostengünstig und einfach erheben lassen.» Als Beispiele nennt Anken den pH-Wert im Pansen von Milchkühen oder den Nitratgehalt im Boden. Weitere Fortschritte in der Sensortechnik und bei der Datenverarbeitung seien notwendig. [IMG 2]

Dominique Dietiker von der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea nennt als Beispiel ein Prognosemodell für Pflanzenkrankheiten, das auf Basis von KI-Wetterprognosen erstellt werden könnte. Die Modelle der KI müssten dafür laufend mit realen Daten von Wetterstationen abgeglichen werden. Aber davon gibt es gar nicht so viele. Um präzise Prognosen machen und überprüfen zu können, reichen die Daten nicht aus. «Es brauchte also Sensoren direkt auf dem Feld, um die Daten in die KI zu bringen, damit diese akkurate Wahrscheinlichkeiten berechnen kann», sagt Dietiker. Technisch möglich wäre dies zwar schon – der Aufwand würde aber schnell das Budget sprengen.

«In der Natur ist alles und jedes einzigartig»

«Aus Sicht der KI-Spezialisten gibt es nichts Brutaleres als die Natur», erklärt Philipp Schmid, Forschungsleiter beim Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM). Im industriellen Sektor seien entsprechende Technologien bereits vor fünfzehn Jahren entwickelt worden, zum Beispiel für die Entwicklung und Produktion von Uhrenteilen oder chirurgischen Schrauben. «Die Aufgabe war vergleichsweise einfach», veranschaulicht Schmid. Die KI erhält dabei eine klare Aufgabe: «Jedes Teil, das nicht absolut perfekt ist, muss aussortiert werden.» Dank automatisierter Mustererkennung ist die KI dabei viel genauer als ein Mensch, der irgendwann müde Augen kriegt.

In der Landwirtschaft kann dasselbe System aber nicht angewendet werden. «Mit diesem Massstab käme in der Landwirtschaft kein einziges Produkt in den Verkauf», sagt Schmid. Denn welche Kartoffel perfekt ist und welche nicht, lässt sich nicht so klar definieren. In der Natur sei eben alles und jedes einzigartig, resümiert Schmid: «Keine Tomate gleicht der anderen.»

Experten müssen KI trainieren

Für Philipp Schmid ist deshalb klar: Damit KI-Lösungen in der Landwirtschaft eine Zukunft haben, braucht es nicht bloss gute Daten und ausreichende Rechenleistung, sondern einen stark multidisziplinären Ansatz schon bei der Entwicklung. Und da gibt es noch Luft nach oben. «Ich kenne kaum einen KI-Spezialisten, der eine Bauernschule besucht hat», erzählt Schmid: «Hier treffen Welten aufeinander». Der Schlüssel zu erfolgreich umgesetzten Projekten liege aber «genau in der Kommunikation dieser Welten», ist er überzeugt.

Dafür brauche es Investitionen. «Man muss unterscheiden zwischen dem Training eines neuronalen Netzwerkes, dem Anlernen und dem täglichen Anwenden», geht Schmid ins Detail. «Für das Training braucht man Spezialisten, enorme Rechenleistung, Zeit und Geld.» So müssen Experten herangezogen werden, um die Daten zu «annotieren»: Sie zeigen der KI auf Bildern beispielsweise, welche Pflanze im Bild eine Ampfer ist – wer schon einmal beim Googeln «alle Bilder mit Taxis» auswählen musste, kann sich davon eine Vorstellung machen. Das Training wird wiederholt, bis das statistische Verfahren der KI gut genug ist, um die Wahrscheinlichkeit, dass auf dem Bild eine Ampfer zu sehen ist, selbstständig berechnen zu können. [IMG 3]

