Angesichts der grossen und wachsenden Wolfspopulationen in der Schweiz und Europa sei es nicht länger gerechtfertigt, Canis lupus als «streng geschützte» Tierart in der Berner Konvention aufzuführen. Dieser Meinung waren vor vier Jahren die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) sowie der Ständerat und beauftragten den Bundesrat damit, einen Antrag auf Herabstufung des Schutzstatus für Wölfe in diesem internationalen Abkommen zu stellen.
Die Bearbeitung war vom zuständigen Ausschuss vertagt worden, man wollte bessere Daten zu den Wolfspopulationen abwarten. Jetzt sieht es danach aus, als ob der Wolf bald nicht mehr auf einer Stufe mit Wildkatze und Biber stehen, sondern denselben Status wie Marder und Luchs haben wird.
Zustimmung im Europaparlament
Am 24. November 2022 hat das EU-Parlament in dieser Sache getagt. Wie aus den angenommenen Texten hervorgeht, unterstützen die Mitglieder den Schweizer Antrag. Es wird betont, dass der Erhaltungsstatus des Wolfs auf gesamteuropäischer Ebene eine Herabstufung des Schutzstatus und folglich die Annahme der vorgeschlagenen Änderungen rechtfertigt.
Die Diskussion ist geplant
Offenbar wird dieses Mal beim jährlichen Treffen der Berner Konvention auch tatsächlich über die Änderung des Wolfs-Schutzstatus debattiert werden. Das Traktandum steht auf der Liste, nachdem die Schweiz am 5. April 2022 ihren Antrag erneuert habe. Eine Schweizer Delegation sei eingeladen, um ihren Standpunkt vorzutragen. Wie er im Frühling 2022 in einer Fragestunde im Nationalrat erklärte, misst der Bundesrat der Haltung der EU in dieser Frage eine zentrale Bedeutung bei. Kommt im ständigen Ausschuss eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu Stande, gilt der Wolf neu für alle Vertragspartner als «geschützt» statt «streng geschützt».
Und was heisst das?
Auch bei einer Rückstufung wären die Unterzeichner-Staaten weiterhin verpflichtet, Schutz und Interventionsmassnahmen rund um den Wolf im nationalen Recht zu regeln und zu überwachen. Es gäbe aber mehr Handlungsspielraum im Management des Wolfsbestandes: Für «geschützte» Arten sieht die Berner Konvention lediglich vor, dass jegliche Nutzung die Populationen in ihrem Bestand nicht gefährden dürfen. Als mögliche Massnahme gelten z. B. Schonzeiten. «Streng geschützte» Arten dürfen nur in Ausnahmefällen absichtlich getötet werden.
Auch der Steinbock ist durch die Berner Konvention «geschützt», es ist aber eine Bestandsregulierung – mit detaillierten und vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) genehmigten Abschussplanungen – erlaubt. Nun sieht die aktuelle Version des revidierten Jagdgesetzes vor, auch Wölfe analog zum Steinbock zu regulieren. Mit diesem Vorschlag ist man also quasi einer Herabstufung des Schutzstatus gemäss Berner Konvention voraus.
Einfluss auf die Debatte im Nationalrat denkbar
Inwiefern sich eine allfällige Änderung des Schutzstatus schlussendlich auf die Praxis in der Schweiz auswirken würde, ist vor diesem Hintergrund fraglich. Der Gesetzgeber entscheidet, ob vorhandener Handlungsspielraum ausgenutzt wird.
Einen Einfluss auf die Debatte im Nationalrat könnte der Entscheid der Berner Konvention aber haben. Zumindest, wenn die Zeitpläne eingehalten werden: Der Ständige Ausschuss soll sich gemäss Programm am 29. November 2022 mit dem Antrag befassen und die Revision des Jagdgesetzes kommt voraussichtlich am 1. Dezember 2022 in die grosse Kammer. Diese ist für das Geschäft der Zweitrat, der Ständerat hat der Revision bereits zugestimmt.
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