Für Markus Eberle ist die Alpsaison vorbei. Noch vor einem Monat hatte er an einer Medienkonferenz auf der Alp Halde in Flumserberg seine Situation geschildert. Trotz zahlreicher Herdenschutzmassnahmen lieferte er sich einen regelrechten Abnutzungskampf mit dem lokalen Wolfsrudel. Nach mehreren Schafsrissen und dem Angriff auf einen Herdenschutzhund spitzte sich die Situation zu. Mit dem Einsatz von zusätzlichen Herdenschutzhunden hoffte Eberle, dass sich die Situation beruhigen würde und er die Saison ordentlich zu Ende führen könne. Die Hoffnung erfüllte sich nicht.
«Vorzeitiger Alpabzug nach zahlreichen Angriffen», meldete «Blick» und verwies darauf, dass die Alpsaison nun doch einen Monat früher als geplant geendet habe. Weshalb kam es zum vorzeitigen Abbruch? Und wie geht es Markus Eberle jetzt? Die BauernZeitung hat mit dem Hirten gesprochen.
Markus Eberle, wie geht es Ihnen jetzt?
Markus Eberle: Persönlich und privat geht es mir jetzt gut. Nach der Erfahrung, die ich auf der Alp gemacht habe, merke ich einfach, dass ich müde im Kopf bin. Sonst bin ich wieder in meinen Job eingestiegen und in der Ostschweiz als Monteur tätig.
Hat diese Erfahrung Ihre Sicht auf das Thema Wolf grundsätzlich geändert?
Eigentlich nicht wirklich. Ich bin schon als Kind auf einer Alp aufgewachsen und wusste, was auf mich zukommt. Die Erfahrungen, die ich dieses Jahr gesammelt habe, waren aber natürlich ganz extrem.
Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht und Sie dazu bewogen, die Alpsaison zu beenden?
Der ganze Sommer mit der Präsenz des Wolfs war sehr kräftezehrend. Nach dem Angriff auf die Herdenschutzhündin Fly konnten wir die Situation dank der zusätzlichen Herdenschutzhunde für eine bis zwei Wochen einigermassen stabilisieren. Anschliessend hatten wir wieder Risse. Vom Gelände her wusste ich, dass die Situation schwieriger werden dürfte, weil wir wieder in unübersichtliche Weiden mit viel Gehölz hätten gehen müssen. Der Wolf hätte von diesem Gelände profitiert und es wäre sicher zu weiteren Rissen gekommen.
Der eigentliche Punkt kam dann, als sich eines Tages der Wolf vor mir zeigte und in einer Entfernung von etwa 50 Metern ein Lamm riss. Ich habe Lärm gemacht und bin auf ihn zugerannt. Er ignorierte zuerst meine Präsenz, dann hat er mich angeschaut und ist in aller Ruhe davon stolziert. Meine Herdenschutzhunde waren zu dem Zeitpunkt schon völlig am Ende ihrer Kräfte. Da wurde mir bewusst: Wir können den Herdenschutz nicht mehr gewährleisten.
Gab es einen Moment, in dem Sie sich besonders gefährdet gefühlt haben, und wie haben Sie in dieser Situation reagiert?
Der Moment, als ich am meisten Respekt hatte, war in einer Nacht, als die Schafe gleich neben der Hütte eingepfercht waren. Ich registrierte, wie die Wölfe an die Schafe wollten und wie die Hunde diese verteidigten. Beim Herausgehen musste ich extrem aufpassen, denn die Hunde sind in so einer Situation vollgepumpt mit Adrenalin. Man sieht trotz Taschenlampe nichts und muss aufpassen, dass die Hunde nicht auf einen losgehen.