Kleine Strukturen nachteilig

Geld für solche teuren Entwicklungsprojekte ist in der Schweiz schwer aufzutreiben. «Die oft unklare Finanzierung von Entwicklungen in diesem Bereich ist ein Bremsklotz», sagt Philipp Schmid. Die Schweiz habe viele Kleinbetriebe, sehr unterschiedliche Bewirtschaftungszonen mit vielen Spezialgegebenheiten. «Dies führt zum Problem, dass es zwar viele Endkunden mit Spezialbedarf gibt, der Markt aber eher klein ist und kaum Skaleneffekte vorhanden sind.» Dazu komme, dass es kaum internationale Firmen mit Entwicklungsstandort Schweiz gebe. Daraus resultiere eine Lücke bei der Finanzierung von Ideen. «Es fehlt die Firma, die eine Entwicklung aus eigenem Invest vortreibt und dann international vertreibt», sagt Schmid. Das sei schade, denn Bedarf, Ideen und Möglichkeiten gebe es mehr als genug.

Gelingt es nicht, für die im internationalen Vergleich kleinen Schweizer Landwirtschaftsbetriebe erschwingliche KI-Anwendungen zu entwickeln, könnte dies den Strukturwandel hin zu grösseren Betriebseinheiten verstärken. «KI-Technologien könnten dazu führen, dass grosse landwirtschaftliche Betriebe mit mehr Ressourcen und Kapital einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kleineren Betrieben haben, die möglicherweise nicht über die Mittel verfügen, um in teure Technologien zu investieren», sagt Philipp Schmid. 

Kleine Betriebe könnten aber Zugang zu neuesten Technologien erhalten, wenn sie ihre Kräfte bündelten. «Landwirte müssen vermehrt lernen, mit anderen Partnern zu kooperieren, nicht nur im Maschinenpark, neu auch in KI-Anwendungen», sagt er. Der Schlüssel für die erfolgreiche Anwendung von KI liege in der individuellen Anpassung auf die eigenen Bedürfnisse. Hierfür brauche es Fachwissen. Dieses könne man aber «problemlos von Forschungspartnern oder Hochschulen abholen», sagt Schmid.

Abhängig von Tech-Giganten?

Erhalten Akteure von Ausserhalb über KI-Anwendungen aber mehr Einfluss, droht damit auch eine «Verschiebung der Kräfte und Abhängigkeiten», wie Philipp Schmid es ausdrückt. Oft stamme ein grosser Teil der involvierten Technologie von «multinationalen Tech-Giganten», von Mikrochips und Kameras über Software und Konnektivität bis hin zur Speicherung der Daten in der Cloud. «Der Einfluss eines Landwirts auf Entscheide dieser grossen Player tendiert gegen null», sagt Schmid.

Durch den Zugriff auf landwirtschaftliche Daten würden diese aber zunehmend mächtiger. «Google könnte plötzlich gross in die Landwirtschaft einsteigen, mit unklaren Folgen für die hiesigen Landwirte», gibt Schmid ein Beispiel. Am Ende seien die Betriebe den Tech-Firmen ausgeliefert: «Wenn die Systeme ausfallen oder fehlerhaft sind, könnte dies zu erheblichen Produktionsausfällen führen.»

Effizienter und nachhaltiger

Dennoch: An KI dürfte in der «Landwirtschaft 4.0» kein Weg vorbeiführen. «In der industriellen Produktion haben Maschinen die Muskelkraft der Menschen schon lange ersetzt, in der Landwirtschaft werden wir in den nächsten zwanzig Jahren das Gleiche erleben», vermutet Philipp Schmid. Viele anstrengende und monotone Tätigkeiten könnten weitgehend automatisiert werden. Dies sei ganz im Sinne der Ernährungssicherheit: «Die weltweite Bevölkerung wächst massiv – um auch die nächsten Generationen mit Lebensmitteln versorgen zu können, muss die Produktion effizienter und zugleich nachhaltiger werden», glaubt Schmid. [IMG 4]

Eine grosse Bedeutung werde die KI bei der Überwachung und Optimierung der Tiergesundheit spielen. «Durch die Analyse von Gesundheitsdaten können Krankheiten frühzeitig erkannt und behandelt werden», hofft Schmid. KI werde ausserdem bei der Optimierung von Bewässerung, Düngung und Pflanzenschutzmittel zum Einsatz kommen. Dies reduziere die Umweltauswirkungen der Landwirtschaft im grossen Masse.

