Sechs Meter lang, 2,55 Meter breit und vier Meter hoch. Gerade mal 20,2 Quadratmeter misst Fiona Bayers Wohntraum. Auf dieser Fläche passt alles, was sie zum Leben braucht: von Bett, Tisch und Waschmaschine bis hin zum E-Piano. Untergebracht ist alles in einem kleinen, freistehenden Häuschen, das der Studentin gehört. 

Eine 23-jährige Eigenheim-Besitzerin? Das ist in der Schweiz eine Seltenheit. Ihr Mini-Haus fällt ebenfalls aus dem Rahmen, zumal es auf Rädern steht. «So kann ich das Haus bei Bedarf verschieben», erklärt Fiona Bayer. «Mit der Grösse passt es unter fast jede Brücke und kann von einem starken Personenwagen an einen anderen Ort gezogen werden.»  

Trend Tiny House

Fiona Bayer ist dabei, sich ein «Tiny House» zu bauen, ein winziges, mobiles Eigenheim. Tiny Houses sind seit der Wirtschaftskrise von 2008 vor allem in den USA als alternative Wohnform ein Thema. Unterdessen ist das Interesse an kleinen Wohneinheiten weltweit gewachsen.

Weil sie weniger Platz beanspruchen und damit ökologischer sind.

Weil sie den Standort wechseln können. Und weil sie deutlich günstiger sind als ein normal grosses Einfamilienhaus oder eine Eigentumswohnung. 

Für Fiona Bayer begann alles während einer langweiligen Vorlesung im Sommer 2015. Damals studierte sie Politikwissenschaft. «Es war alles so trocken, so theoretisch. Ich aber wünschte mir, etwas Handfestes zu tun.» Zudem wollte sie schon immer wissen, wie es sich in einem Zirkuswagen lebt. Die Studentin begann zu googlen, stiess schnell auf verschiedene Tiny Houses – und war fasziniert! So etwas wollte sie auch, und zwar selbst gebaut. 

Ein Jahr Recherche

Rund ein Jahr lang recherchierte die Bonstetterin jedes Detail, das man beim Bau beachten muss. Den Anfang machten englischsprachige Websites mit Tipps und Tutorials. «Die waren so etwas wie meine Grundlage.» Denn Bauerfahrung hatte Fiona Bayer zu diesem Zeitpunkt keine, nicht mal im Ansatz.

«Ich bin dabei eine Spätzünderin. In der Schule war ich nicht besonders gut im Werken. Das war auch später kein Hobby. Genau genommen hatte ich vor Baubeginn noch nie einen Akku-Bohrer in der Hand. Daher traute mir zu Beginn keiner den Hausbau so richtig zu.» 

Also beschloss sie, etwas «zu üben»: Sie fertigte ein Serviertablett. Das klappte gut, sie fühlte sich gerüstet für das grosse Projekt. Dem freundlichen Spott ihres Freundeskreises begegnete sie mit Gelassenheit. Heute sagt sie über ihre Anfänge: «Ich habe einen eisernen Willen, wenn mich etwas fasziniert. Vielleicht war ich auch einfach naiv und selbstbewusst. Aber mein Beispiel zeigt: Auch Menschen, die keine Ahnung vom Handwerk haben, schaffen das.»

Der Blog zum Hausbau

Da sie zu der Zeit im Web keinerlei Informationen über ein ähnliches Projekt in der Schweiz fand, startete die junge Frau mit einem Blog zum Tiny-House-Bau: www.tiny-house-projekt.ch. Dort schreibt sie seither über ihre Erfahrungen beim Planen und beim Bauen, gibt Tipps und neu erworbenes Fachwissen weiter.

«Ich musste mich ja von Grund auf schlaumachen. Insgesamt habe ich rund zwei Jahre recherchiert. Das sind an die tausend Stunden. Neben den Internetrecherchen war ich unter anderem bei einem Schreiner, einem Sanitärinstallateur, einem Zimmermann und einem Elektro­installateur. Inzwischen habe ich ein richtig gutes Netzwerk.»

Budgetiert ist das Minihaus mit 40 000 Franken. Um das Geld zusammenzubekommen, gab Fiona Bayer das ungeliebte Studium auf und arbeitete ein Jahr lang mit einem 60-Prozent-Pensum im Service. Daneben plante sie weiter an ihrem Häuschen. Im November 2016 war es schliesslich so weit: Baustart. «Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer mal wieder Zweifel. Seit Baubeginn nie mehr.» 

