Ronja Ottink aus Lindau schaut prüfend auf den Apfelbaum. Eine flinke Bewegung mit der roten Baumschere und schon liegt der Ast im Gras. Auf Letzterem finden sich noch Spuren von Schnee. Der Obstbau ist die grosse Leidenschaft der angehenden Fachfrau. Deswegen ist sie von den Niederlanden in die Schweiz gekommen.

Umzug als Herausforderung

«Ich arbeite am liebsten draussen», sagt die 25-jährige Frau. Das ist nachvollziehbar an diesem strahlenden Tag nach einer nassen, düsteren Woche. Ronja Ottink absolvierte in den Niederlanden eine Ausbildung in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft mit Schwerpunkt Gemüsebau. Während eines Praktikums gehörte der Obstbau mit dazu und schnell wurde ihr klar: «Dieser war viel spannender als der Gemüsebau.» Nur, in den Niederlanden gab es dafür keine Ausbildungsmöglichkeiten.

Kein Problem, denn andere Länder faszinierten sie schon immer. Vielleicht Frankreich? – Durch eine Kollegin bekam sie eine Stelle auf einem Obst-, Beeren- und Rebbaubetrieb in Sissach BL. Sie besuchte Obstbautagungen und hörte von der Lehrlingsausbildung. «Ich hatte sehr stark das Gefühl, dass das meine Bestimmung war.» Als EU-Bürgerin stand der Lehre in der Schweiz nichts im Weg.

Lernen am Strickhof

Die ersten zwei Lehrjahre machte sie im Kanton Thurgau. Jetzt absolviert sie das Dritte und somit letzte am landwirtschaftlichen Ausbildungszentrum Strickhof in Lindau ZH. Der Umzug in die Schweiz hatte seine Herausforderungen. «Ich musste mich an die Hügel hier gewöhnen. Beim Traktorfahren muss man viel mehr aufpassen. Hut ab vor den Bauern, die keine Bewässerungsmöglichkeiten haben.» Das ist anders als in den Niederlanden, wo Wasserkanäle durch einen Grossteil des Landes ziehen.

Auch an die Schweizer Mentalität musste sich die Niederländerin gewöhnen: «Bei den Schweizern, so erfahre ich es, muss alles ganz genau sein. Der Standard ist sehr hoch: der Lebensstandard, wie man sich verhaltet, die Höflichkeit. Der Holländer ist familiärer. Da wird meistens geduzt.» Sie schätzt es, dass in der Schweizer Landwirtschaft das «Du» die Norm ist.

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Frauen sind die Minderheit

In der Obstbaulehre sind Frauen immer noch klar in der Minderheit. Schliesslich ist die Arbeit oft hart. «Als Frau muss ich schon manchmal mein Testosteron aktivieren!» meint Ronja Ottink lachend und schiebt eine verrutschte Strähne ihrer langen dunkelblonden Haare hinters Ohr. «Man muss anpacken, schnell und effizient arbeiten. Das eher Weibliche, wie sich Zeit nehmen, um sich zu freuen und einen Apfel anzuschauen, das muss ich manchmal echt abschalten.» Etwas verlegen fährt sie fort: «Es ist eigentlich gegen meine Prinzipien es so zu sagen, aber es ist die Frau, die meist das Soziale pflegt und an den Znüni mit einem Stück Kuchen denkt.

Für mich ist es manchmal eine Herausforderung, das Frauliche mit dem Männlichen in mir zu kombinieren.» Sie hält einen Moment inne. «Ich merke immer mehr, dass ich einfach mich selbst sein muss; dass es auch gut ist, dass ich weibliche Seiten habe. Wenn ich mich nämlich extrem männlich verhalte, mache ich meine Arbeit nicht so gut. Am Schluss geht es nicht darum, ob ich männlich oder fraulich bin, sondern dass ich meine Arbeit gut mache.»

«Es hat sofort gefunkt»

Im Strickhof beginnen zurzeit die dunklen Wintermorgen mit Rüsten und dem Vorbereiten von Äpfeln für das Dörren von Ringli. Der Industrie-Dörrapparat läuft. Daneben steht ein weisses Fass mit fertigen Apfel-Ringli. «Das Abpacken wird auf einen Regentag verlegt», erklärt Ronja Ottink. Ihre anschliessende professionelle Führung durch die Süssmostanlage und den angrenzenden Tankraum zeugt von einem grossen Wissen. Die Lernende erläutert, dass die Gelatine zur Klärung des Süssmosts heute pflanzlicher Herkunft ist. «Da legen viele Leute Wert darauf.»

Sprachunterricht beim Freund

Die Niederländerin spricht fliessend Hochdeutsch, auch wenn sie manchmal noch nach einem Wort suchen muss. Das Üben von «Schwiizerdütsch» reserviert sie für den Umgang mit ihrem Freund und seiner Familie. Bei ihnen fühlt sie sich sehr wohl. Wenn sie von ihrem Freund spricht, strahlen ihre blauen Augen. Kennengelernt haben sich die beiden beim Schnuppern für Ronja Ottinks erstes Lehrjahr. «Es hat sofort gefunkt zwischen uns», erzählt sie lachend. Heute arbeitet der Freund auf einem Obstbaubetrieb in Rümlang ZH. «Ich freue mich, dass die Lehrstelle in Lindau es mir von der Distanz her erlaubt, mit ihm zusammenzuwohnen. Wir waren lange genug getrennt!»

Marianne Stamm