Während das Heidiland schwitzt und schmachtet, schenkt mir dieselbe Sonne auf der Südhalbkugel tagtäglich angenehme 20-24 Grad Celsius. Es ist Trockenzeit in Sambia, es ist „Winter“. Farblich „herbschtelet“ es aber eher: die Gräser sind gelb-braun, die Blätter welken vor sich hin. Der Himmel gab schon lange kein Tröpfchen Regen mehr her. Alles, was jetzt noch in saftigem Grün steht, wird künstlich bewässert. Das Vieh in Kasisi findet nur noch wenig Weidegras. Und leider ist auch aus dem Heu nicht viel MJ NEL, APDE und APDN (für die Milchproduktion verfügbare Energie und Proteine) herauszuholen.
Die Genossenschaftsmitglieder, mit denen ich am KATC in Kontakt gekommen bin, sind von der Idee beseelt, mit der Milch ihrer zwei jüngst in Darlehensform erhaltenen Milchkühe Wertschöpfung zu betreiben („adding value“) – logisch: um dadurch mehr damit zu verdienen. Schliesslich müssen sie der Mikrokreditbank das Darlehen mit happigen Zinsen zurückzahlen. Ginge es nach den Vorstellungen der KleinbäuerInnen, würden sie noch heute grandios mit der Käseherstellung beginnen und bereits morgen damit einen sensationellen Milchpreis erwirtschaften – irgendwie. Ich musste also ein klein wenig den Spielverderber spielen und die Käse-AspirantInnen auf den Boden der Realität (meiner Realität?) zurückholen, was natürlich unschön war – schliesslich bin ich ja gekommen, um die Leute hier zu unterstützen. Aber das Käsen ist nun einmal eine aufwändige, delikate Angelegenheit, die eine minimale Infrastruktur und ein paar Utensilien erfordert. Zudem fragt es sich, oder vielmehr ich frage mich: Wie kommt der Käse zu den KundInnen? Wer und wo sind diese überhaupt?
Immerhin, so dachte ich, könnte ich den KleinbäuerInnen fürs Erste zeigen, wie man einen gutschweizerischen Vollmilchziger herstellt. Der Vorteil gegenüber der Käseherstellung: bei der Zigerfabrikation braucht es nur wenige Hilfsmittel und Utensilien. Zitronen, deren Saft man beim Zigern zur Eiweissausflockung verwenden kann, wachsen auf den Höfen der BäuerInnen. Salz dürften die meisten in ihrem Haushalt haben, einen Kochtopf mit Kelle auch, und einen Chitenge (traditionelles, buntes Baumwolltuch, das die Frauen als Wickelrock und für den Warentransport benutzen) als zweckentfremdetes Abtropftuch sowieso.
Also fuhr ich mit dem KATC-Chauffeur Mr. Tembo in den Busch, je einen Tag in die Dörfer Njolwe, Mphango und Kanakantapa, wo ich mit den KleinbäuerInnen einen „Swiss Ziger Cheese“-Workshop durchführte. Das Interesse war rege und das Staunen gross, als nach Beigabe des Zitronensafts in die kochende Milch das Eiweiss ausflockte. Um die Abtropfzeit im Tuch zu überbrücken, zeigte ich den Teilnehmenden des ersten Workshops Fotos von meinem letzten Sommer auf der Alp Rengg im Kiental. Dabei erläuterte ich die Alpwirtschaft und versuchte verständlich zu machen, dass die ursprüngliche Idee des Käsens nicht einfach darin bestand, der Milch einen Mehrwert zu geben. Primär war die Käseherstellung eine Konservierungstechnik für die leicht verderbliche Milch, für die es in den alpinen Sömmerungsgebieten zu wenige KonsumentInnen gab. Und ich betonte, dass das Käsen nebst der erforderlichen Einrichtung und der Arbeit einen weiteren Preis hat: die Ausbeute ist gering.
Leider überlebte das Notebook, auf dem meine Fotos gespeichert waren, die holprige Rückfahrt über die Landstrasse mit den vielen Schlaglöchern nicht. Und so musste für die folgenden zwei Workshops der etwas gar urchige Bilderband „Die Alp und ihr Käse“ aus den frühen 1980er Jahren herhalten, den mir eine Freundin gegen die Alpsehnsucht nach Sambia geschickt hat. Nun glauben die Menschen in Mphango und Kanakantapa also, dass alle Schweizer in den Bergen leben, Vollbärte haben und geflickte Hosen tragen. Sie meinen, dass alle Kühe in der Schweiz horntragend sind und auf den steilen Weiden von Hand gemolken werden. Und sie denken, dass in der Schweiz die Buben Kinderarbeit verrichten, anstatt zur Schule zu gehen. (Wieso hat die DEZA angesichts dessen eigentlich kein Inlandprogramm?) Jedenfalls danke, Nathalie, für das repräsentative (?!) Buch über die Schweiz!
Und ja: die Reaktionen bei den jeweils anschliessenden „Swiss Ziger Cheese“-Degustationen waren in allen drei Dörfern etwas verhalten, die Gewinnerwartungseuphorie war abgeflaut. Ich musste einmal mehr zur Kenntnis nehmen, dass das mir Plausible hier nicht immer Anklang findet. Wie dem auch sei: Die hohe Kunst des Käsens nach sambischer Art muss sich auf dem Weg zu ihrer Entwicklung wohl noch etwas gedulden.
Markus Schär