Gross, schlank, blond und hübsch ist Brigitte Meier. An einem Zahn und an ihren Ohrläppchen glitzern kleine Schmuckstückchen, zwischen ihrem linken Ohr und dem bis oben geschlossenen Rollkragenpullover blitzt ein Tatoo hervor.
Wenn sie von ihrem Beruf erzählt, leuchten ihre blauen Augen. Wenn sie im Stall hinter der Kuh steht und die Besamungsspritze gekonnt und routiniert einführt, glaubt man kaum, dass diese junge Frau erst 22 Jahre alt ist.
Nun kommt halt eine Frau in den Stall
«Ich bin noch jung, das stimmt, und ich bin auch erst seit einem guten halben Jahr alleine auf der Besamungstour unterwegs», erzählt sie, während sie ihre Utensilien im Geschäftswagen von Swissgenetics verstaut.
Anfangs seien die Landwirte schon erstaunt gewesen, dass da plötzlich eine weibliche Besamungstechnikerin im Stall stehe, doch heute haben sie sich an mich gewöhnt, erzählt sie.
Den grössten Teil ihrer Kundschaft sieht Brigitte Meier regelmässig. Der optimale Zeitraum einer Besamung liegt zwischen 8 und 24 Stunden nach den ersten Brunstsymptomen. Und selbst dann sei der Besamungserfolg nicht gegeben. «Unsere NR-Rate (Non-Return-Rate ist der Prozentsatz der Kühe, die nach 56 Tagen zu keiner Nachbesamung vorgestellt werden) liegt bei ungefähr 71,6 Prozent», weiss die Fachfrau.
Gar nicht so einfach, die Bauernhöfe zu finden
So melden die Landwirte ihre stierigen Kühe bei Swissgenetics bei der jeweiligen Besamungsgruppe an, und Brigitte Meier erhält so ihre Kundschaft zugeteilt. Wie sie die 18 bis 28 Bauernbetriebe pro Tag dann ansteuert, sei ihr überlassen, erklärt sie und seufzt.
Die abgelegenen Bauernhöfe zu finden war zu Beginn oft ihr grösstes Problem, und trotz GPS habe sie sich schon telefonisch bei Kollegen oder beim gesuchten Landwirt die Anfahrt erfragen müssen.
Seit einem halben Jahr ist sie zusammen mit sechs weiteren Besamungstechnikern in der Gruppe Thurgau unterwegs und fährt täglich zwischen 150 und 200 Kilometer.
Udoro gibt den Samen für Ursi
Als Brigitte Meier heute auf dem Hofplatz im Schloss Herdern hält, steht Alfred Von Ah, Chef der Rindviehhaltung und verantwortlicher Landwirt von 70 Milchkühen, bereits vor der Stalltüre.
«Hier bin ich oft», erzählt die Besamungstechnikerin, und Von Ah führt sie gleich ins kleine Büro hinter dem Laufstall. Auf dem Tisch liegt ein Zettel. Ursi heisst die Kuh mit der Halsbandnummer 51, sie ist in einer Tiefstrohbox angebunden und kriegt den Samen vom Prüfstier Udoro.
Der Samen muss am Körper getragen werden
Wenn Alfred von Ah unterwegs ist, macht die Besamungstechnikerin ihre Arbeit allein. «Ich brauche keine Hilfe, wenn alles vorbereitet ist und das Tier nicht extrem scheu ist», bestätigt Meier und geht zum Auto zurück. Dort lagern die Spermien von rund 200 Stieren im Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius.
Sie zückt die richtige Paillette vom Stier Udoro, wärmt es im 38-Grad-Wasserbad auf, schiebt es in das Besamungsinstrument und trägt es am Körper, damit der Samen keine Temperatursenkung hat und Schäden davon trägt, in den Stall.
Und so spielt sich eine Besamung ab
Ursi, eine schöne Braunviehdame, ist als Einzige angebunden. Auf ihrem Rücken steht die Nummer 51. Brigitte Meier greift mit der rechten Hand, die in einem langen Plastikhandschuh steckt, in den Mastdarm der Kuh. Mittels Spreizen der Schamlippen führt sie das Besamungsinstrument in die Scheide, bis durch den Gebärmutterhals (Cervix) und deponiert den Samen nach dem inneren Muttermund. Der Vorgang dauert keine fünf Minuten, Ursi steht da und kaut friedlich vor sich hin. Von Romantik keine Spur.
Der Duldungsreflex ist die Voraussetzung, damit die Wahrscheinlichkeit am grössten ist, dass auch wirklich ein Kälbchen entsteht. Die Duldungsbereitschaft ist das sicherste Anzeichen, dass das Tier in der Hauptbrunst ist.
Das Geschäft mit den Spermien
Im Büro tippt Brigitte Meier unterdessen die Daten in den kleinen, handlichen Computer und druckt auch gleich eine Etikette mit allen relevanten Daten aus. Diese wird in die Bestandeskarte des Landwirts geklebt.
