Zum Zvieri gibt es Himbeersorbet und frisch gebackenen Marronikuchen. Mit dem Kernteam sitzen heute auch zwei Freiwillige am Gartentisch, die mit der Umzäunung der neu angelegten 230 Meter langen Hecke beschäftigt sind. Einer davon ist Kurt Seifert aus Winterthur, Präsident des Vereins Förderband. "Wir umzäunen heute noch fertig, damit sich die Rehe nicht über die frisch gepflanzten Stauden hermachen können." Katharina Hugentobler, ein Mitglied der Kerngruppe fährt mit dem Traktor und Anhänger vor, die beiden Freiwilligen schwingen sich hinein und fahren aufs Feld.

Perspektiven aufzeigen

Gabris liegt auf knapp 700 Meter über Meer und gehört zur Thurgauer Gemeinde Wuppenau. Hochstammbäume, Wiesen und Wald prägen das Bild rund um den Hof. An schönen Tagen sieht man bis zum Bodensee und auf der anderen Seite zum Alpstein. In diesem Weiler mit den paar Bauernhöfen und einem Restaurant ist Karl Heuberger aufgewachsen. Er lernte Landwirt - das war einfach so - seine Eltern dachten, dass er den Hof später übernehmen wird.

Anfangs der 1990er-Jahre stieg der gelernte Landwirt und studierte Agronom beim Hilfwerk HEKS ein und leitete 25 Jahre Projekte in Zentralamerika und Mexiko. Heute ist er Programmverantwortlicher für das HEKS-Landesprogramm Äthiopien mit einem 70-Prozent-Pensum und kümmert sich in seiner Freizeit um das eigene Projekt, den Gemeinschaftshof, den er auch als eine Art Entwicklungsarbeit sieht.

Seine Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit mit Kleinbauernfamilien und der überall präsenten Landflucht haben ihn für ein anderes Bewusstsein sensibilisiert. Die Entwicklungshilfe zielt auch darauf hin, den Menschen auf dem Land Perspektiven zu bieten und trotz grosser Schwierigkeiten aufzuzeigen, wie Land und Boden geschützt und nachhaltig bewirtschaftet werden können. "Der Mensch muss mit dem Boden verbunden bleiben", sagt er überzeugt.

Im Einklang mit der Natur

Karl Heubergers Eltern haben das Land später verpachtet, blieben aber bis zu ihrem Tod auf dem Hof wohnen. Der Hof hat in der Zwischenzeit einen guten Wert, weil ein Teil des Landes in der Siedlungszone liegt. Die Suche nach einer für alle Geschwister guten Lösung war ein anspruchsvoller und spannender Prozess. "Den Hof auflösen kam für mich ebenso wenig in Frage wie als Vollzeitbauer einzusteigen", erklärt Heuberger. 70 Prozent der Weltbevölkerung wird von Kleinbauern ernährt – kleinbäuerliche Strukturen gelte es zu fördern, auch in Zentralamerika, Äthiopien und in der Schweiz, meint er ergänzend.

Seine gute Vernetzung mit Menschen, denen Solidarität und das Bewusstsein für eine gesunde Landwirtschaft wichtig sind und die auch selber gerne mit den Händen arbeiten, half ihm, die Idee eines gemeinschaftlich geführten Betriebes weiter voranzutreiben. Drei Viertel des benötigten Kapitals wurde von Mitgliedern des neu gegründeten Fördervereins zu zinsgünstigen Bedingungen zur Verfügung gestellt. 2015 wurde der Hof Gabris ein anerkannter landwirtschaftlicher Betrieb.

Ab Anfangs 2017 ist er von Biosuisse als Knospe-Betrieb zertifiziert. Geführt wird der Betrieb heute von einem Kernteam, dem neben Karl Heuberger auch Katharina Hugentobler, Schulische Heilpädagogin in Zürich und Maggie Appenzeller, Shiatsu-Trainerin aus Hörhausen angehören. "Wir sind auf eine ständige Präsenz auf dem Hof dringend angewiesen. Deshalb ist es ein glücklicher Zufall, dass Maggi Appenzeller bereit ist, zusammen mit ihren beiden Island-Pferden auf den Hof zu ziehen", sagt Heuberger.

Vielfalt muss auch wirtschaftlich sein

Auf dem Hof leben aktuell neun Schottische Hochlandrinder, ein gutes Dutzend Appenzeller Barthühner und der Hahn Odysseus. Auf 20 Aren wachsen Sommerhimbeeren, die in der Region und in ausgesuchten Bioläden verkauft werden. Rund um den Hof wachsen um die 80 Apfel- und Birnbäume, alles Hochstamm. Dazu 50 junge Fellenberg-Zwetschgenbäume. Rund ein Drittel der Bäume wurde neu gepflanzt.

