LID: Es ist oft die Rede davon, dass sich Schweizer Agrarprodukte durch besonders hohe Qualität von der Konkurrenz abheben sollen. Tun sie dies?
Markus Lips: Ja, Agroscope konnte für verschiedene europäische Länder die Milchqualität in Form von Zell- und Keimzahlen pro Milliliter vergleichen. Dabei schneiden die Schweizer Bauern deutlich besser ab als ihre Kollegen aus dem Ausland.
Wo ist noch Potenzial vorhanden?
In den letzten Jahren haben sich die Label-Produkte wie Bio oder "Aus der Region" sehr gut entwickelt. Typischerweise erfüllen sie zusätzliche Anforderungen bei der Produktion, sind im Endprodukt aber kaum oder nur schwer unterscheidbar. Im Unterschied dazu gibt es Produkte mit einem zusätzlichen Qualitätsmerkmal, das für die Konsumenten sicht- oder schmeckbar ist. Ein Beispiel ist die Blaue St. Galler Kartoffel, die sich durch ihre Farbe unterscheidet. Obwohl etliche ermutigende Beispiele vorhanden sind, führen qualitativ differenzierte Produkte aus der Landwirtschaft zurzeit noch ein Schattendasein. Entsprechend sehe ich hier eine Chance für die Schweizer Landwirtschaft.
Bisher wird im Detailhandel stark auf Labels mit unterschiedlichen Zielen gesetzt, während eine Differenzierung nach Produktqualität eher noch in den Kinderschuhen zu stecken scheint. Aus welchem Grund?
Als wir uns vor zwei Jahren erstmals damit auseinandersetzten, staunten wir über diese Tatsache. Einerseits kommen die Innovationen hauptsächlich von der Lebensmittelverarbeitung. Die Schokoladen-Industrie bringt beispielsweise so viele neue Produkte auf den Markt, dass ich mit dem Probieren gar nicht nachkomme. Andererseits ist der Weg vom Feld ins Regal der Grossverteiler lang und steinig. Es braucht eine gemeinsame Vision aller Partner in der ganzen Wertschöpfungskette, was sicherlich nicht einfach zu erreichen ist.
Wie können die besonderen Qualitäten eines Produkts den Konsumenten näher gebracht werden?
Wichtig ist abzuschätzen, ob die Konsumenten eine Zahlungsbereitschaft für ein zusätzliches Qualitätsmerkmal haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass verschiedenfarbige Kartoffel-Produkte oder Weizen mit einem garantiert tiefen Mykotoxingehalt nachgefragt werden. Letztlich gilt es den Versuch, sprich eine Markteinführung, zu starten, was für die ganze Wertschöpfungskette eine Herausforderung darstellt.
Bei vielen qualitativ differenzierten Produkten handelt es sich um Nischenprodukte. Werden diese eine Nische bleiben oder sehen Sie Möglichkeiten, sie breiter bekannt und vermarktbar zu machen?
Von den 32 Beispielen, die wir ausfindig machen konnten, hat es eine stattliche Gruppe bereits zu den Grossverteilern geschafft. Die Kartoffel Amandine, der Rheintaler Ribelmais und die Wiesenmilch sind im Migros-Sortiment, Coop verkauft die Ochsenherztomate, die Blaue St. Galler Kartoffel und farbige Karotten. Ich halte es für durchaus möglich, dass weitere Produkte mit einem zusätzlichen Qualitätsmerkmal sich aus den kleinen Nischenmärkten verabschieden und von den Grossverteilern zukünftig angeboten werden.
Wie kann eine bessere Produktqualität ausgelobt werden, ohne dabei Mitbewerber zu diskriminieren?
Bei der Sensorik ist dies einfach möglich. Im Bereich der Sicherheit und Gesundheit ist die Kommunikation viel herausfordernder. Beim Mykotoxin, einem Giftstoff der von Pilzen gebildet wird, die Weizen befallen, ist die öffentliche Diskussion in einer ganz frühen Phase.
Wie lässt sich die Produktqualität objektiv feststellen und welche Aspekte beinhaltet der Begriff?
Bei den zusätzlichen Qualitätsmerkmalen von landwirtschaftlichen Produkten sind zwei Bereiche besonders interessant: Die Sensorik bezieht sich auf die Farbe, den Geschmack oder die Beschaffenheit, d.h. ob etwas körnig oder knackig ist. Beim zweiten Bereich, Sicherheit und Gesundheit, sind die Rückstände von Medikamenten oder Pflanzenschutzmitteln im Fokus.
Sehen Sie Trends, in welchen Lebensmittelbereichen die Kunden nach mehr Qualität verlangen werden?
Das Bedürfnis nach mehr Sicherheit und Gesundheit nimmt zu. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die antibiotikafreie Produktion. Aber auch beim Genuss, den sensorischen Eigenschaften, wird das Bedürfnis nach neuen Geschmacksrichtungen anhalten. Wir Konsumenten mögen Abwechslung.
Im September findet bei Agroscope in Tänikon eine Veranstaltung zur wirtschaftlichen Chance von Qualitätsprodukten statt. Weshalb und wie engagiert sich Agroscope in diesem Bereich?
Wir sind überzeugt, dass zusätzliche Qualitätsmerkmale eine wirtschaftliche Chance für die Landwirtschaft darstellen. Mit der Veranstaltung machen wir auf die Möglichkeiten von Produktdifferenzierungen aufmerksam. Wir möchten alle Akteure der Wertschöpfungskette ermutigen, sich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen. Ich bin überzeugt, dass viele Betriebsleiter weitere Ideen für zusätzliche Qualitätsmerkmale haben.
Jonas Ingold, lid