Auf dem Gelände der Genossenschaft Holzlabor in Thalheim an der Thur fand die angehende Bauherrin einen Standplatz und Unterstützung für ihr Vorhaben. Die dazugehörige Schreinerei ist auf Wagenbau spezialisiert. 

Im November 2017, ein Jahr nach Baubeginn, schrieb Fiona in ihrem Blog:

«Seit dem 24. November 2016 ...

  • habe ich 286 Stunden am Tiny House gebaut.
  • habe ich rund einen Tag pro ­Woche für Bestellungen, Offerten, Recherche und Transporte verwendet.
  • bin ich an 68 Tagen draussen beim Tiny House am Werkeln gewesen.
  • konnte ich auf die unglaublich geschätzte Hilfe von 31 Freunden und Freundinnen zählen!

Rechtliche Grauzone

Im Sommer 2018, rund anderthalb Jahre nach Baubeginn, sind die Aussenarbeiten am Häuschen abgeschlossen. Nun konnte der Innenausbau beginnen.

Zudem stand ein Umzug an: Fiona Bayer hatte für ihr Tiny House einen Stellplatz gefunden, was kein leichtes Unterfangen ist: Gemeinsam mit fünf Freunden wohnt sie seit August in ihrer Heimatgemeinde Bonstetten in einem alten Bauernhaus. Ihr mobiles Heim darf sie gleich daneben aufstellen. «Wo darf man ein Tiny Haus aufstellen?», sei eine der häufigsten Fragen auf ihrer Website, sagt Fiona Bayer.

Tatsächlich bewegen sich die Erbauerin einer Grauzone. Ob ein Kleinhaus,ein Zirkuswagen oder auch eine Jurtein einer Gemeinde stehen darf, hängt von individuellen Lösungen ab. Das möchte der neue Verein «Kleinwohnformen» ändern, dessen Präsidentin Fiona Bayer ist. Eines seiner Ziele ist, in der Schweiz eine einfache und einheitliche Bewilligungspraxis für Kleinwohnformen zu etablieren. 

Viel Aufwand. Doch aus Sicht von Fiona Bayer, die inzwischen ein neues Studium als Sekundarlehrerin begonnen hat, auf jeden Fall lohnenswert. «Eine eigene Mietwohnung stimmt für mich nicht und in einer WG habe ich zu wenig Rückzugs- und Gestaltungsmöglichkeiten.»

In ihrem Häuschen sei sie mit einem Schritt im Garten. Zudem zahle sie fast keine Miete. Das gäbe ihr finanzielle Freiheit. «Ich habe keine Angst vor zu viel freier Zeit, damit kann ich viel Tolles machen, wie mein Hobby zu pflegen oder mich ehrenamtlich zu engagieren.» 

Aufgewachsen ist sie in einem «ganz normalen» Einfamilienhaus, zusammen mit Eltern und einer Schwester. «Dort muss man laut rufen, um miteinander zu kommunizieren. Und ständig putzen. Das ist nichts für mich». 

Alles da

In ihrem eigenen Reich entstehen nun auf kleinem Raum eine Küche und ein Wohnbereich, mit selbst gebauten Multifunktionsmöbeln, die auch Stauraum bieten. Über dem geliebten E-Piano wird eine ausklappbare Schreibtischplatte montiert. Ein kleiner Schiffsofen soll wohlige Wärme liefern. Dusche, Kompost-WC und selbst eine Mini-Waschmaschine sind eingeplant. Eine Leiter führt in eine zweite Ebene mit einem grosszügigen Schlafloft. 

Die Vorbereitungsphase empfand Fiona Bayer als Bereicherung für ihr Leben: «Ich habe so viel gelernt und Einblicke in diverse Sparten des Bauhandwerks bekommen.»

Nicht zuletzt habe sie sich im Vorfeld mit den eigenen Bedürfnissen auseinandersetzen müssen: Was will ich? Was brauche ich? An Platz. An Dingen. An Komfort. Für Fiona Bayer bedeutet die Reduktion auf das Wesentliche auch Ruhe, Struktur und Sicherheit. «Wir Menschen bauen uns gerne ein Nest.»

Seit sie wieder Vollzeit studiert, bleibt nur noch ein Tag pro Woche, um am Haus zu bauen. In rund einem Jahr will sie mit ihrem Bauprojekt fertig sein und einziehen. «Dann habe ich ein Dach über dem Kopf, das mir bleibt.»

Weitere Informationen:

www.tiny-house-projekt.ch

www.kleinwohnformen.ch