Die Gemeinde Nuglar-St. Pantaleon im solothurnischen Jura ist eine Hochburg der Hochstamm-Obstbäume. Rund 10'000 sind es, die dicht an dicht auf den Feldern stehen. Damit kommen auf einen Einwohner rund sechs Hochstammbäume. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Denn wo andernorts die Landschaft leergeräumt wurde, blieb der Bestand in Nuglar-St. Pantaleon weitgehend stabil.
Zu verdanken ist das Personen wie Martin Heller. Der 55-jährige Obstbauer und Co-Präsident von Hochstamm Suisse kümmert sich mit viel Herzblut um seine 150 Feldobstbäume. Er habe den Hochstamm-Anbau quasi in den Genen, sagt Heller mit einem Lachen. Bereits sein Vater und Grossvater hätten Kirschen, Äpfel und Zwetschgen auf Hochstammbäumen kultiviert. Einige Bäume seien um 100 Jahre alt.
Derzeit ist Heller mit den letzten Vorbereitungen für die Kirschenernte beschäftigt, Ende Juni wird er die ersten Früchte pflücken. Der Behang sei gut, Heller rechnet denn auch mit vielen Kirschen.
Trotzdem ist der Solothurner Obstbauer angespannt. Seine Sorge hat einen Namen: Kirschessigfliege. Das winzige Insekt, das 2011 erstmals in der Schweiz gesichtet wurde, legt mit Hilfe eines sägenden Stachels ein oder mehrere Eier in die intakten Früchte. Daraus entwickeln sich weisse Maden, die sich vom Fruchtfleisch ernähren. Die Kirschen verlieren in der Folge an Festigkeit, fallen ein, beginnen zu faulen – und können nicht mehr verkauft werden.
Beschränkte Gegenmassnahmen
Im letzten Jahr hat "Drosophila suzukii", wie die Kirschessigfliege zoologisch heisst, teils grosse Schäden an den Obstkulturen angerichtet. Hochstammbäume waren laut der Forschungsanstalt Agroscope am stärksten betroffen. Im Baselbiet, einem der wichtigsten Kirschen-Anbaugebiete der Schweiz, gab es Schäden, die bis zum Totalausfall reichten.
Besser sah es bei Kirschen aus Obstanlagen aus. Denn diese lassen sich besser schützen, weil verschiedene Massnahmen einfacher miteinander kombiniert werden können. "Als besonders wirksam erwiesen sich beispielsweise seitliche Insektenschutznetze, mit der Obstanlagen vor Zuflug gut geschützt werden", erklärt Stefan Kuske von Agroscope.
Nur: Hochstammbäume lassen sich nicht mit Netzen einpacken – zu gross wäre der Aufwand. "Die Bekämpfung der Kirschessigfliege ist bei Feldobstbäumen erschwert", so Kuske weiter. Eine griffige Strategie gegen das aus Asien eingeschleppte Insekt gebe es noch nicht. Es laufen in diesem Jahr aber diverse Versuche zur Prüfung alternativer Pflanzenschutzstrategien im Feldobstbau.
Aufwand nimmt zu
Kopfweh bereitet den Hochstammproduzenten nicht nur die Kirschessigfliege, sondern auch ein altbekannter Schädling: Die Kirschenfliege. Deren Bekämpfung wird in Zukunft aufwändiger.
Bis anhin hielten die Obstbauern die Kirschenfliege mit Spritzmitteln in Schach, die den Wirkstoff Dimethoat enthielten. Per 2013 hat der Bund diese Insektizide, die während rund 40 Jahren standardmässig zum Einsatz kamen, wegen gesundheitlicher Bedenken verboten. Seither durften Obstbauern Dimethoat-haltige Spritzmittel zwar noch verwenden, allerdings nur unter verschärften Auflagen und nur auf Basis einer Sonderbewilligung, über die das Bundesamt für Landwirtschaft jedes Jahr neu entscheidet.
"Dimethoat wird eines Tages wegfallen, das ist ziemlich sicher", erklärt Andreas Buser, Leiter Ressort Spezialkulturen am Landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain in Sissach BL. Ein definitives Verbot werde vor allem für die Hochstammbäume zum Problem.
Denn mit den alternativen Spritzmitteln reiche eine Behandlung nicht mehr aus, wie es beim Dimethoat der Fall war. Um madenfreie Kirschen zu garantieren, seien deshalb zwei weitere Spritzdurchgänge im genau richtigen Reifestadium nötig. Ein immenser Zusatzaufwand sei das, gibt Buser zu bedenken. Denn Hochstammobstbäume stünden meist wild verteilt in der Landschaft. "Oft handelt es sich bei den einzelnen Bäumen um unterschiedliche Sorten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gespritzt werden müssen", so Buser.
