In einer ersten Übersicht zeigt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Zahlen aus dem Informationssystem Antibiotika in der Veterinärmedizin (IS ABV) für das Jahr 2020. Ausgewertet wurden die Antibiotikamengen (Wirkstoffmengen in kg), die Anzahl Verschreibungen sowie die Anzahl Tierbehandlungen je Nutzungskategorie. Es handelt sich um absolute Werte, die gut geeignet seien als «erste Hinweise auf Einsatz und Mengen von Antibiotika in den einzelnen Nutzungskategorien». Die Ergebnisse sind aber laut Bericht aus mehreren Gründen nur bedingt aussagekräftig:
- Die Wirkstoffe unterscheiden sich im Gewicht.
- Grössere und damit schwerere Tiere brauchen automatisch grössere Mengen Antibiotika.
- Bei älteren Antibiotika braucht es grössere Mengen als bei moderneren.
- Die Anzahl Tierbehandlungen muss im Verhältnis zur Populationsgrösse interpretiert werden: Viele Behandlungen in einer grossen Population bedeuten wenige pro Tier.
- Bei der Verschreibungsart «auf Vorrat» gibt es keine näheren Angaben zur Nutztierkategorie, Grund oder Anzahl behandelter Tiere. Ausserdem vermutet das BLV, dass aus Zeitgründen auch andere Verschreibungen fälschlicherweise so erfasst worden sind.
Trotzdem böten die Auswertungen «erste Hinweise», in welchen Bereichen noch Verbesserungen möglich und nötig seien.
Grösste Mengen bei Mastkälbern, -rindern und Milchkühen
Am meisten Antibiotika (Wirkstoffmenge in kg) wurden 2020 demnach für Mastkälber, Mastrinder und Milchkühe verschrieben. Da diese Tiere aber auch schwerer sind als jene in anderen Nutzungskategorien (z. B. Geflügel) und es von ihnen in der Schweiz viele gibt, ist das nicht verwunderlich. Hinzukommt das Problem der unterschiedlichen Wirkstoffgewichte. Ausserdem sei für die Bildung von Resistenzen nicht nur eine Abnahme der Gesamtmenge entscheidend, sondern auch die Anzahl Behandlungen pro Tier bzw. der Tiere pro Zeit. Trends sollen künftig dank jährlichen Berichten unter Berücksichtigung der Nutzungskategorie sichtbar werden.
Die Anzahl Tierbehandlungen ist ebenso schwer interpretierbar, denn sie entspreche nicht der Anzahl behandelter Tiere, da die gleichen mehrmals behandelt werden könnten. Ausserdem können bei Gruppenbehandlungen Antibiotika für mehrere Tiere verschrieben werden. So gab es z. B. beim Geflügel zwar wenig Verschreibungen, dafür aber mit knapp 8,1 Million am meisten erfasste Tierbehandlungen, gefolgt von Fischen und Kaninchen. Bei Milchkühen wurden überwiegend Einzeltier-, bei Schweinen ausschliesslich Gruppentherapien erfasst. Damit lässt sich auch erklären, warum es bei Milchkühen die grösste Anzahl Verschreibungen gab: Diese Tiere werden meist einzeln behandelt, Geflügel praktisch nie.
Der Nutzen der Datenbank werde steigen
Man habe bewusst erst einmal nur die absoluten Zahlen analysiert, schreibt das BLV auf Anfrage. Die Werte ins Verhältnis zur Anzahl Tiere zu setzen, sei für einen nächsten Schritt zwar geplant, es müssten dabei aber auch Gewicht und Nutzungsdauer berücksichtigt werden, um keine falschen Schlüsse zu ziehen.
Die Medienstelle betont, es handle sich um den ersten Bericht zur IS ABV, «Es ist normal, dass bei einer neuen Datenbank noch Optimierungen notwendig sind». Die Daten würden aber zeigen, dass die Tierärzteschaft ihre Pflicht zum Erfassen der Antibiotika-Abgaben erfülle und die Daten «schnell und zuverlässig» eingegeben worden seien. Nach Rückmeldungen an die Tierärzt(innen) sei die Datenqualität ausserdem deutlich besser geworden. «Die grosse Stärke dieser Daten liegt in Zukunft darin, die Entwicklungen über die Zeit zu dokumentieren, was im ersten Jahr naturgemäss nicht möglich ist.»