Bezahlt wird per Rechnung, der Samen kostet unterschiedlich, so zwischen 12 bis 115 Franken sei die Norm. Am günstigsten sei Sperma für eine Fleischrasse (Mast), für die Zucht sei es etwas teurer, und das gesexte Sperma, das nach dem X- und Y-Chromosom getrennt werde, koste um die 100 Franken. Beim gesexten Sperma kann der Bauer mit 90-prozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass das Jungtier das gewünschte Geschlecht haben wird.
Alfred Von Ah zeigt unterdessen den Katalog von Swissgenetics, in dem alle Stiere mitsamt ihren Qualitäten aufgeführt sind. Besonders wichtige Kennzahlen seien die Zuchtwerte Milch und Inhaltsstoffe, der Körperbau der Töchterkühe wie etwa das Fundament und die Qualität der Euter, erklärt Brigitte Meier.
Auch zwei Muni
sind noch im Einsatz
Auch wenn Alfred Von Ah voll auf den «Köfferli-Muni» setzt, wie die Besamungstechniker auch genannt werden, und jährlich um die 100 Besamungen bei seinen Kühen machen lässt – ganz ohne Muni kommt der Betrieb dann doch nicht aus.
Mit einer Schaufel Gleck lockt der Landwirt die beiden massigen Bullen ins Freigehege. «Trotz ihren 900 beziehungsweise 1200 Kilogramm Gewicht springen sie noch sehr elegant», erklärt er stolz und schildert, dass bei Kühen, die Mühe haben mit Trächtigwerden, der Natursprung oft zum Babyglück verhelfe. So kommen auf Schloss Herdern jährlich noch ungefähr 15 natürlich gezeugte Kälbchen zur Welt.
Über Umwege
zum gewünschten Beruf
Vor der Weiterfahrt zum nächsten Landwirt erzählt die junge Frau, wie sie zu diesem aussergewöhnlichen Beruf kam. Aufgewachsen in Wülflingen und später in Bertschikon, wo sie heute noch bei den Eltern wohnt, war sie als Kind jede Woche bei ihrem Götti auf dem Bauernbetrieb.
Zusammen mit ihrem Vater, der gerne Landwirt geworden wäre, schlussendlich aber als LKW-Fahrer arbeitete, gehörte das regelmässige Mitarbeiten auf dem landwirtschaftlichen Betrieb zu ihrer Kindheit. Trotzdem entschied sie sich nach der Schule für eine Gärtnerinnenlehre.
Sie hängte dann aber direkt die Zweitausbildung als Landwirtin an.
Auf einem Wartestierenbetrieb kam sie erstmals in Kontakt mit Swissgenetics, und als später eine Stelle ausgeschrieben war, meldete sie sich spontan, auch wenn sie meinte, wegen ihres Alters kaum eine Chance zu haben.
Dem war aber nicht so. Im vergangenen Sommer begann sie ihre Ausbildung als Besamungstechnikerin und weilte zur Ausbildung für 5 Wochen an einem Forschungsinstitut für künstliche Besamung in der Nähe von Berlin.
Viel Fingerspitzengefühl ist gefordert
Aus der Schweiz nahmen sechs Männer und zwei Frauen am Lehrgang teil. Anschliessend war sie noch mehrere Wochen mit erfahrenen Berufsmännern unterwegs, die sie gründlich in den Beruf einführten. Seit einem halben Jahr ist sie nun alleine unterwegs. Sie lerne jeden Tag wieder Neues dazu und spüre, dass mit der Routine auch die Sicherheit wächst. «Es ist eine anspruchsvolle, handwerkliche Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl erfordert», erzählt sie begeistert. Deshalb ist sie auch sicher, dass Frauen diese Arbeit mindestens ebenso gut machen können wie Männer.
«Ich mache eine tierzüchterische Arbeit»
Und wie ist es nun mit dem Gefühl von «gruusig, stinkig und dreckig»? «Das ist für mich kein Problem», entgegnet sie selbstsicher. «Zum einen stinkt es heute in den modernen Laufställen viel weniger, zum andern mache ich eine tierzüchterische Arbeit. Ich sorge dafür, dass ausgewählte männliche Spermien und mütterliche Eizellen zusammen finden, sich ein Embryo entwickelt und später ein Kalb daraus entsteht, und hoffentlich gesund zur Welt kommt», sagt sie überzeugt.
Bei Ursi, im Stall des Schlosses Herdern, wird das übrigens am 20. Februar 2015 der Fall sein.
«Wenn mich andere skeptisch zu meinem Beruf befragen, gebe ich ihnen kompetente Antworten und dann sind sie meist ruhig.» Und zudem rieche nach dem Duschen niemand mehr, welchen Job sie tagsüber ausgeführt habe, lächelt sie keck.
Und was macht die junge Frau in ihrer Freizeit? «Landwirtschaft und Garten sind meine Leidenschaften, doch auch im Krafttraining bin ich anzutreffen und zurzeit besuchen mein Freund und ich einen Tanzkurs.»
Ruth Bossert