Ein zwei Tage alter Feldhase machte dieses Jahr den Auftakt bei den Jungtieren. Er war in die Fänge einer Katze geraten. Auf der Wildstation in Utzenstorf BE wurde das Mini-Langohr untersucht und fachgerecht behandelt. «Leider war es durch den Katzenbiss so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass das Tierchen trotz Antibiotika nach mehreren Tagen starb», erinnert sich Ulrike Cyrus-Eulenberger. Sie ist Fachtierärztin für Zoo-, Gehege- und Wildtiere und Betriebsleiterin der Wildstation Landshut.

Ziel der Stiftung Wildstation ist es, verletzte, kranke oder verwaiste einheimische Wildtiere «im Rahmen der Wildtier-Rehabilitation» professionell zu behandeln. Wenn immer möglich werden sie anschliessend wieder in die Natur entlassen. Das Team der Wildstation betreute bereits rund 120 verschiedene Tier­arten, von der vier Gramm schweren Mückenfledermaus bis zum 25 Kilo schweren Biber.

Die Nachfrage ist gross. «Letztes Jahr behandelten wir 1822 Tiere, es werden jedes Jahr mehr», sagt Ulrike Cyrus-Eulenberger, die seit neun Jahren in Utzenstorf arbeitet. «Die Mittelbeschaffung ist daher ein grosses Thema.»

Viel Engagement

Die Wildstation ist eine operative Stiftung, die sich durch Spenden finanziert. «Wir möchten die Institution nachhaltig sichern. Doch es ist herausfordernd, den ganz alltäglichen Unterhalt zu finanzieren. Für spezielle Projekte spenden die Leute eher.» Zum sechsköpfigen Mitarbeiterteam kommen 12 freiwillige Helfer, die tageweise bei der Betreuung der Tiere oder dem Unterhalt des 16 000 Quadratmeter grossen Geländes helfen. «Ohne unsere Helfer und gemeinnützige Einsätze von Firmen ginge es nicht.»

Neben der Tierbetreuung hat sich die Wildstation als Ansprechpartner für Naturschutzfragen etabliert. Zum Gelände gehört ein Naturlehrpfad, es werden Führungen für Gross und Klein angeboten, auch Apéros und Kindergeburtstage vor Ort sind möglich. Zudem werden Fachpersonen in der Betreuung von Wildtieren ausgebildet. «Es geht um mehr als die Behandlung von kranken Tieren. Wir möchten Ansprechpartner in allen Naturschutzfragen sein. Dazu gehört auch, Finder von in Not geratenen Wildtieren kompetent zu beraten.»

Für alle Schweizer Wildtiere

Grundsätzlich nimmt die Station alle Schweizer Wildtiere auf. Die Tiere können täglich während der Geschäftszeiten vorbeigebracht werden. Aber was, wenn man beim Abendspaziergang ein verletztes Wildtier findet? «Dann behält man es wenn möglich über Nacht bei sich und ruft am nächsten Morgen bei uns an. Im Zweifelsfall kontaktiert man die Polizei.»

Bei jagdbaren Tieren, wie zum Beispiel Rehen, muss zwingend die Polizei informiert werden. Generell gilt: Wer Wildtiere ohne Bewilligung bei sich zu Hause hält – selbst mit besten Absichten – macht sich strafbar.
Hochsaison ist von April bis September, dann beherbergt die Wildstation bis zu 400 Tiere gleichzeitig. «Ich erinnere mich an einen Juli-Tag vor zwei Jahren, an dem 40 Tiere zu uns kamen.»

Wird ein Tier abgegeben, braucht es wie in jeder Notfallstation rasche Entscheidungen: Kann es gerettet werden? Wenn nein, wird es eingeschläfert. Wenn ja, welche Notfallbehandlung braucht es? Oder sollte das Tier gar nicht hier sein? «Regelmässig bringen uns Leute zum Beispiel Ästlinge. Das sind Jungvögel, die noch nicht fliegen können und deshalb von Ast zu Ast hüpfen. Sie werden aber von den Elterntieren weiter gefüttert, sind daher nicht in Not.»

1000 Singvögel

An die 1000 Singvögel versorgt die Wildstation jedes Jahr, vielfach gerade erst geschlüpfte Nestlinge. Bis zu zwei freiwillige Helfer sind in der Hochsaison im «Vogelraum» mit ihrer Betreuung beschäftigt, teils müssen die Vogelküken im 15-Minuten-Takt gefüttert werden.

Igel gehören Sommers wie Winters zu den häufigsten Patienten, genauso wie Greifvögel und Eulen. Den Uhus werden zum Beispiel Starkstromleitungen oft zum Verhängnis. Und es werden viele Fledermäuse gebracht, von denen es in der Schweiz 29 unterschiedliche Arten gibt. «Junge Fledermäuse sind sehr anspruchsvolle Patienten. Sie aufzuziehen, kostet pro Tier, rein wirtschaftlich betrachtet, 1200 Franken an Material und Zeit.»

Flugtunnel für Fledermäuse

Ist der Gesundheitszustand stabil, kommen die Tiere in den Reha-Bereich der Station. Dazu gehören spezielle Auswilderungsgehege für Singvögel und Eichhörnchen, ein Flugtunnel für Fledermäuse und drei 300 Quadratmeter grosse Flug-Volièren für Greifvögel. Von dort aus geht es baldmöglichst in die «sanfte» Auswilderung: Bei Singvögeln und Eichhörnchen lässt das Team die hinteren Gehege-Türen offen, bietet den Tieren aber noch einige weitere Tage Futter an. Andere Tiere werden in ihr angestammtes Revier zurückgebracht und dort freigelassen.

Das sechsköpfige Team der Wildstation kümmert sich mit viel Herzblut um seine Pfleglinge. Wenn ­nötig, auch ausserhalb der Geschäftszeiten. Wie beim verunfallten und geschwächten jungen Steinadler aus dem Berner Oberland. Nach dem Notruf des Wildhüters fuhr eine der Tierpflegerinnen dem Mann nachts um zehn Uhr entgegen, um das völlig durchnässte und unterkühlte Tier in Empfang zu nehmen.

Mit Wärmebehandlungen und Infusionen konnte es gerettet und einen Tag vor Weihnachten wieder ausgewildert werden. «Viele unserer Patienten haben gute Chancen. Gerade heute durften wir einen Storch auswildern, der verletzt aufgefunden wurde. Nun kann er seine Jungtiere weiter versorgen. Solche Erlebnisse mit glücklichem Ausgang machen uns immer wieder Mut.» 

 

Verletzte Wildtiere – was tun?

Auf der Webseite der Wildstation finden sich Merkblätter zum Umgang mit verwaisten, verletzten oder verunfallten Wildtieren. generell ist bei jedem Kontakt Vorsicht geboten. Auch Winzlinge wie Eichhörnchen oder Fledermäuse können beissen. 

Mehr Infos unter www.wildstation.ch