Der Angriff auf Fly hat ebenfalls etwas in mir ausgelöst. In der Nacht, als der Angriff geschah, war eigentlich geplant, dass ein Freiwilliger vom WWF bei den Schafen schlafen würde. Da der Wolf gegenüber dem Menschen ja scheu sei, hätte es zu keinen Angriffen kommen sollen, sagte man. Er kam aber erst spätabends und ich konnte ihn in der Herde nicht integrieren. Als wir am Morgen dann die verletzte Hündin fanden, war die Arbeit für ihn erledigt. Die Gefahr, dass auch er vom Wolf angegriffen werden könnte, war einfach zu gross.
Wie denken Sie, könnte die Situation in Zukunft verbessert werden, um die Sicherheit von Hirten und Herden zu gewährleisten?
Was wir als Älpler und Landwirte verbessern können: Wir müssen die Hunde aufstocken. Es braucht viel mehr Hunde, wir müssen sie auswechseln können, wenn einer verletzt ist. Das wird nicht leicht sein, denn wir müssen die Hunde das ganze Jahr über halten.
Und welche Unterstützung oder Massnahmen würden Sie sich von der Politik oder den Behörden wünschen?
Ich wünsche mir viel schnellere Abschüsse in Gebieten, wo es Probleme gibt. Wenn ich mit den osteuropäischen Ländern vergleiche, halten die auch viele Schafe, haben aber auch sehr viele Raubtiere. Dort geht der Wolf aber nur einmal auf ein Schaf los und dann war es das für ihn.
Wie schätzen Sie die langfristigen Auswirkungen der aktuellen Situation auf die Bewirtschaftung der Alpen ein?
Früher oder später werden sich die Bewirtschaftung und die Wolfspräsenz zwangsläufig einpendeln. Im Zuge dessen werden wir viele Weiden aufgeben müssen. Jene, die wir erhalten können, müssen wir aber versuchen zu schützen. Im Bereich Herdenschutz ist die Schweiz schon sehr weit, wenn ich das mit Ländern wie Deutschland oder Österreich vergleiche. In Österreich zum Beispiel werden Herdenschutzhunde erst seit 2020 ausgebildet, die Ausbildung orientiert sich zudem am Schweizer Modell.
Wie hoch ist der finanzielle Verlust durch die Abalpung?
Dazu kann ich leider nichts sagen, weil ich die genauen Zahlen nicht kenne.
Wie stand es um die Unterstützung durch Alpbesitzer, Behörden und Verbände?
Ich möchte diesbezüglich ein Riesenlob an die Landwirte und die Alpgenossenschafter aussprechen. Sie waren für mich da und unterstützten mich. Auch ein Lob möchte ich an die Wildhut richten. Nach einem Anruf war der Wildhüter schnell da, um zum Beispiel ein angerissenes Lamm zu erlösen. Bei den anderen habe ich keinen Einblick.
Ihre Familie hat Sie auf die Alp begleitet. Wie war es für Sie? Wie schützt man ein Kind in einer solchen Situation?
Ich weiss, dass man auf der Nachbaralp den Wolf um vier Uhr nachmittags auf der Wiese vor der Hütte sah. Ich habe mir Gedanken gemacht, was passieren würde, wenn dann das Kind auf der Krabbeldecke draussen wäre. Bevor sich im Umgang mit dem Wolf gross etwas ändert, werden wohl erst Menschenleben daran glauben müssen. Der Wolf verliert je länger, je mehr die Scheu.
Hätte es Ihnen geholfen, wenn Sie weitergehende Massnahmen zur Abwehr hätten ergreifen dürfen – bis hin zum Verteidigungsschuss?
Ja sicher, der Wolf wäre geschossen worden und wir hätten die Alpsaison geregelt beenden können. Mit dem Verteidigungsschuss würden wir dem Wolf ja nicht nachstellen, sondern er wäre für uns Älpler als Schutz gedacht.
Werden Sie nächstes Jahr auf die Alp Halde zurückkehren?
Ich muss zuerst einmal schauen, wie sich die Situation mit dem Wolf entwickelt. Eventuell muss der Herdenschutz angepasst werden. Wir lassen uns bis Weihnachten Zeit und dann entscheiden wir zusammen mit der Familie.