Dass Schweizer Detaillisten gemäss ihrem Kontingent Fleisch aus dem Ausland kaufen, ist handelsüblich. Neu ist allerdings, dass Coop Ansprüche für eine besonders tierfreundliche Haltung im Ausland stellt.
Bereits per 1. Juli 2015 werden alle Truten von Betrieben stammen, deren Ställe den Anforderungen der Schweizer Tierschutzgesetzgebung entsprechen. Bis Ende 2015 sollen alle den Standard für "Besonders tierfreundliche Ställe" (BTS) des Bundes erfüllen, informiert Basil Mörikofer, Einkäufer Labelfleisch bei Coop.
Innovative Landwirte
Auf Gut Neuhof bei Überlingen wurden kürzlich die ersten 6'000 Truten nach dem höherem Tierwohlstandard gemästet. Uwe und Mirjam Plessing bewirtschaften zusammen mit den Eltern sowie den Grosseltern gemeinsam den Familienbetrieb.
Der Hof ist eingebettet in eine Ackerbaulandschaft; 125 ha landwirtschaftliche Nutzfläche gehören zum Betrieb, wobei vor allem Körnermais und Getreide angebaut werden. Kühe gibt es dort schon lange nicht mehr; dafür setzten die innovativen Besitzer in den letzten 20 Jahren auf Truten, Masthühner und sogar Weidegänse; letzteres haben sie wieder aufgegeben. Für die Direktvermarktung haben sie einen kleinen Schlachtbetrieb eingerichtet.
In mehreren Ställen sind insgesamt 16'000 bis 20'000 Truten untergebracht. Die Stallgrösse variiert zwischen 2'000 und 4'000 Tierplätzen. Bis vor kurzem haben Plessings ein gutes Drittel mehr Tiere in den Ställen gehalten; denn in Deutschland ist eine Besatzdichte von bis zu 58 kg Tiergewicht pro Quadratmeter Stallfläche Standard.
Dagegen erlauben die Schweizer Tierschutzgesetzgebung und auch das BTS-Programm ab der 7. Lebenswoche nur noch 36.5 kg/m2 und bis zur 6. Lebenswoche maximal 32 kg/m2. Für den Landwirt bedeutet dies, dass er mit der Umstellung gewichtsmässig fast 40 % weniger Tiere pro Quadratmeter Stallfläche halten kann als vorher.
Hinzu kommt der Anbau eines Aussenklimabereichs, auch "Wintergarten" genannt, der mindestens 20 % der Stallgrundfläche betragen muss. Eine dritte Neuerung im Stall sind die erhöhten Sitzflächen auf mindestens 10 % der Stallfläche; die Fläche darunter dient den Tieren als Rückzugsort. Alle Ställe verfügen über natürliches Tageslicht und eine gute Stalllüftung. Coop strebt eine GVO-freie Fütterung an, aber für den Neuhof kommt sie jetzt noch zu teuer.
Positive Erfahrungen
Was hat sich für die Tierhalter mit dem neuen Stall geändert? "Die Arbeit macht uns und unseren Mitarbeitern mehr Freude", sagt Uwe Plessing. Sie müssen jetzt weniger häufig Stroh einstreuen, da es weniger Tiere im Stall gibt. Auch die Luftqualität im Stall sei besser, betont Plessing. Beim Reinigen des Stalles fällt allerdings mehr Arbeit an, da man die erhöhten Sitzflächen nach oben klappen und separat reinigen muss.
Die Truten halten sich häufig im Wintergarten auf, besonders bei schönem Wetter. "Es sind richtige Sonnenanbeterinnen", beschreibt der Landwirt das Verhalten der Truten. Er und seine Frau haben den Eindruck, dass die Tiere in den umgebauten Ställen – wie sie sagen – fitter sind. "Sie sind besser auf den Beinen als vorher", fassen sie ihre Beobachtungen zusammen.
