Bap, bap, bap, Baaahhh.» Das ist der Name, den Melissa Caughey von ihren Hühnern bekommen hat. Melissa lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern am Cape Code, im kleinen Ort West Barnstable im US-Bundesstaat Massachusetts. Von ihrer stetig wachsenden Hühnerschar ist sie seit Jahren so fasziniert, dass die ausgebildete Krankenschwester einen erfolgreichen Blog dazu betreibt und nun ein Buch zum Thema geschrieben hat: «How to speak chicken» – So spricht man die Sprache der Hühner.

Sie erklärt darin den «Hühnerstall-Knigge», wie Hühner ticken, was Hühner mit ihrem Verhalten mitteilen wollen, und vermittelt unterhaltsames Hühner-Wissen. Wie zum Beispiel, dass Hühner die nächsten lebenden Verwandten des Dinosauriers Tyrannosaurus Rex sind.

«Ich war schon als Kind von Vögeln fasziniert», erzählt Melissa Caughey von ihren Anfängen. «Mein erstes Haustier war ein Papagei namens Pipet. Er sass auf meinem Schreibtisch und leistete mir bei den Hausaufgaben Gesellschaft. Als ich erwachsen wurde und selbst Kinder hatte, wollte ich unbedingt einen eigenen Hühnerstall im Hinterhof und täglich frische Hühnereier.» Aus der Idee wurde ein konkretes Projekt, das bald die ganze Familie begeisterte.

Die Hühnerschar wurde schnell grösser. «Ich rate daher allen Anfängern, von Anfang an mehr Platz für den Hühnerhof einzuplanen. Glaubt mir: die Begeisterung reisst euch mit.» Melissa begann, alle Bücher über Hühnerhaltung zu lesen, die sie in die Finger bekam und beobachtete ihre Schar täglich. Bald war ihr klar, dass Hühner keineswegs «Spatzenhirne» haben. Sie zeigen ein ausgeklügeltes soziales Verhalten, haben ausgeprägte Persönlichkeiten und verständigen sich mit einem vielfältigen Repertoire an Lauten. Die wollte Melissa Caughey lernen.

Es beginnt im Ei

«Eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich mit frisch geschlüpften Küken gackerte, so wie ich es bei ausgewachsenen Hühnern gehört hatte. Damit habe ich einfach weitergemacht.» Anfangs sei es ihr etwas peinlich gewesen, ausserhalb der Familie zuzugeben, dass sie sich mit der Sprache der Hühner beschäftigte. «Doch als auch fremde Hühnergruppen auf meine Laute reagierten, war mir klar, dass ich auf der richtigen Spur war.»

Hühner gackern und glucken mit ihren Küken bereits, wenn diese noch im Ei sind. Etwa 24 Stunden bevor die Jungtiere sich aus der Hülle picken, beginnen sie selbst zu piepsen. Nach dem Schlüpfen erweitern die Küken ihr Repertoire an Piepslauten, sodass die Henne weiss, was der Nachwuchs will: Ist es ein Freudentillern, ein Kontaktpiepsen, ein aufgeregtes Entdeckungspiepsen oder ein besorgniserregendes Stresspiepsen? Werden die Jungtiere grösser, lernen sie, sich auch mit ihrem Körper und ihrem Verhalten mitzuteilen. Sie passen sich den Regeln der Hühnerwelt an.

Ab etwa 14 Wochen beginnen die Lauten der ausgewachsenen Tiere nachzumachen: Sie begrüssen sich, geben den anderen kund, dass sie ein Ei gelegt haben, bewundern das Ei eines andern Huhns oder tauschen sich über Nahrung, und Gefahren aus. Die Laute sind dabei keineswegs willkürlich:

  • Für die alltägliche Begrüssung der Hühner untereinander oder auch Menschen gegenüber, die ihnen vertraut sind, erklingt ein «Bah-dap».
  • Fühlt sich eine brütende Henne in ihrem Nest bedroht, stösst sie ein «KRII-upp-upp-upp» aus, eine Art Krählaut, der in einem Grummeln endet.
  • Ist ein Ei unterwegs, hört man aus der Nestbox ein «Buah, buah, buah».
  • Hennen sagen sich sogar gute Nacht: Dann ertönt ein beruhigendes «Doh, doh, doh». «Es ist wie ein Appell», erklärt Melissa Caughey. «Die Hühner versichern sich gegenseitig: Ja, ich bin hier und mir geht es gut.»

