Stettler», meldet sich eine weibliche Stimme am Telefon. Sie klingt warm und freundlich. Da ist jemand, der zuhören und auf andere eingehen kann, ist der erste Eindruck. Doch ihre eigene Stimme hört Jolanda Stettler jahrelang nicht. Erst, nachdem sich ihr Herz immer öfter mit einem unangenehmen Stechen meldet, spürt sie, dass etwas nicht stimmt: «Ich funktionierte nur noch, konnte mich nach einer Fahrt nicht mehr erinnern, wie ich angekommen war.»

Wo das Herz ruhig ist

Die Mittdreissigerin widmet sich seit ihrer Lehre als Arztgehilfin ihrer Karriere. Sie erlangt Diplome in Marketingplanung und Betriebswirtschaft, arbeitet bei diversen Arbeitgebern, steht bei der Swisscom als Führungsperson ganz oben. Doch die Bernerin zieht es immer öfter zurück auf den elterlichen ­Bauernhof in Süderen. Auf dem Hof, der schon den Grosseltern gehörte, wo sie auf acht Hektaren Land und einem Hektar Wald mit Tieren aufgewachsen war, spürt sie: «Hier sticht mein Herz nicht, hier ist es ­ruhig.»

Sie realisiert, dass sie in zwei Welten lebt. Eine mit, eine ohne Herzstechen. Was macht den Unterschied?, fragt sie sich. Sie merkt, dass die zwei Welten nicht viel gemein haben. Hier die Welt ihrer Familie, da die Welt ihrer Karriere. Hier die Natur, die Tiere, die Bodenständigkeit, da das Business, die Karriere, der Luxus. Sie merkt, dass sie in einer Welt mit ruhigem Herzen leben will. Was muss sie also tun? In der Auseinandersetzung mit dieser Frage lautet die ernüchternde Antwort: «Ich habe aufgehört, auf meine innere Stimme zu hören, mir treu zu sein.» Die Bauerntochter beschliesst, ihr Leben zu ändern, wieder zu sich zu finden.

"Etwas Tolles"

Zwei Schlüsselmomente helfen ihr auf diesem Weg: Einerseits kündigt sich in Süderen die Geburt eines Pferdes an. Sollte es ein Hengst werden, verspricht Vater Jakob, werde er ihr gehören. Als die Tochter eines Morgens das knappe SMS «e bueb» liest, wirds ihr warm ums Herz: «Etwas ganz Tolles ist in mein Leben getreten.»

Andererseits entdeckt sie im Wirtschaftsstudium, über ihre Diplomarbeit gebeugt, die Weiterbildung «Pferdegestütztes Führungstraining und Persönlichkeitsentwicklung». Sollte dies ein Wink des Schicksals sein?
Jolanda Stettler zählt eins und eins zusammen, skizziert eine Vision ihrer Zukunft: «Ich will einen Platz schaffen, wo der Mensch sich wieder mit sich selber beschäftigen darf. Tiere sollen ihm dabei helfen.»

Die Umsetzung beginnt

Und das soll ein Geschäftsmodell sein?, wundert sich ein Teil des Umfeldes. Etwas, wovon man leben kann? Im Tausch gegen eine blühende Karriere? Gegen Sicherheit? Doch Jolanda Stettler hört nicht auf diese kritischen Stimmen. Nicht mehr. Dafür auf ihre eigene umso mehr. So, wie sie es sich vorgenommen hat.

Sie beginnt, an der Umsetzung ihrer Vision zu arbeiten, beginnt die Weiterbildung zum pferdegestützten Coach, beginnt, Condor, ihren Wallach, zum Partner zu trainieren. Sie lernt, sich selbst durch ihr Pferd zu spiegeln. Wenn sie mit ihm den eigens für Coaching entwickelten Parcours durchläuft, stellt er sich immer dann quer, wenn sie unsicher, unentschlossen, unaufmerksam ist.


Die verlässliche Stimme

Condor wird zur verlässlichen Stimme, die sich immer dann meldet, wenn sie sich wieder einmal von sich selbst entfernt: «Wenn Condor mir in die Augen blickt, habe ich das Gefühl, ich begegne meiner Seele.»
Sie lernt hinzusehen, ihre Komfortzone zu verlassen, neue Verhaltensmuster zu entwickeln. Durch Condor, den werteneutralen und ehrlichen Seelenspiegel. Als ob zwei Seelen miteinander sprächen.

Die Seele! Wo war sie in den letzten Jahren nur geblieben? Hatte sie ihr genug Aufmerksamkeit geschenkt? Oder war sie in diesem geschäftigen Leben, in dem sie sich lange bewegt hatte, schlicht und einfach verkümmert?
So musste es sein! «Wir leben in einem Luxusland und sind dennoch nicht glücklich. Wir haben alles und sind im Innern dennoch leer», beschreibt Jolanda Stettler den Zustand, wenn man nur noch funktioniert. Wenn Gesundheit oder Beziehung zu kranken beginnen. Wenn Menschen sich ständig in den sozialen Netz-werken bewegen, allein für eine «Daumen-hoch»-Anerkennung. Oder eigene, retouchierte Fotos ins Netz stellt, nur um auszusehen wie jemand anders.

«Wir entfernen uns immer mehr von uns selbst und damit auch von unserer Selbstliebe und unserem Selbstwert», erkennt Jolanda Stettler. Beschäftige sich ein Mensch hingegen mit seinen Werten und Bedürfnissen, mit der Essenz seines Wesens, eben der Seele, wie sie sie definiert, geschehe dies nicht so leicht. Dann bleibe er stark. «Seelenplatz» soll darum ihr Ort heissen, an dem sie Klienten bei der Selbstfindung helfen möchte.

Im Hier und Jetzt

Die Vision ist längst der Realität gewichen. Der 6-jährige Schüler kommt zu ihr wie auch der 60-jährige Lehrer oder die Frau, die ihre Persönlichkeit weiter entwickeln und sich so etwas Gutes tun will. Für sie hat sie die «Power Ladies’ Days» entwickelt. Jolanda Stettler und Condor coachen auf dem elterlichen Hof Menschen mit einer konkreten Fragestellung, Führungspersonen, Kinder wie Erwachsene.

Die Erfahrung, die die 38-Jährige mit ihrem Wallach machte, erlebt sie stets aufs Neue bei ihren Klienten: «Sie spüren intuitiv, was er ihnen sagen will. Sie sagen auch, dass man ihm nichts vormachen kann.» Weil Tiere keine Hintergedanken hätten, könnten sie seine Rückmeldung besser annehmen als von einem Menschen, ist sie überzeugt: «Tiere sind grundehrliche Wesen.» Shetlandpony Tschambo, die Wüstenbussarde Amadeus und Lady Avaloné sowie die Zwergziegen Bruno und Peter komplettieren mittlerweile das Mensch-Tier-Team.Jolanda Stettler blickt zurück, fasst zusammen: «Dank meinen Tieren ist es nicht mehr möglich, abzuschweifen. Heute lebe ich viel bewusster, im Hier und Jetzt. Mein Leben, das bin ich.» Und das Herz, es bleibt ruhig.

Weitere Informationen:
www.jolanda-stettler.ch