«Noch im embryonalen Stadium»

Für sogenannte generative KI, die wie Chat GPT selbst Informationen generiert, sieht Dominique Dietiker derzeit noch kaum Anwendungsmöglichkeiten. «Sie befindet sich immer noch im embryonalen Stadium», sagt er. Daran ändere auch der Erfolg von Chat GPT nichts. «Bilder oder Texte zu generieren, ist für eine KI eine vergleichsweise einfache Sache», sagt er. Für die Landwirtschaft sei aber derzeit noch nicht viel in der Pipeline.

Thomas Anken geht davon aus, dass dank KI das Management der Betriebe und die Aufzeichnung vieler Daten automatisiert werden könne. Damit werde die administrative Last vermindert. Auch bei der Einwicklung intelligenter Maschinen wie Melkroboter und Spot-Sprayer werde die Entwicklung weitergehen. KI könne helfen, Daten zu aggregieren, sie auszuwerten und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Der Vorteil werde vor allem bei der schnelleren Analyse liegen. «Es ist ausserdem anzunehmen, dass die Optimierung der Fütterung künftig durch KI gestützt wird, womit eine tierindividuelle Anpassung noch besser als bis anhin vorgenommen werden könne», so Anken. Auch bei der Pflanzenzüchtung werde die KI eine immer wichtigere Rolle spielen. Durch die Analyse grosser genetischer Datensätze können neue Sorten schneller entwickelt werden, die an sich verändernde Umweltbedingungen angepasst sind, wie beispielsweise Trockenheit oder Schädlingsbefall.

Transformation beschleunigt

Die KI werde die Landwirtschaft in den nächsten zwanzig Jahren stark transformieren, fasst Philipp Schmid zusammen: «Die Systeme verbessern Effizienz, Produktivität und Nachhaltigkeit und unterstützen die Landwirte, sich an die ändernden Umweltbedingungen anzupassen.» KI biete hier viele mögliche Vorteile: «Verringerung der körperlichen Belastung der Landwirte, erhöhtes Tierwohl, Vermeidung von Antibiotika und Spritzmitteln, Erhöhung der Biodiversität, Verringerung der Emissionen und all dies bei sinkenden Kosten», zählt er auf.

Thomas Anken sieht aufseiten der Landwirtschaft eine grosse Offenheit für derartige neue Technologien: «Der durchschlagende Erfolg der Melkroboter oder auch der Spot-Spraying-Geräte zeigt, dass die Landwirtinnen und Landwirte diese Technik gerne einsetzen, wenn sie einen echten Mehrwert bringt.»

Technikaffine Landwirte

Das sieht auch Philipp Schmid so: «Landwirte sind sehr pragmatische Anwender: Bringt eine KI direkt Vorteile, sind sie sehr offen und unglaublich technikaffin – funktionieren die Lösungen aber nur schlecht, sind nicht ausgereift oder umständlich in der Handhabe, verschwinden sie sehr schnell in einer Ecke.» Grundsätzlich habe die Akzeptanz neuer Technologien in der Landwirtschaft in den letzten Jahren stark zugenommen. Dies zeige die schnelle Verbreitung von autonomen Stallrobotern oder Drohnen. «Auch Chat GPT kennt heute jeder Landwirt», sagt Schmid. [IMG 5]

Datensicherheit wichtig

In der Praxis werde der Landwirt von den technischen Feinheiten kaum etwas mitbekommen, sagt Philipp Schmid. «Die KI wird immer eingepackt sein in ein Gerät, das als Endprodukt einfach zu bedienen ist.» In vielen Maschinen merken die Betreibenden gar nicht, dass KI dahinter steckt, sagt auch Thomas Anken.

