«Das ist die schönste Zeit des Tages», sagt Frédy Leiser im Melkstand. Eben hat er den letzten der 260 Saaneziegen das Melkaggregat mit den zwei Zitzenbechern angehängt. Die Ziegen interessieren sich weniger für den zufriedenen Landwirt, sondern vielmehr für das Kraftfutter, das vor ihnen in der metallenen Krippe liegt. Hin und wieder schaut eine der weissen Saanenziegen, die zu zwölft in einer Reihe stehen, auf, mustert die Umgebung, um den Kopf gleich wieder zu senken und weiter zu fressen.
Derweil entleert die Melkmaschine die prall gefüllten Ziegeneuter. Pro Ziege und Jahr fallen gegen 850 kg Milch an. Nach wenigen Minuten ist das Euter ausgemolken, die metallene Krippe wird pneumatisch gehoben, die Geissen können wieder zurück in ihren Auslauf. Dort wartet eine Futtermischung aus Mais, Gerste, Heu und Luzerne auf sie. Thibaud und Valentin, die Söhne von Nicole und Frédy Leiser haben diese Futtermischung parat gemacht und im Kaltstall vorgelegt.
Klein angefangen
«Angefangen hat alles mit fünf oder sechs Ziegen», erzählt Frédy Leiser vor dem Melken am Küchentisch. Ein Bekannter wollte Ziegenmilch, so hat sich Leiser Saanen- und Gämsfarbige Gebirgsziegen zugelegt und Milch produziert: 164 Liter waren es in den ersten Monaten. Heute hält die Familie Leiser 260 Saanenziegen und produzierte letztes Jahr mit ihnen 180'000 kg Milch für Emmi und weitere 20'000 kg für die lokale Käserei und noch etwas für den Ziegennachwuchs.
Dass Leiser heute nur Ziegen hält, war eigentlich so nicht geplant. «Ich wollte einen kombinierten Betrieb mit Ziegen- und Kuhmilchproduktion», erzählt er. Die Ausgangslage dazu wäre günstig gewesen, denn noch zu Beginn der 1990er-Jahre verfügte Leiser über ein Kontingent von rund 70'000 kg Kuhmilch. Dieses Kontingent und eine Anpassung in der Agrarpolitik führten aber dazu, dass Leiser für die ersten 20 raufutterverzehrenden Grossvieheinheiten keine Tierbeiträge mehr erhielt. Für seine Kühe, deren Milch innerhalb der Milchkontingente abgesetzt wurde, fielen die Direktzahlungen weg.
Er stellte daraufhin ganz auf die Ziegenmilchproduktion um. Damals, Ende der 1990er-Jahre, galt er als Exot in seiner Gemeinde. Unvermittelt stand er ziemlich isoliert da. Weil Leiser ausserdem seine Milch an einen eher unzuverlässigen Händler verkaufte, wusste er oft nicht, wann genau das Milchgeld bezahlt wurde. «Es hat uns manche schlaflose Nacht gekostet. Aber bereut haben wir die Umstellung nie», sagt Leiser rückblickend.
Erst mit der Zeit wird die Arbeit weniger
Heute ist es etwas ruhiger. Die Milch verkauft er seit vier Jahren an Emmi. «Das Milchgeld kommt pünktlich, die Milch wird zuverlässig abgeholt.» Was er nicht an Emmi verkauft, verkäst seine Frau Nicole selbst – für den Eigenbedarf und auf Bestellung einer kleinen, aber treuen Stammkundschaft.
Neben dem Melkstand sind die Jungziegen und die Gitzi untergebracht. Die grosse Doppeltüre öffnet sich, Nicole Leiser schiebt einen grossen Milchtank in das Futtertenn. Links und rechts beobachten jugendliche Geissen neugierig das Gefährt mit dem stählernen Tank. Darin sind vierzig Liter Geissenmilch, die auf genau 42 Grad temperiert und für die kleinsten Geissen im Stall bestimmt ist, die hinten in vier Boxen einquartiert sind. Die Milch verabreicht Nicole Leiser in blauen Waschbecken. «Das muss reichen», sagt die für die Jungmannschaft verantwortliche Ehefrau von Frédy. Sie stellt zwei der Becken zu den Tieren in das Gatter und schüttet danach noch Milch nach. Die Tiere stehen im Kreis um das Becken, das Maul in der warmen Milch.
