Die Pferdewelt ist mittlerweile ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor, der regelmässig neue Produkte und Therapiemöglichkeiten auf den Markt bringt. Dass aber Pferdezahnbehandlungen keineswegs Modeerscheinungen sind, wird nach dem Studium des historischen Films von Dr. Erwin Becker «Einmal im Jahr» deutlich.
Schon in der Kavallerie üblich
Schon vor dem zweiten Weltkrieg waren Zahnbehandlungen auf hohem Niveau und mit – für damalige Verhältnisse – modernster Technik besonders für Militärpferde an der Tagesordnung. Den Kavalleristen war bekannt, dass Tiere mit gepflegtem Gebiss das wertvolle Futter besser verwerten konnten, leistungsbereiter und somit wirtschaftlicher waren. Eine einfache Rechnung. Doch weshalb sind Zahnbehandlungen beim Pferd so wichtig?
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Die Autorin bei der Arbeit: Pferde zeigen erst spät deutliche Unwohlanzeichen sowie Futterverweigerung. (Bild Britta Rapp)
Die Morphologie der Pferdezähne hat sich im Laufe der Evolution, über Millionen Jahre hinweg, an das Nahrungsspektrum der einstigen Steppenbewohner bestens angepasst. Dort war das «täglich Brot» der Equiden weniger als konzentriertes Kraftfutter oder Pellets vorzufinden, sondern fast ausschliesslich in Form von rohfaserreichen und energiearmen Gräsern. Die hochkronigen Backenzähne der Equiden sind so aufgebaut, dass sie sich durch harte Gräser und viele Kauschläge pro Tag, jährlich um einige Millimeter ab-nutzen können. Denn der Pferdezahn schiebt pro Jahr zirka 3–6 Millimeter aus dem Zahnfach heraus – Backenzahn wie Schneidezahn.
Fälschlicherweise wird oft behauptet, Pferdezähne wüchsen nach. Dem ist nicht so, denn sie wachsen lediglich beim jungen Pferd auf die vollständige Grösse an und werden dann nach und nach aus dem Kiefer geschoben.
Schnelligkeit und Gebiss nicht immer kompatibel
Dieser Mechanismus ist geblieben, jedoch haben sich Nutzung und Haltung der Pferde stark verändert. Die heutige Pferdeernährung ist kaum noch mit der ursprünglichen zu vergleichen. Unsere Pferde erhalten konzentrierte Nahrung mit meist (zu) hohem Energiegehalt, der nicht immer den Zahnabrieb mit sich bringt, der notwendig wäre, um die Balance im Pferdemaul zu gewährleisten.
Gleichzeitig hat der Mensch seit vielen Jahrhunderten durch gezielte Selektion unterschiedlichste Pferderassen für verschiedenste Nutzungsbereiche gezüchtet. Schnelligkeit, Stärke, Ausdauer und oft Schönheit waren Zuchtziele, die nicht immer mit einem gesunden Pferdegebiss konform gingen.
Kaudruck gut verteilen
Gerade in der Zeit des Zahnwechsels werden junge Pferde auf das Leben als Reit- und/oder Kutschpferd vorbereitet und das erste Mal aufgezäumt. Bei vielen Pferden noch rudimentär vorhandene Wolfszähne (nicht zu verwechseln mit den Hengstzähnen beim vorwiegend männlichen Pferd) sind in der Regel vor den ersten Backenzähnen angelegt – gerade dort, wo später die Trense im Pferdemaul verschnallt wird.
Um unnötige Schmerzen und unangenehme Erfahrungen zu vermeiden, ist es ratsam die Wolfszähne vor dem Einreiten vom Profi unter fachkundiger Sedation am Stall entfernen zu lassen.
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Schiefe Schneidezähne vor der Behandlung (o.) und dasselbe, ausbalancierte Gebiss nach der Bearbeitung (u.). (Bild Johanna Probst)
Im Idealfall ist die Kaufläche der Backenzähne so ausgebildet, dass der Kaudruck gleichmässig auf die Kaufläche des Pferds verteilt wird. Durch unphysiologischen Abrieb entstehen stärker ausgeprägte Zahnkanten und Haken. Sind diese einmal entstanden, schränken sie den funktionalen Abrieb der Zähne weiter ein und prägen sich stärker aus. Die scharfen Kanten können zu Verletzungen der Maulschleimhaut und der Zunge führen.
