Neun Monate im Jahr beginnen Tanja Müllers Samstage um fünf Uhr in der Früh. Am Frischmarkt in Langenthal verkauft sie IP-Suisse-Schweinefleisch, Piemonteser Beef und Regenbogenforellen vom eigenen Hof.
Diese neun Monate bieten der Bäuerin immer wieder die Gelegenheit, den Kunden die Herausforderungen der Landwirtschaft näher zu bringen. «Viele Leute haben keinen Bezug mehr zu den Bauern», weiss sie aus Erfahrung. «Die Markttage geben mir die Gelegenheit, die Ansprüche und Wünsche der Konsumentinnen und Konsumenten kennenzulernen. Wenn es gewünscht wird, erzähle ich dann gern mehr zu unseren Produkten, zu landwirtschaftlichen Themen und den Hintergründen und beantworte Fragen.»
Der Dschungel mit den Labels
Dabei stellt sie immer wieder fest, dass der Kunde Dinge wissen will, die ihr «zuvor nicht bewusst gewesen» waren. Wie etwa der Dschungel mit den Labels. Die Propaganda im Zusammenhang mit verschiedenen Volksinitiativen. Die Verwendung der Fleischstücke von «Nose-to-Tail». Die Haltebedingungen der Schlachttiere. Die richtige Zubereitung eines Stückes.
Die Kunden abholen
Tanja Müller gibt gerne Auskunft. «Es geht nichts über das Abholen und Sensibilisieren des Kunden! Für uns ist dies sehr wichtig und daran arbeiten wir täglich.» Seit zehn Jahren verkauft sie an einem der rund zwanzig Stände in Langenthal Würste, Charcuterie, Frischfleisch sowie geräucherten und frischen Fisch.
Die stattliche Auslage wird von Ehemann Kaspar, einem gelernten Landwirt und Metzger, in der Hofmetzgerei weitgehend selbst hergestellt. Es sind vor allem Stammkunden, die bei den Müllers einkaufen: «Sie kommen bei jedem Wind und Wetter.»
Die Kunden kennen
Diese Treue kommt nicht von ungefähr. Tanja Müller weiss, was der Kunde wünscht: «Er will eine gewisse Produktevielfalt, aber keinesfalls ein Überangebot. Ihm sind zudem die Qualität sowie Information zur Herstellung, Zubereitung wichtig.»
Produziert wird Fleisch und Fisch auf dem Tannenhof im luzernischen Ebersecken. Seit 2014 nimmt Tanja Müller zudem Einsitz im Regionalausschuss Zentralschweiz der Firma Anicom. Das Unternehmen mit hundert Mitarbeitern und eigener Transportflotte ist der grösste Tiervermarkter der Schweiz und gehört zur Fenaco Genossenschaft.
Markterfahrung für den Verwaltungsrat
2018 wurde Tanja Müller zu Präsidentin des Regionalausschusses gewählt. In dieses Mandat kann sie die Erfahrungen aus Ebersecken und vom Markt in Langenthal miteinfliessen lassen.
Ebersecken – der Name ist Programm für die ganze Region, die Tanja Müller vertritt. Der Name soll laut Chronik auf die Alemannen zurückgehen, darin der Eber, althochdeutsch «ebur», der als das «vorzüglichste Jagdwild» jener Zeit beschrieben wird. Ein schwarzes, männliches Schwein ist auch auf dem Wappen des 400-Seelendorfes ohne Bus, ohne Laden, ohne Post, aber mit Gasthaus und Käserei abgebildet.
Wichtige Fleisch-Region
«Aus der Zentralschweiz stammt jedes dritte Schlachtschwein der Schweiz», macht Tanja Müller auf die Bedeutung der Region aufmerksam. Das ist viel Verantwortung für die 43-Jährige.
Als Präsidentin des Regionalausschuss Anicom ist sie automatisch auch Verwaltungsrätin und damit Vertreterin der Zentralschweizer Aktionäre. Die erste Frau in der 50-jährigen Geschichte der Anicom.
Sie habe sich das gut überlegen können und alle nötigen Informationen vorab bekommen, sagt Tanja Müller. Sie habe sich auch mit der Frage beschäftigt, was wäre, wenn es nicht klappen würde. Und sich die Antwort gegeben: «Im schlimmsten Fall habe ich eine Erfahrung gemacht!»
Frauen dürfen sich mehr zutrauen
So leichtfüssig diese Einstellung der Luzernerin daherkommt, so klar sind ihre Aussagen zum Thema Frauen und Macht: «Als Quotenfrau fühle ich mich nicht, sondern bestens gerüstet.» Geholfen habe der berufliche Werdegang mit einer Banklehre, dem Fachausweis für Finanzplanung und dem noch jungen CAS Agrarrecht an der Uni Luzern. «Frauen sollten sich solche Aufgaben vielleicht auch mehr selber zutrauen lernen.»
Eine Frage des Geschlechts sei das schon längst nicht mehr, vielmehr des Willens. «Wir sind halt vielleicht nicht so typische Landwirte», meint sie schmunzelnd. Auf dem 188 Jahre alten Tannenhof ist es selbstverständlich, dass die Frau nicht nur die Buchhaltung macht, sondern ein Amt hat und Investitionen gemeinsam getätigt werden.
So wurde jüngst eine Mutterkuhscheune gebaut. Sie bietet Platz für die Ausmast, für die Abkalbeboxen und die Muttertiere.
«Messer & Gabel», das Magazin der Schweizer Metzger, berichtete vergangenes Jahr über das edle Piemonteserfleisch: «Ein fetter Geheimtipp». Was die Zukunft im gesamten Fleischhandel bringe, sei nicht vorhersehbar. Nur eines stehe fest: «Unsere Branche verändert sich rasant und ständig, wir Bauern stehen in einem Spannungsfeld, versuchen den Spagat zum Konsumenten.»
Dranbleiben
Dazu gehört, sich auf neue Technologien einzustellen. Längst hat die Digitalisierung Einzug in den Viehhandel gehalten, dazu gehört auch eine eigene App, die die Anicom ihren Produzenten zur Verfügung stellt.
Damit können Tiere per Knopfdruck angemeldet und bestellt werden, hier finden sich aktuelle Marktdaten und News. Eine grosse Kiste, die Tanja Müller mitstemmt. Optimistisch meint sie: «Manchmal braucht man eine Herausforderung, um darin eine Chance erkennen zu können!»
Richtig verstehen kann man diesen Satz wohl nur vor dem Hintergrund, dass die Bäuerin, Ehefrau und zweifache Mutter vor einigen Jahren eine Lebenskrise meisterte. Kurz vor der Hofübernahme erkrankte sie an Schilddrüsenkrebs.
Positive Gedanken helfen
Trotzdem baute sie die Direktvermarktung für Hofprodukte konsequent weiter aus – und merkte: Positive Gedanken helfen auch in schwierigen Situationen!
Tanja Müller ist wieder gesund und voller Tatendrang. «Nöd lugg loh gwünnt!» lautete der Titel des Referates, das sie dazu an der Olma am Tag der Bäuerin hielt. «Rahmenbedingungen schaffen für eine produzierende Landwirtschaft», hiess der Titel des Referats, das sie an der jüngsten Anicom-Tagung hielt.
Nicht aufgeben, auch wenns hart wird. Die Chance sehen – und dann packen. Für Tanja Müller eine grundsätzliche Lebenseinstellung.
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