Produktion konstant zu halten ist schwierig
Plötzlich geht das Tor erneut auf. Valentin, der jüngere der beiden Söhne, bringt zuerst Maissilage für die älteren Jungziegen. Er verteilt das Futter gleichmässig in die Krippe, geht wieder hinaus, um kurz darauf ein Fuder Heu in die Tenne zu stossen. Die Arbeit verrichten alle wortlos. Jeder weiss, was zu tun ist. «Das macht es sehr einfach», sagt Frédy Leiser, der gerade den Melkstand verlässt und das Licht löscht. Eine Stunde hat es gedauert, um die Ziegen zu melken, zu füttern und alles wieder aufzuräumen.
Was so auf den ersten Blick nach einem gut eingespielten Team aussieht, beruht auf viel Erfahrung. Denn die Ziegenmilchproduktion hat ihre Tücken. «Für uns ist es schwierig, die Milchproduktion während des ganzen Jahres konstant halten zu können», sagt Leiser. Ziegen tragen während fünf Monaten ihre Jungtiere aus und werden in der Regel im Herbst belegt. Fünf Monate später folgt das Gitzi und die Milch. Entsprechend steigt die Milchmenge im Frühjahr und sinkt im Herbst. Dabei schwankt auch der Milchpreis zwischen 1 Franken im Sommer und 1,40 Franken im Winter.
Im Gegensatz zu Rindern kann der Ziegen-Zyklus aber nur bedingt an die Betriebs- und Marktanforderungen angepasst werden. Damit die Milchmenge aber das ganze Jahr einigermassen konstant bleibt, setzt Leiser bei etwa ¼ seiner Herde Hormone ein. Damit kann er die Fruchtbarkeit steuern und auch im Herbst etwa gleich viel Milch liefern wie im Frühjahr. «Durchschnittlich liegt der Milchpreis bei etwa 1,11 bis 1,12 Franken pro kg Milch.» Und das ist ein wesentlicher Grund für die Zufriedenheit Leisers.
Belächelte Nische, die aber Erfolg verspricht
Im Gegensatz zu der Rindviehzucht fristet die Ziegenzucht nach wie vor ein Nischendasein. Zwar gibt es auch bei den Ziegenhaltern Rasseschauen, Herdebuch und ambitionierte Züchter. «Wir können aber nicht einfach einen Händler anrufen und zehn Ziegen mit einer Milchleistung von 750 kg pro Jahr kaufen. Stattdessen muss man sich die Herde selbst aufbauen», sagt Frédy Leiser. In der Zucht setzt er vor allem die die Milchleistung und auf Protein- und Fettgehalt, dann erst schaut er auf das Exterieur der Ziege.
«Eine Herausforderung war sicher auch, die passende Melkanlage zu finden», sagt Leiser über seine Anfangszeit. Als er seinen Melkstand für seine Ziegen bauen wollte, musste er nach Frankreich und Italien, um die geeignete Technologie zu finden. «Mittlerweile ist das besser», sagt er heute. Die grossen Melktechnikhersteller haben auch festgestellt, dass die Ziegenmilchproduktion eine erfolgreiche Nische und ein einträgliches Geschäft sein kann. Die Nische ist gefragt, auch bei den Konsumenten. So stieg die Ziegenkäseproduktion in den letzten fünfzehn Jahren von 526 auf 915 Tonnen. Der Ziegenbestand ist im gleichen Zeitraum von etwa 63'000 auf knapp 89'000 Tiere gestiegen.
«Es macht Freude, ein Produkt herzustellen, das auch am Markt gefragt ist», sagt Frédy Leiser nach dem Melken. Dass viele seiner Kollegen die Ziegenhaltung als Spielerei abtaten und immer noch abtun, hat er längst verwunden. Denn nach fünfzehn einsamen Jahren als Ziegenmilchproduzent sind in der Region Délemont mindestens fünf weitere Betriebe dazugekommen.
Hansjürg Jäger