„Die Schweiz hat ein Gegenmodell zur Billig-Massenproduktion in Tierfabriken aufgebaut“, sagt Hansuli Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes STS. Das Gegenmodell besteht in Form tierfreundlicher Labels; Gütesiegel, die Produkte aus tierfreundlicher Haltung auszeichnen und es dem Konsumenten ermöglichen, Fleisch und Eier nach Kriterien des Tierwohls auszuwählen. Eine tiergerechte Haltung ist eine Voraussetzung dafür, dass die Tiere gesund sind und weniger Antibiotika benötigen.
Eine Tierschutz-Erfolgsstory
Die Schweiz ist heute dank der Labelproduktion weltweit führend in der Erzeugung und Vermarktung von Produkten aus tierfreundlicher Haltung. Huber bezeichnet diesen Weg als Tierschutz-Erfolgsstory. Labels haben Millionen von Tieren zu mehr Platz, freier Bewegung, Stroh zum Liegen und Auslauf ins Freie verholfen.
Begonnen hatte es schon vor 40 Jahren, als der STS und Kagfreiland Eier aus Boden- und Freilandhaltung auszeichneten. 1981 entstand das Label „Naturabeef“ und 1987 das Label „Agrinatura/Gourmet mit Herz“. Richtig aufwärts mit Produkten aus tierfreundlicher Haltung ging es ab den 1990er Jahren, berichtet Huber, als Coop und Migros ernsthaft in die Labelproduktion einstiegen. Auch begann damals die Agrarpolitik, tierfreundliche Ställe und Freilandhaltung mittels spezifischer Direktzahlungen zu fördern, was zusammen mit den Labels Synergien erzeugte. Heute dürfte der Umsatz mit Schweizer Produkten aus tierfreundlicher Haltung um etwa 3,5 Milliarden Franken jährlich liegen, das heisst bei ungefähr CHF 1‘000.- pro Haushalt.
Keine Extremforderungen
Wo es Labels gibt, braucht es auch Kontrollen dank derer diese ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. So entstand der STS-Kontrolldienst, der dieses Jahr auf 20 Jahre Akkreditierung durch die Schweizerische Akkreditierungsstelle (SAS) zurückblickt. Diese bestätigt ihm seit 1996 die Anerkennung der Kompetenz für die Durchführung von Label-Kontrollen.
„Wir sind nicht einfach Kontrolleure, sondern Tierschützer“, ergänzt Cesare Sciarra, der Leiter der Kontrollstelle. Er und seine 12 Mitarbeiter arbeiten auch an den Richtlinien der Programme mit, die sie kontrollieren. So habe der Kontrolldienst zum Beispiel die Gruppenhaltung von Galt- und Decksauen erfolgreich eingeführt und gezeigt, dass Abferkelbuchten ohne Fixation der Sau technisch möglich und wirtschaftlich sind. Die Auslaufhaltung von Kälbern und die Freilandhaltung von Masthühnern und Legehennen haben unter stetem Druck der Kontrollstelle Eingang in die Praxis gefunden.
„Nicht Extremforderungen sind das Mass der Dinge, sondern das für möglichst viele Nutztiere Um- und Durchsetzbare“, betont Sciarra. Doch nicht nur in der Tierhaltung, sondern auch beim Tiertransport und im Schlachthof engagiert sich der Kontrolldienst für das Wohl der Tiere. So hat er im Jahre 2015 neben 1‘800 Tierhaltungskontrollen 227 Transportkontrollen und 22 Schlachthofaudits durchgeführt.
Kontrollen sind unangemeldet
„Ein zentraler Punkt unserer Kontrollarbeit ist, dass die Kontrollen einmal jährlich unangemeldet stattfinden“, sagt Sibylle Kauer, Qualitätsverantwortliche Kontrolldienst STS. Der gesetzliche Tierschutz und die Direktzahlungsprogramme verlangen dagegen nur mindestens eine Kontrolle alle vier Jahre. Davon müssen nur mindestens 10 Prozent nicht angemeldet sein. Gerade bei den qualitativen Tierschutzvorgaben wie der Strohgabe oder dem Zugang ins Freie können angemeldete Kontrollen nicht wirklich wirken, ist Kauer überzeugt. Regelmässige, unangemeldete Kontrollen seien zwar aufwändig, aber nur sie machten das Labels glaubhaft.
Die amtlichen Kontrollen, welche die Behörden regelmässig beim Tiertransport und der Schlachtung durchführen, betreffen schwerpunktmässig die Bereiche Verkehrssicherheit bzw. Fleischhygiene. Bei der Kontrolle der eigentlichen Tierschutzvorgaben gibt es zwischen den Kantonen grosse Unterschiede. Die Arbeit des Kontrolldienstes liegt bei ganz konkret feststellbaren und einheitlichen Kriterien, die das Tierwohl betreffen wie zum Beispiel das Auf- und Abladen auf den Lastwagen, das Treiben im Schlachthof oder das Überprüfen der Betäubungssicherheit vor der Schlachtung.
Label ist bei weitem nicht Standard
Vieles konnte dank der Zusammenarbeit von Bauern, STS und Detailhandel erreicht werden. Auch die Politik hat viel zur Förderung des Tierwohls bei den Nutztieren beigetragen. Doch ob der Markt bei Produkten aus tierfreundlicher Haltung weiter wachsen wird, ist nach Meinung von Huber im Moment höchst fraglich. Es könne sogar eine Rückwärtsbewegung einsetzen.
Gründe dafür sieht Huber darin, dass die Politiker heute weniger bereit sind, an einem Gegenmodell gegen die fabrikmässige, weltweite Massentierhaltung mitzuarbeiten. Zunehmende Grenzöffnungen und Diskussionen über den Freihandel begünstigen Billiglinien ohne Rücksicht darauf, wie die Tiere gehalten werden.
Doch auch Schweizer Produkte stammen nicht per se aus tierfreundlicher Haltung. Mittlerweile glaube die Mehrzahl der Menschen in der Schweiz, dass die Label-Tierhaltungsbedingungen Schweizer Standard seien, nämlich dass alle Tiere im Land Auslauf, Stroh zum Liegen und mehr Platz hätten, so Huber. In dieser falschen Annahme würden Konsumenten und Gastronomen gutgläubig konventionelle Herkünfte nach nachfragen, die lediglich die largen gesetzlichen Tierschutzvorschriften zur Bedingung hätten. Im Gastrokanal spielen Produkte aus tierfreundlicher Haltung bis heute nur eine untergeordnete Rolle.
Michael Götz, lid