Königlicher Name

Einen Laut konnte Melissa Caughey bei all ihren Beobachtungen jedoch nie zuordnen – bis sie von einer versierten Biologin erfuhr, dass eine Reihe von Tieren ganz bestimmte Laute für verschiedene Lebewesen von sich geben, zum Beispiel Wale, Affen oder Papageien. Ganz ähnlich, wie wir Namen verwenden.

«Eigentlich logisch: Die Hühner hatten mich natürlich genauso beobachtet wie ich sie und versucht, mich einzuordnen.» Da Melissa ein fester Bestandteil ihres Hühnerlebens war, hatten sie ihr eine eigene Lautfolge zugeordnet. «Wenn sie mich sehen oder wenn sie etwas von mir wollen, rufen sie ‹Bap, bap, bap baaaahhh›, die ersten drei Laute sind tief, der letzte fast eine Oktave höher. In meinen Ohren klingt mein Hühnername königlich. Ich muss bis heute jedes Mal lächeln, wenn ich ihn höre.»

Und wie reagieren die Hühner, wenn Melissa Caughey sie in ihrer Sprache begrüsst? «Sie halten meist den Kopf schräg und schauen mich verblüfft an. Oft kommen sie dann zu mir her gerannt.» Ihre Hühner können auch die einzelnen Familienmitglieder klar unterscheiden, Fremden gegenüber bleiben sie scheu. «Ich bin definitiv ihr Liebling», lacht Melissa Caughey. «Ich denke, dass sie uns an unseren Frisuren erkennen. Während der Winterzeit, wenn ich meinen Kapuzenmantel trage, dauert es jeweils eine Weile, bis sie wissen, wer da kommt. Erst wenn sie meine Stimme hören oder ich meine Kapuze runter nehme, reagieren sie.»

Hühner würden völlig unterschätzt, meint Melissa Caughey nachdem sie in den letzten Jahren zig Fachbücher gewälzt und mit Experten gesprochen hat. Die Tiere haben zwar eine klare Hackordnung, zeigen aber auch Mitgefühl, erkennen sich als Individuen, bewähren sich als Therapietiere, lernen sogar aus Videos und können geometrische Figuren unterscheiden.

Tipps für die Hühnerbeobachtung

Allen, die selbst Hühner beobachten und vielleicht deren Laute lernen möchten, rät Melissa Caughey:

  • Tragen Sie zu Beginn einfarbige Kleidung ohne glitzernde Aufnäher oder Anhänger.
    Beginnen Sie mit den Beobachtungen an einem Ort, der den Hühnern vertraut ist und wo sie sich sicher fühlen.
  • Sprechen Sie nicht.
  • Seien Sie geduldig. Zuerst konzentrieren sich die Hühner auf Sie, doch dann kümmern sie sich wieder um ihre Hühner-Angelegenheiten.
  • Beobachten Sie, wie die Hühner sich Ihnen gegenüber mit oder ohne Leckerbissen verhalten. Oder ob sich ihr Verhalten bei unterschiedlichem Wetter, zu anderen Jahres- oder Tageszeiten verändert.
  • Ein Hühner-Notizbuch, das Sie mit Fotos oder Skizzen ergänzen können, kann gute Dienste leisten.
  • Der Morgen eignet sich besonders, um Hühner zu beobachten, dann sind sie meist mit ihren täglichen Ritualen beschäftigt.
  • Wer einzelne Tiere zähmen oder abrichten möchte, tut dies am besten am Nachmittag.
  • Hilfreich ist es, die Laute der Hühner mit dem Smartphone aufzunehmen, das hilft Ihnen beim Deuten der Hühnersprache.

«Wenn man regelmässig viel Zeit mit der Schar verbringt, wird man von den Hühnern mit der Zeit als Ehrenmitglied der Gruppe betrachtet», so Melissa Caughey. «Wiederholen Sie die Laute, die Sie von den Hühnern hören und beobachten Sie ihre Reaktionen. Üben Sie ihre «gacks» und «buk-gohs», und ehe Sie es sich versehen, sprechen Sie die Hühnersprache fliessend.»

Weitere Informationen:
www.tillysnest.com (in Englisch)

 

 

Buchtipp

Melissa Caughey

how to speak chicken

Warum Ihre Hühner tun, was sie tun, und sagen, was sie sagen. 

144 Seiten, Haupt Verlag