Das BLV geht davon aus, dass die Datenqualität der Zahlen von 2022 so gut sein wird, dass – wie vor der Einführung der Erfassungspflicht angekündigt – sowohl unter den Tierhaltungen als auch Tierarztpraxen Antibiotika-Vielverbraucher identifiziert werden können. Auch sollen Auswertungen für einen regionalen, nationalen. Und internationalen Vergleich folgen.
Kritische Antibiotika vor allem für Milchkühe
Ein besonderes Augenmerk gilt den kritischen Antibiotika. Deren Einsatzmengen zu reduzieren, wird wegen ihrer Reservefunktion als besonders wichtig angesehen: Sie sollen dann noch wirken, wenn andere wirkungslos geworden sind.
Laut Jahresbericht wurden solche Wirkstoffe am häufigsten zur Behandlung von Milchkühen und anderen Tieren der Rindergattung verschrieben. Da es in dieser Kategorie aber besonders viele Verschreibungen gab, ist der Anteil derer, bei denen kritische Wirkstoffe verschrieben wurden, mit 10 Prozent relativ klein. Die meisten Tierbehandlungen mit kritischen Antibiotika gab es bei Mastkälbern und -rindern, Milchkühen, Sau- und Absetzferkeln sowie Mastschweinen. 9,8 Prozent aller Verschreibungen für Nutztiere im Jahr 2020 und 15,3 Prozent der Tierbehandlungen betrafen kritische Wirkstoffe. Bei einzelnen Nutzungskategorien seien grosse Mengen auf Vorrat abgegeben worden, so das BLV – obwohl das für kritische Antibiotika nur in Ausnahmefällen erlaubt ist. Wobei wie oben erwähnt vielleicht nicht alles so Erfasste auch tatsächlich auf Vorrat gegeben wurde. Es brauche noch Aufklärung und unterstützende Massnahmen, so die Schlussfolgerung. Ausserdem soll es Abklärungen mit den Veterinärbehörden geben.
Geflügel: In mehr als der Hälfte der Fälle kritische Wirkstoffe
Zwar wurde für Geflügel weniger oft ein kritisches Antibiotikum verschrieben, dafür aber in fast 60 Prozent der Fälle. Wenn Antibiotika eingesetzt wurden, waren also vergleichsweise oft kritische Wirkstoffe (im Gegensatz zum Rindvieh). Das BLV erklärt dies damit, dass für einige Indikatoren beim Geflügel keine anderen zugelassen seien. Die Möglichkeit von Umwidmungen und Importe von nicht-kritischen Alternativen sollen hier künftig Verbesserungen bringen.
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Unterschiedliche Gründe je nach Tierart
Am interessantesten ist vielleicht die Häufigkeit der einzelnen Behandlungsgründe:
- Bei Mastkälbern und -rindern wurden am häufigsten Antibiotika gegen Atemwegserkrankungen verschrieben.
- Milchkühe erhielten sie am häufigsten wegen Eutererkrankungen, Geburts- und Nachgeburtsstörungen.
- Bei Mastschweinen dominierten Erkrankungen des Verdauungstrakts und der Atemwege.
- Geflügel verschieb man Antibiotika am häufigsten wegen Nabel- und Dottersackentzündungen.
- Die häufigste Behandlungsgründe bei kleinen Wiederkäuern waren Atemwegserkrankungen und Geburts- und Nachgeburtsstörungen.
Fazit: Es braucht weitere Anstrengungen
In seiner Schlussfolgerung bezieht sich das BLV auf die bereits länger bestehenden Statistiken über die seit Jahren stetig sinkenden Verkaufsmengen von Antibiotika. Auch die Mengen der kritischen Wirkstoffe gehen zurück. Das ist zwar erfreulich, das Fazit aus den neuen Daten aber eher dürftig: «Mengen, Anzahl Verschreibungen und Anzahl Tierbehandlungen bei den Nutzungskategorien fallen sehr unterschiedlich aus». In einigen Kategorien seien die Werte besonders hoch – obwohl bereits Verbesserungen erzielt worden seien. Daher brauche es weitere Anstrengungen, um den Antibiotikaverbrauch weiter zu senken.