Jeden Herbst wandern die Rothirschbestände aus dem grenznahen Österreich in Richtung Südwesten, wo sie den Winter im bündnerischen Prättigau und im Unterengandin verbringen. Dabei besteht das Risiko, dass die Tiere die Rindertuberkulose (TBC) einschleppen, die vor allem in Vorarlberg und im Tirol immer wieder auftritt. Das Gefährliche dabei: Das Wild kann die Krankheit auf Nutztiere und Menschen übertragen.

Gefährliche Seuche

Die Tuberkulose ist eine hochansteckende Tierseuche, die bei Kälbern den Rachen und den Darm angreift, während sie bei ausgewachsenen Rindern zunächst die Lunge und später auch andere innere Organe befällt.

Die Krankheit darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden, da sie via Rohmilch oder intensiven Kontakt zwischen Mensch und Tier auch auf den Menschen übertragen werden kann. Ohne entsprechende medizinische Behandlung kann der Krankheitsverlauf für Menschen tödlich enden. Aufgrund ihrer Gefährlichkeit wurde die Tuberkulose in Europa rigoros bekämpft und fast bis zu ihrem Verschwinden zurückgedrängt. Allen Bemühungen zum Trotz hält sich die Tierseuche jedoch in allen unseren europäischen Nachbarländern hartnäckig, wie Marie-Pierre Ryser von der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern auf Anfrage bestätigt.

Problem Wildfütterung

Während die winterliche Wildtierfütterung in der Schweiz seit Jahren verboten ist, bleibt die Praxis in Österreich vor allem im Hinblick auf die Unversehrtheit der Schutzwälder erlaubt. Satte Hirsche würden die Bäume verschonen, so die Überlegung dahinter. Dem Futterangebot entsprechend finden sich oft viele Tiere gleichzeitig an den Fütterungsplätzen ein, wodurch die Verbreitung der Tuberkulose begünstigt wird.

Dies hat man auch in Österreich erkannt und seit 2015 entsprechende Schritte zur TBC-Prävention eingeleitet. Im Zuge dieser Massnahmen wird etwa die Wildtierfütterung genauer überwacht und die Hirschbestände werden stärker reguliert. Dennoch werden im grenznahen Vorarlberg immer wieder vereinzelte TBC-Fälle gemeldet.

Futter wird kontaminiert

Problematisch ist aber nicht nur die direkte TBC-Übertragung von Tier zu Tier, sondern auch die Kontamination des Futters: Fressen Wild- und Nutztiere aus der gleichen Futterquelle, droht eine Übertragung der Lungenkrankheit. Dieses Risiko besteht bereits während der Alp- und Weidesaison, wenn Wild und Vieh die gleichen Flächen beweiden. Wird Nutzvieh über den Winter im Freien gehalten und gefüttert, besteht ebenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch Wildtiere an frei zugänglichem Heu oder offenen Siloballen gütlich tun.

Länderübergreifend handeln

Die grenzüberschreitende Wanderung der Hirsche stellt die ­regionalen Behörden bei der Seuchenbekämpfung vor Schwierigkeiten. Unter anderem gibt es nämlich keinen rechtlich verbindlichen internationalen Rahmen zur Bekämpfung der Tierseuche. Um diesem Missstand zu begegnen, haben die Schweiz, Deutschland, Österreich und das Fürstentum Liechtenstein 2018 eine Vereinbarung zur gemeinsamen Tuberkulose-Bekämpfung getroffen.

Im Zuge dieses Übereinkommens wurden verschiedene Arbeitsgruppen zur Früherkennung, Erfassung und Bekämpfung der TBC ins Leben gerufen.

Dass die internationale Zusammenarbeit fruchtet, zeigt eine Studie, die vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), den Kantonen Graubünden und St. Gallen sowie dem Fürstentum Liechtenstein in Auftrag gegeben wurde. In der Studie schreiben die Experten, dass die bisherigen Bekämpfungsmassnahmen greifen würden. Sie halten aber auch fest, dass die Sicherheitsvorkehrungen weiterhin aufrechterhalten werden müssten.

Schweiz aktuell TBC-frei

Die Schweiz ist seit den 1950er-Jahren frei von TBC, wie der Bündner Kantonstierarzt Giochen Bearth bestätigt: «In den Überwachungsprogrammen wurden bisher keine Fälle von Tuberkulose beim Rotwild oder bei Nutztieren festgestellt». Bearth weist aber darauf hin, «dass die Überwachung von geschossenem Rotwild vor allem während der Nachjagd in den Monaten November und Dezember erfolgen wird.»

Bauern in der Pflicht

Um eine mögliche Verbreitung der TBC zu verhindern, müssen vor allem Landwirte einige präventive Punkte beachten (siehe Kasten), denn die Ansteckung bleibt meist unbemerkt, da die Symptome unspezifisch sind. Hinweise auf eine Erkrankung können etwa ein Leistungsrückgang, Abmagerung, Fieberschübe oder matter Husten sein. Bei einem TBC-Fall müssen alle Tiere des Betriebs geschlachtet werden. Gemäss Giochen Bearth hat die Landwirtschaft das Problem erkannt und handelt entsprechend kooperativ. «Fehlbare Landwirte werden von uns kontaktiert und auf mögliche Fehler aufmerksam gemacht. Nur bei renitenten Landwirten kommen in einer zweiten Phase kostenpflichtige verwaltungsrechtliche Massnahmen zum Tragen. Dies ist aber in den seltensten Fällen nötig», sagt Bearth.

 

Massnahmen für Landwirte

Um einer Ausbreitung der Tuberkulose vorzubeugen, ist die Wildtierfütterung verboten. Zusätzlich schreibt der Kanton Graubünden folgende Massnahmen vor:

  • Siloballen müssen ab dem 1. November konzentriert bei einem Betriebsgebäude gelagert werden.
  • Sobald sich Wildspuren finden, müssen Siloballen wildsicher eingezäunt werden.
  • Es darf kein Futter vor dem Stall liegen.
  • Krippreste oder verdorbenes Futter müssen wildsicher entsorgt werden.
  • Wild- und Haustiere dürfen sich nicht im Winterauslauf treffen.
  • Wird im Auslauf zugefüttert, muss dieser wildsicher eingezäunt sein.
  • Während der Sömmerung müssen Salzleckstellen und Tränken kontrolliert werden.
  • Besteht der Verdacht auf Kontakt zwischen Wild und Vieh, sind die Behörden zu informieren.