Die Zunahmen der Tiere waren im ersten Umtrieb gut, aber sichere Aussagen bezüglich Leistung und Tiergesundheit lassen sich nach dem ersten Umtrieb nicht machen. Im Stall kann man beobachten, dass die Truten mit ihren Schnäbeln an Bündeln von Schnüren zerren oder an Kabelbindern, die an einer Kette befestigt sind. In Deutschland sind Beschäftigungsmöglichkeiten der Tiere vorgeschrieben, erklärt Plessing.
"Um einen Drittel teurer – aber eine Chance"
Dass die Arbeit im Stall schöner ist und es den Tieren besser geht als zuvor, hat seinen Preis. "Die Produktion ist etwa um einen Drittel teurer", fasst der Betriebsleiter die wirtschaftlichen Auswirkungen zusammen. Grund ist der erwähnte bauliche und arbeitswirtschaftliche Mehraufwand und vor allem der tiefere Besatz pro Umtrieb.
Staatliche Förderungen für eine tierfreundliche Haltung wie die BTS-Beiträge in der Schweiz gibt es in Deutschland nicht. Nur der tierfreundliche Stallbau wird einmalig gefördert. Bei Umbauten wie auf dem Gut Neuhof ist die Auslösung solcher Bau-Förderungen eher kompliziert. "Wir mussten die Investitionen aus der eigenen Tasche bezahlen", sagt Uwe Plessing.
Trotzdem bieten die Investitionen dem Hof eine Chance, denn Coop zahlt einen höheren Preis für das Fleisch als deutsche Detaillisten. Es liegt offensichtlich mehr drin als in der bisherigen Produktion.
"Keine nennenswerte Schweizer Trutenproduktion"
Warum kauft Coop bei deutschen Produzenten ein? "Hauptgrund für den Import ist, dass es in der Schweiz keine nennenswerte Trutenproduktion gibt.", stellt Mörikofer fest. Importiert werden nur die Edelstücke, das heisst das Brustfleisch.
Die Schweizer Konsumenten sind kaum an Schenkeln oder an Trutenwurst interessiert, bestätigt Christine Meyer, Leiterin Einkauf Fleisch bei Bell. In Deutschland finde eher Fleisch vom Trutenschenkel Absatz als in der Schweiz.
Inzwischen hat Coop über seine Lieferanten Verträge mit etwa einem Dutzend Trutenmästern in Deutschland und Frankreich abgeschlossen. Verkauft werden die importierten Produkte unter der Coop Eigenmarke "Qualité&Prix".
Unangemeldete Kontrollen
Wer bürgt dafür, dass die Coop-Vorgaben auf den Betrieben eingehalten werden? Coop nimmt dafür einerseits seine Lieferanten in die Pflicht. Beim Gut Neuhof gehen die Truten an die "Süddeutsche Truthahn AG". Diese hat eine unabhängige Kontrollstelle damit beauftragt, die Produzenten betreffend Einhaltung der Coop-Anforderungen zu kontrollieren, erklärt Mörikofer. Dazu gehört mindestens eine unangemeldete Kontrolle pro Jahr.
Andererseits bedingt sich Coop "jederzeit Einsicht in die Dokumente und den Zugang zu den Betrieben". Der Aufbau einer tierfreundlichen Produzentenkette im Ausland falle einem nicht in den Schoss, ergänzt der Coop-Verantwortliche. Es braucht gegenseitiges Verständnis und viel Ausdauer von allen.
Auch der Schweizer Tierschutz STS beteiligt sich am Aufbau, nicht als Kontrollstelle, aber als Begutachter und Berater. Auf diese Weise lasse sich auch im Ausland etwas für die Tiere bewirken, sagt Hansuli Huber vom STS. Indem die Messlatte auch im Ausland höher wird, steigen dort die Preise und Schweizer Produkte werden konkurrenzfähiger.
Michael Götz, lid