Da diese Programme im Gegensatz zu offline arbeitenden Maschinen mit dem Internet verbunden seien, seien sie aber Gefährdungen wie Cyberkriminalität oder Datenmissbrauch ausgesetzt, gibt Thomas Anken zu bedenken. Da gelte es die nötigen Vorkehrungen zu treffen, so wie sie auch bei anderen Internetanwendungen wie dem Onlinebanking schon in der Praxis umgesetzt seien.


 

«Häufig einfach falsch und blöd»

 

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Thilo Stadelmann ist Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und leitet das «Centre for Artificial Intelligence».

Herr Stadelmann, was ist dran an dem Medienrummel um künstliche Intelligenz?

Thilo Stadelmann: Es ist tatsächlich etwas geschehen, wobei es die Technologie schon seit einigen Jahren gibt. Was den grössten Schub gebracht hat, sieht man an Chat GPT – einem Programm, mit dem man chatten kann und das antwortet, als wäre es ein Mensch. Die Antworten sind oft gut, manchmal sogar verblüffend gut, aber manchmal auch offensichtlich falsch und blöd.

Wo kommt die künstliche Intelligenz an ihre Grenzen?

Der Begriff «künstliche Intelligenz» ist eigentlich falsch gewählt. Man denkt an Intelligenz und damit an einen Menschen, der denkt. Was KI macht, ist etwas ganz anderes. Sie simuliert Intelligenz und formuliert vielleicht wie ein Mensch, aber der Prozess dahinter ist ein ganz anderer. Sie hat keinerlei Verständnis von Wahrheit oder von Fakten. Sie errechnet anhand von statistischen Verfahren die Wahrscheinlichkeit einer Antwort aufgrund von Daten, die sie während des Trainings sah. Sie kann also vieles ausdrücken, was plausibel klingt – aber auch spektakulär falsch liegen.

Also braucht es am Ende doch immer noch die menschliche Intelligenz?

Menschen haben ein inneres Gefühl dafür, was wahr und richtig ist, auch im moralischen Sinn. Auch wenn wir zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen, berufen wir uns darauf, dass etwas wahr und richtig ist. Die Antworten der KI-Modelle haben nichts mehr mit den Fakten zu tun. Sie haben zwar alles «gelesen», was je im Internet veröffentlicht worden ist. Aber eigentlich haben sie sich nur gemerkt, welche Formulierung in welchem Kontext am wahrscheinlichsten gefunden wird.

Heisst dass, die KI überprüft gar nicht, ob das, was sie rauslässt, auch stimmt?

Man könnte ein System so aufsetzen, dass es Fakten checkt, aber man macht das nur sehr selektiv, weil das viel mehr Rechenleistung braucht und entsprechend teuer wäre.

Wie rasant wird sich die KI entwickeln?

Auf der Ebene der Anwendungsmöglichkeiten wird es vielleicht noch zwei bis drei Jahre lang verblüffende Neuigkeiten geben. Auf der Grundlagenebene ist aber nicht viel Neues in Sicht – schon gar kein «Intelligenzsprung». Manche Unternehmen behaupten, kurz vor der Erschaffung einer «generellen Intelligenz» zu stehen. Das ist Marketing. Derzeit hat niemand auch nur eine Idee, wie das gehen sollte.

Die Angst, dass die KI demnächst «übernimmt», ist also unbegründet?

KI-Systeme, die total autonom agieren, wie wir es aus Science-Fiction-Filmen kennen, sind derzeit nicht in Sichtweite. Im Gegenteil – es herrscht eher ein Mangel an guten Entwicklungsideen.

Welche Gefahren bringt KI für Anwender sich?

Generell sollte man immer auf Urheberrecht und Datenschutz achten, besonders, wenn man kostenlose Services verwendet. In diesem Fall gehören die Daten meist der Anbieterfirma. Wenn es um Geschäftsgeheimnisse geht, kann das heikel sein. Je nachdem muss auch bedacht werden, dass die Daten auf einem Server in einem anderen Land liegen, zum Beispiel in den USA. Das wäre für Gemeinden oder Staatsbetriebe in der Schweiz gesetzlich nicht zulässig.

Interview: Peter Walthard