Hamstern wäre so einfach. Kaum hat der Lift eine Schar Besucher ausgespuckt, sehen sie sich mehr als mannshohen Wänden voller herausklappbarer Kartonschachteln gegenüber. Jede Schachtel ist gefüllt mit Kaffeepulverbeuteln. 2,5 Millionen Sticks waren es, bevor der erste Besucher den Pavillon betrat. Mitnehmen kann man so viel man will. Die einzige Stimme, die einem eventuell aufhalten könnte, ist jene des eigenen schlechten Gewissens.


Über Konsumverhalten nachdenken


Aber da ist noch mehr! Die Verlockung geht weiter: Im nächsten Raum gibt es Packungen mit Öpfelringli (420'000 Plastiksäckli). Einen Raum weiter folgen Salzwürfel (2 Millionen Päckli à 5 Gramm). Nur im letzten Raum ist Hamstern nicht mehr ganz so einfach. Es gibt zwar Mehrwegbecher (350'000) zum Mitnehmen, aber das Wasser dazu kommt aus einem Hahn direkt vor Ort. Von 96'00 Litern sind am Tag nach der Eröffnung noch 95'947 verfügbar, verrät eine Leuchtanzeige. Eine Momentaufnahme.


Dass man während des Besuchs der vier 15 Meter hohen Türme des Schweizer Pavillons über sein eigenes Konsumverhalten nachdenkt, ist die Absicht hinter dem Schweizer Auftritt. Das Verantwortungsbewusstsein jedes Besuchers entscheidet, wie lange wie viel für die anderen nach ihm übrig bleibt. 800 Besucher werden pro Stunde in den Türmen erwartet, pro Tag macht das 16'000. Bis die Expo nach sechs Monaten ihre Tore schliesst, werden drei Millionen Besucher durch den Pavillon geschlendert sein. Während sich die Türme allmächlich leeren, senken sich die Plattformen und die Struktur des Pavillons verändert sich. Nach der Expo sollen die Türme in der Schweiz als urbane Gewächshäuser genutzt werden.

Das Schweizer Parlament sprach 2012 für die Teilnahme an der Expo Milano einstimmig einen Kredit von 23,1 Mio Franken. 8 Millionen mussten von Sponsoren finanziert werden. Die Schweizer Land- und Ernähungswirtschaft steuerte 2 Millonen für die Präsentation landwirtschaftlicher Produkte bei.

Kulinarische Tour de Suisse


Genau dafür verfügt der Pavillon über ein Restaurant. Auf der Speisekarte stehen zum Beispiel eine Käseauswahl, Zürcher Geschnetzeltes, Puschlaver Pizzoccheri, Tessiner Polenta, Fondue moitié-moitié, aber auch Felchen aus dem Genfersee. Auf jedem Gedeck liegt ein iPad. Über dieses kann der Besucher sein Essen bestellen, er kann aber auch in einem Quiz testen, wie viel er über die Schweiz und deren Landwirtschaft weiss und sich ganz generell darüber informieren.


145 Länder nehmen an der Expo teil


Landestypische Küche gibt es in vielen Pavillons zu geniessen.  145 Länder und drei internationale Organisationen nehmen an der Expo Milano teil, deren Motto «Den Planeten ernähren – Energie für das Leben» lautet. Die Pavillons sind sehr vielfältig. Österreich zum Beispiel hat einen ganzen echten Wald, komplett bis auf Moos und Blumen, gepflanzt. Andere Pavillons erinnern in ihrer Bauform an die jeweiligen Länder, sehen z.B. wie ein traditioneller Tempel aus. Auf dem ein Quadratkilometer grossen Gelände verteilen sich die Besucher recht gut, trotzdem bilden sich am Nachmittag teilweise Schlangen vor den Ausstellungen. 20 Millionen Besucher werden bis Ende Oktober erwartet, da­runter über 70 Staats- und Regierungschefs. Angela Merkel will sich genauso die Ehre geben wie François Hollande, David Cameron und Wladimir Putin. Letztere werden sich aber vermutlich nicht auf den Grünflächen fläzen wie der Durchsnittsbesucher, sünnele und die Karte studieren, um herauszufinden, wohin sie als Nächstes wollen.


Zu sehen gibt es genug. Selbst der Vatikan ist mit einem eigenen Pavillon vertreten. Papst Franziskus erinnerte bei der Eröffnungsfeier in einer Video-Botschaft an die hungernden Menschen in aller Welt. Dabei bezeichnete er die Expo als «eine Gelegenheit, um die Solidarität zu globalisieren».

Viel Kritik und negative Schlagzeilen im Voraus


Vor der Eröffnung herrschte nicht nur eitel Sonnenschein. 6400 Bauarbeiter waren im April auf den Baustellen der Expo im Dauereinsatz. Es hagelte Schlagzeilen, es werde längst nicht alles fertig sein. Expo-Chef Giuseppe Sala zeigte sich noch im April gegenüber der Nachrichtenagentur APA zuversichtlich: «Auch wenn einiges bis zum 1. Mai nicht fertig sein wird, werden das die Besucher nicht merken.»


Doch der Besucher merkt es sehr wohl, denn diverse Pavillons sind noch nicht offen, zum Beispiel jener von Tansania. Im Pavillon von Sudan sitzt ein vereinsamter Souvenirverkäufer, einen Raum weiter stehen ein Schreibtisch, ein Stuhl und leere Getränkeflaschen. Gerade versteckte Winkel und Ecken des Geländes sind am Tag nach der Eröffnung noch baustellengleich. Eine Leiter hier, nicht weggebrachter Bauschuttt da, noch plastikverpackte Anzeigetafeln dort.

«Wir haben bereits ein halbes Wunder vollbracht, wenn man bedenkt, dass die Bauarbeiten wegen Antikorruptionsermittlungen lange Zeit auf Eis gelegt waren», hielt Expo-Chef Sala gegenüber APA schliesslich kurz vor der Eröffnung fest. Letztes Jahr waren sieben Manager wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen worden. Unter anderem ging es um illegale Autragvergaben. Danach waren die Baustellen längere Zeit lahmgelegt. Zu den Bauverzögerungen kamen Klagen über eine chaotische Organisation und die Verschwendung öffentlicher Gelder.

Nach der Eröffnung protestierten im Stadtzentrum Hunderte Menschen. Kritisiert wurden einmal mehr die hohen Kosten sowie die Beteiligung grosser Lebensmittelkonzerne als Sponsoren. Die Demonstranten warfen Feuerwerkskörper und Flaschen, Autos wurden in Brand gesteckt, Wände verschmiert. Die Polizei hielt mit Tränengas und Wasserwerfern dagegen.

Gastgeber erwarten Wachstumsimpuls


Italien erhofft sich viel von der Expo, die nach 1906 bereits zum zweiten Mal in der lombardischen Hauptstadt stattfindet. Nach sieben Jahren Krise soll die Weltausstellung unserem Nachbarland ein kräftiges Wirtschaftswachstum bescheren. So soll allein der Fremdenverkehr mit 5 Milliarden Euro profitieren.

1,3 Milliarden Euro lässt sich das der italienische Staat kosten, 350 Millionen steuern private Investoren bei. Die Teilnehmerländer legen eine Milliarde Euro dazu.

Aller vorauseilenden Kritik zum Trotz, die Expo Milano kann sich mit all ihrer farbenfroher Architektur sehen lassen. Und dank den Extrazügen aus der Schweiz direkt an die Messe liegt Mailand plötzlich noch näher.  

Jeanne Woodtli, Mailand