Auf den Feldern gedeihen Kulturen, die standortgerecht sind und einen guten Absatz finden. So konnte man heuer zum ersten Mal Hirse ernten. Für nächste Jahr sind 2,5 Hektaren Winterweizen angesät. Im Ackerbau arbeitet der Gemeinschaftshof im Rahmen einer Fruchtfolgegemeinschaft mit Roland und Mariette Heuberger zusammen, die in allernächster Nähe ebenfalls einen Biohof bewirtschaften.

"Neben der Vielfältigkeit müssen die Kulturen auch wirtschaftlich sein", sagt Heuberger. Das Experiment gehe weiter, Ideen seien vorhanden. So liebäugelt er mit dem Anbau von Kräutern, einigen Bienenvölkern und einer leichten Ergänzung der Tierhaltung mit Wollschweinen. «Wir sind offen, experimentieren und sammeln laufend Erfahrungen.»

Wichtig ist der Gemeinschaft aber auch der ökologische Aspekt in ihrem Tun. Hecken, Steinhaufen, Ruderalflächen, Teiche, Wasserläufe sind wichtige Rückzugsorte für Wildtiere und Pflanzen. Solche Massnahmen zur Stärkung der Artenvielfalt werden Schritt für Schritt geplant und nach Möglichkeit umgesetzt. Während der Phase der Konzeptplanung waren ihm die Gespräche mit Fachleuten beim BBZ Arenenberg und beim FiBL wichtig. Sich auf vorhandenes Wissen und Erfahrungen anderer abzustützen, war im Planungsprozess von entscheidender Wichtigkeit für das Gelingen der ersten Schritte, ist Heuberger heute überzeugt.

Begegnung zwischen Stadt und Land

"Es ist uns wichtig, dass der Hof funktioniert und landwirtschaftsferne Leute die Möglichkeit haben, mitzuarbeiten", so Heuberger weiter. Die Produkte sollen, wenn möglich in der Region bleiben und nicht quer durch die Schweiz transportiert werden. Zudem ist der Gemeinschaft wichtig, dass der Hof ein Ort der Begegnung zwischen Stadt und Land wird, aber auch ein Ort der Auseinandersetzung rund um die Ernährung und Agrarkultur in einer Welt mit begrenzten Ressourcen. Grosse Unterstützung erhält das Kernteam vom Förderverein Förderband, der inzwischen auf gut 120 Mitglieder angewachsen ist. Von diesen arbeiten 20 bis 30 regelmässig oder punktuell als Freiwillige auf dem Hof mit. "Besondern bei der Ernte von Himbeeren, Äpfel und Zwetschgen sind wir um jede Hand froh", erklärt Heuberger.

Insgesamt haben in den vergangenen Jahren über 80 Personen mitgearbeitet, was ihn zuversichtlich stimmt. Es sind dies Menschen, die sich intensiv mit Fragen rund um Ernährung und nachhaltiger Landwirtschaft auseinandersetzen und bereit sind, auch selber Hand anzulegen. Sie kommen aus der näheren und weiteren Umgebung, aber doch vorwiegend aus den Städten und suchen den Kontakt mit dem Boden, dem Erdigen als Ausgleich, zu ihren kopflastigen Berufen. Die jährlich stattfindenden Gabris-Gespräche, zu denen externe Fachleute zu den Themen Landwirtschaft und Ernährung eingeladen werden, kommen gut an und der Newsletter von Kurt Seifert, den er im Auftrag des Vereins Förderband vierteljährlich verschickt, erreicht heute bereits 250 Interessierte.

Der sonnige Herbsttag hat in der Zwischenzeit seinen warmen, satten Glanz verloren, die Luft wird diesig, während die Sonne am Horizont untergeht. Kurt Seifert und sein Freund rollen den restlichen Zaundraht zusammen, versorgen Hammer und Zange auf dem Anhänger. Sie schauen zufrieden auf ihr Tagwerk. Karl Heuberger nickt ihnen anerkennend zu: "Gut gemacht, nun haben die Rehe keine Chance unsere Stauden abzufressen", sagt es und startet den kleinen Traktor, mit welchem er seine kostbare Fracht, die beiden Freiwilligen, über den Feldweg zum Hof zurück kutschiert. 

Ruth Bossert, lid