Massenmarkt fehlt
Ob sich dieser Mehraufwand beim Pflanzenschutz rechnet, ist angesichts der aktuell unsicheren Marktsituation fraglich. Zum ersten Mal überhaupt konnten sich heuer Händler, Produzenten und Verarbeiter nicht auf einen Richtpreis bei den Konservenkirschen einigen.
Den Verarbeitern waren die Preisvorstellungen der Obstproduzenten zu hoch. Ins Feld führten sie hohe Lagerbestände aus dem Grosserntejahr 2014 sowie den starken Franken, der Exporte verunmöglicht und Importe begünstigt. Obstbauern befürchten deshalb, ihre Kirschen zu tiefen Preise verkaufen zu müssen oder aber auf ihren Früchten sitzen zu bleiben.
Die gescheiterten Richtpreisverhandlungen sind Ausdruck eines Umfeldes, das sich in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Durch den Abbau von Zöllen, der Aufhebung von Steuerprivilegien für Schweizer Schnaps und der Streichung von Exportbeiträgen sind Brenn- und Konservenkirschen, die beiden wichtigsten Verwertungskanäle von Hochstammkirschen, stark unter Druck gekommen: Die Nachfrage nahm ab, Produzentenpreise erodierten. Doch nicht nur in der Verarbeitung verloren Hochstammkirschen an Bedeutung, auch als Tafelkirschen sind sie heute weniger gefragt als noch vor ein paar Jahren.
"Das Problem bei den Kirschen ist, dass es kein vergleichbares Produkt wie Apfelsaft gibt, wo grosse Mengen in haltbarer Form absetzbar sind", so Buser. Die Beliebtheit von Süssmost sorge dafür, dass es eine konstant hohe Nachfrage nach Äpfeln gebe. Hochstammkirschen werden in erster Linie zu Schnaps verarbeitet oder für Herstellung von Konfitüre, Backwaren oder Joghurts verwendet – alles keine Boommärkte.
Labelproduktion bringt Erfolg
Stephan Durrer, Geschäftsführer von Hochstamm Suisse, erklärt, dass die Zukunft der Hochstamm-Kirschen nicht in der Massen-, sondern in der Labelproduktion liege.
Mit anderen Worten: Produkte mit Hochstammkirschen sollen auch als solche vermarktet werden, ausgelobt mit dem Hochstamm Suisse-Logo. Kunden seien bereit, für solche Produkte einen Mehrpreis zu bezahlen. Davon profitieren die Obstbauern in Form höherer Preise. Damit soll die aufwändigere Pflege und Ernte der Hochstammbäume abgegolten werden.
Hochstamm Suisse hat in den letzten Jahren einige neue Absatzkanäle erschliessen können. So hat Coop vor einiger Zeit eine Wähe und ein Joghurt mit Hochstamm-Kirschen ins Sortiment aufgenommen. Mittlerweile komme man bei den Konservenkirschen auf einen Marktanteil von 20%, so Durrer. Es bestehe noch Luft nach oben.
Potenzial ortet Durrer zudem im Tafelbereich. Man arbeite derzeit an einem Projekt, das zum Ziel hat, Hochstammkirschen für den Frischkonsum neu zu lancieren. Verkauft werden sollen die Hochstammkirschen nicht bei Migros und Coop, sondern im Direktverkauf. Als Vorbild dient die Aprikosensorte Luizet, die es im Handel zwar nicht mehr gibt, im Direktverkauf aber noch in grosser Mengen abgesetzt wird.
Andreas Buser sieht langfristig eher schwarz für den traditionellen Hochstamm-Kirschenanbau. Zwar gebe es einen Markt für Hochstamm-Produkte, dieser sei aber zu klein, um den heutigen Baumbestand zu retten. "Produzenten, für die der Hochstammanbau ein wichtiges Standbein ist, werden den zusätzlichen Aufwand beim Pflanzenschutz in Kauf nehmen", so Buser. Die anderen würden es darauf ankommen lassen.
Obstproduzent Martin Heller will an den Hochstammbäumen festhalten. Er betreibt seit einigen Jahren auch eine Niederstamm-Obstanlage, über deren Modernisierung er derzeit nachdenkt. "Wenn die Tochter in ein paar Jahren den Betrieb übernimmt, wird sie vermutlich eher auf Niederstamm setzen", glaubt Heller. Weil der Pflanzenschutz einfacher und das Pflücken weniger gefährlich seien.
Michael Wahl, lid