Zahnfehlstellungen oder fehlende Zähne können zu einem ungleichmässigen Abrieb führen und die Kaubewegungen erheblich einschränken. Stufen, ausgeprägte Querkämme, Haken, Rampen oder Meisselzähne behindern die Beweglichkeit des Unterkiefers. Diese Fehlbildungen sowie überlange Schneide- und Backenzähne werden dann mechanisch wieder auf eine physiologisch korrekte Form und Länge geschliffen.
Schmerz wird nicht angezeigt
Mit einer Zahnbehandlung durch einen Pferdedentisten zu warten, bis das Pferd Anzeichen von Kauproblemen oder dem typischen Futterwickel ausspucken anzeigt, macht wenig Sinn. Pferde sind Flucht- und Beute-tiere und deshalb genetisch darauf getrimmt, Anzeichen von Schmerz nicht anzuzeigen.
Wird eine Zahnkontrolle komplett unterlassen, kann dies im schlimmsten Fall den Abgang des Tieres zur Folge haben, da eine «normale» Futteraufnahme irgendwann nicht mehr möglich ist. Wurde das vernachlässigte Pferdegebiss über Jahre hinweg nicht mehr ausbalanciert, können beispielsweise massive Meisselzähne mit Zahnverlust die Folge sein.
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Ausgespuckte Heuwickel deuten auf Probleme hin. (Bild Marlene Böhmer)
40 bis 60 Minuten pro Tier
Mit einer einzigen Zahnbehandlung ist es dann meist nicht getan. Der Behandler kann in solchen Fällen, wenn überhaupt, nur unbefriedigende Schadensbegrenzung leisten, da jeder Zahn über sogenannte Pulpen – das belebte Innere des Zahnes – versorgt wird. Eine Bearbeitung der Oberfläche ist immer nur innerhalb eines gewissen Spielraumes möglich. Ein weiterer Grund, der für die jährliche Routinekontrolle mit schonender Korrektur spricht.
Auf Pferdezahnbehandlungen spezialisierte Tierärztinnen oder geprüfte Pferdedentalpraktiker sollten mit der komplexen Aufgabe betraut werden, das Pferdegebiss einmal jährlich routinemässig zu untersuchen und fachgemäss zu korrigieren und auszubalancieren.
Qualitätskriterien für einen professionellen Pferdezahnbehandler sind regelmässige Fort- und Weiterbildungen, eine detaillierte Dokumentation der Behandlung, eine eingehende Untersuchung der vorher gereinigten Maulhöhle mit einem Spiegel oder einem Endoskop und die Bearbeitung der Backen- und Schneidezähne mit hygienisch sauberen Instrumenten.
Im Idealfall besteht die Behandlungs-Ausrüstung aus maschinell betriebenem Werkzeug, welches immer öfter mit einer Wasserkühlung ausgestattet ist. Eine qualitativ hochwertige Zahnbehandlung dauert ca. 40 bis 60 Minuten und findet am sedierten Pferd statt.
Rohfaser-Versorgung wichtig
Da uns die Pferde nicht sagen können, wenn sie Zahnschmerzen haben und gleichzeitig erfahrungsgemäss erst spät deutliche Unwohlanzeichen sowie Futterverweigerung anzeigen, ist es in der Pflicht des verantwortungsvollen Pferdebesitzers einmal jährlich einen Profi auf die Zähne des Vierbeiners schauen zu lassen und die Tiere bei der Fütterung vorbeugend mit ausreichend Rohfaser zu versorgen. Johanna Probst
Weitere Informationen: www.proross.de
Rinder haben wenig Reserve
Das Rindergebiss ist anders aufgebaut als dasjenige der Pferde. Da die Rinder die Inhaltsstoffe des Futters teilweise über das Wiederkäuen aufschliessen, sind ihre Zähne nicht für derart starken Kaudruck und Abrieb ausgelegt, wie das Gebiss der Equiden. Aus diesem Grund haben Rinder nicht so viel «Reservezahn» im Kiefer wie Pferde. Im Schneidezahnbereich ersetz eine Hornplatte im Oberkiefer acht Schneidezähne, im Bereich der Backenzähne sind ebenfalls insgesamt 24 Zähne, teilweise mit Milchzahnvorläufern angelegt. Wie wichtig auch für einen Wiederkäuer die Zahngesundheit ist, wird in einem weiteren Artikel der Autorin detailliert beleuchtet werden.