Wenn sich die Blätter zusammenkräuseln und sich eine Ameisenstrasse am Stamm des Kirschenbaums entlang zieht, ist wahrscheinlich die Schwarze Kirschenblattlaus am Werk. Sie gilt in modernen, gedeckten biologischen Tafelkirschenanlagen als Hauptschädling. Dank Regenabdeckung und Einnetzung können sich dort grosse Blattlauskolonien ausbilden – einerseits, weil das Mikroklima ihre Entwicklung begünstigt und andererseits, weil natürliche Gegenspieler nur beschränkt einfliegen können. Die Folge können deformierte Triebe sowie Ertragsverluste durch von Russtaupilzen befallene, schwarze und klebrige Früchte sein. Nicht zuletzt können die Läuse Pflanzenviren übertragen. Nützlinge kommen – wenn überhaupt in ausreichender Zahl – meist zu spät.
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Population vor dem Befall aufbauen
Hier setzt die «Offene Nützlingszucht» an: Dank geeigneten, mit Blattläusen infizierten Wirtspflanzen können Nützlinge wie Schwebfliegen, Florfliegen oder Marienkäfer eine stabile Population aufbauen. Dies noch bevor die Schwarze Kirschenblattlaus an den Obstbäumen auftritt. «Im Obstbau ist die Methode noch im Versuchsstadium», erklärt Michael Friedli, der am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) die Gruppe Anbautechnik Obst- und Weinbau leitet. Im Gemüsebau unter Glas, beispielsweise bei Auberginen, sei das Verfahren aber bereits erprobt.
Ungefährliche Nahrung für Nützlinge
Das FiBL hat 2021 Versuche mit der Offenen Nützlingszucht durchgeführt und dabei verschiedene Wirtspflanzen (Wintergerste, -hafer und -erbse, -ackerbohne) getestet. «Am besten funktioniert hat es mit Getreide, genauer gesagt Gerste», schildert Michael Friedli. Sie wurde im September 2020 in der Mitte einer Fahrgasse in eine Kirschenanlage eingesät und im März 2022 mit im Labor gezüchteten Getreideblattläusen infiziert. Dabei handelte es sich um die Grosse Getreideblattlaus, die keine Obstbäume befällt. Somit ist sichergestellt, dass man sich nicht Schädlinge statt der gewünschten Nützlinge in die Anlage holt. Ebenfalls im März erfolgte die Nützlingsausbringung, die Forschenden beobachteten im Gerstenstreifen zu diesem Zeitpunkt aber auch bereits zugeflogene Schwebfliegen und Marienkäfer. Laut Friedli müssen die natürlichen Gegenspieler zwei bis drei Wochen vor dem erwarteten Auftreten der Schwarzen Kirschenblattlaus einziehen.
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Viele Fragen für die Praxis
Zwar gab es in der Versuchsanlage durchaus Befall durch die Schwarze Kirschenblattlaus, die Forschenden sind aber zufrieden mit den Ergebnissen und arbeiten weiter an dem Verfahren. Es stellen sich für die Praxisanwendung nämlich noch einige Fragen. So ist ein Streifen Getreide mitten in der Fahrgasse ein mögliches Hindernis für die Pflege der Anlage. «Bei den Kirschen konnten wir links und rechts davon mit dem Blühstreifenmulcher mulchen. Da die Aprikosen enger stehen, war dort Handarbeit nötig», so Michael Friedli. Denkbar wäre, das Getreide in Kisten in die Baumreihen zu stellen. «Das hätte den Vorteil, dass die Wirtspflanzen auch von der Bewässerung profitieren können», bemerkt der FiBL-Forscher. In gedeckten Anlagen würde die Wasserversorgung des Getreides, je nach Abdecksystem und installierter Bewässerung sonst umständlicher.
Im Übrigen könnte Sommergetreide besser geeignet sein als im Vorjahr gesätes, da Ersteres den Läusen zarteres Blattwerk bietet.
Pilotbetriebe ab 2023
«Die Offene Nützlingszucht ist prädestiniert für gedeckte oder eingenetzte Anlagen im Obst- oder auch Beerenbau», fasst Michael Friedli zusammen. Das FiBL sieht die Methode nach den ersten Versuchen als ein Puzzlestein in der erfolgreichen Bekämpfung der Schwarzen Kirschenblattlaus im biologischen Anbau– neben der direkten Regulierung via Pflanzenschutzmittel, der Förderung natürlicher Gegenspielern durch Blühstreifen und der gezielten Freilassung von Nützlingen wie z. B. Schwebfliegenpuppen. Es müsse eine an die jeweiligen Gegebenheiten angepasste Kombination angewandt werden, so das Fazit. Um mehr Erfahrungen mit der Offenen Nützlingszucht zu sammeln, sind für nächstes Jahr Versuche auf Pilotbetrieben vorgesehen.