BauernZeitung: Marco Stettler, Mitte März wurde die Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) sistiert. Finden Sie das gut?
Marco Stettler: Zu diesem Zeitpunkt lag mein Fokus klar bei den Initiativen, die am 13. Juni zur Abstimmung kamen. Für mich war die Sistierung eher ein Randgeschehen. Ich bekam mit, dass sich die beiden Lager nicht einig waren, das ist schade. Es braucht Veränderungen, aber niemand ist gewillt, Kompromisse einzugehen. Kompromiss heisst für mich, man kommt weiter.

Was sind die grösstenSchwächen der aktuellen Agrarpolitik (AP)?
Einer der wichtigsten Punkte ist der enorme administrative Aufwand. Die fünf Säulen, auf denen das Direktzahlungssystem aufbaut, gehen mir zu fest ins Detail. Man muss sich sehr tief einlesen, um alles zu verstehen.

 

Betriebsspiegel Stettler Landwirtschaft

Betriebsleiterfamilie: Marco und Claudia Stettler mit Sohn Nino Walter

Ort: Grafenried (Bern)

Ackerfläche: 38 ha, IP-Suisse-Getreide, Raps, Zuckerrüben sowie Spezialkulturen wie Spargeln, Rhabarber, Melonen, Artischocken und Futterbau

Viehbestand: 27 Milchkühe (235'000 l/Jahr, Milch geht an die Emmi)

Besonderes:Direktvermarktung mit 24h-Automat, aktiv auf Instagram «Stedi_u_dr_hof»

 

Hätten Sie einen konkreten Vorschlag, was man vereinfachen könnte?
Ich glaube, man könnte Säulen zusammenfassen, weil sie sehr ähnlich sind. Konkret, die Kulturlandschafts- und Versorgungsbeiträge, dann die Landschaftsqualitäts- und die Produktionsbeiträge.

Bei den Landschaftsqualitätsbeiträgen würde ich nur zwischen Ackerbau- und Weidesystem unterscheiden. Beide werden pro Hektare entgolten und sind schweizweit gleich. Die jetzigen, je nach Region unterschiedlichen Beiträge hinterfrage ich. Oder wie soll ich der Bevölkerung erklären, dass ich für einen Zaun aus ausländischem Akazienholz pro Laufmeter entlöhnt werde, im Gegensatz zu einem Kunststoffzaun, der eventuell langlebiger ist?

Das kann zu Direktzahlungsoptimierungen führen, finden Sie das in Ordnung?
Ich finde es legitim. Wenn man Geschäftsmann ist, nimmt man Beiträge, ohne vielleicht viel dafür zu machen. Der Holzzaun zum Beispiel ist bereits da, weshalb also nicht das Kreuz machen und fünfzig Rappen pro Laufmeter kassieren? Wenn die Einzelkulturbeiträge runtergeschraubt werden, versucht man auf diese Art zu kompensieren.

Die aktuelle Politik fordert mich ja richtiggehend dazu auf. Irgendwie schäme ich mich dafür. Ich werde dadurch zum günstigen Landschaftspfleger und werde von meiner Hauptarbeit, der Produktion von Lebensmitteln, abgelenkt.

Hat die AP noch weitere Schwächen?
Als Vorbereitung auf dieses Gespräch tauschte ich mich mit meinem Berufskollegen Thomas Steiner aus. Er machte mich darauf aufmerksam, dass bei Ämtern, die mit der Landwirtschaft zu tun haben, nur wenige Landwirt(innen) mit Eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ), also Praktiker(innen), arbeiten. Das wäre ein Korrekturfaktor, der vorgenommen werden könnte: Ein Drittel der Stellen muss mit EFZ-Landwirt(innen), die einen Bezug zur Praxis haben, besetzt sein.

Was hätte das für einen Vorteil?
Bei Finanzproblemen ziehen wir auch keine Bauern, sondern Finanzexperten bei. Wir brauchen Leute, die wissen, wie die Natur und das System funktioniert, bevor sie eine Vorschrift erlassen.

Da fällt mir gerade noch ein Witz ein: Wieso haben Traktoren ein Drehlicht? – Damit die Banken wissen, wo das Geld ist (lacht).

Behindert die aktuelle AP die produzierende Landwirtschaft?
Ich definiere produzierende Landwirtschaft wie folgt: das Erwirtschaften des bestmöglichen Ertrags pro Hektare bei einer bestmöglichen Umweltbilanz.

Behindern ist hart ausgedrückt, besser wäre vielleicht beeinträchtigen.

In welcher Hinsicht?
Obwohl sie von Gesetztes wegen alles richtig machen und die Regeln einhalten, finde ich, dass die ÖLN-Bauern im System recht schlecht dastehen. Sie werden als die Bösen, die viel spritzen und düngen, dargestellt. Ich finde es beschämend, wie sie gemobbt werden.

Wir haben jedoch nebst der Ökologie auch den Auftrag, Lebensmittel für unsere Bevölkerung zu produzieren. Wenn man ÖLN-Weizen mit Bioweizen vergleicht, hat man sofort einen Viertel weniger Ertrag. Und diese Differenz müssen wir dann importieren.

À propos weniger Ertrag, wie wichtig ist Ihnen der Selbstversorgungsgrad?
Der ist sehr wichtig. Er sollte mindestens bei über 50 Prozent liegen. Wenn wir nicht genügend produzieren, sind wir auf Importe angewiesen. Das Ausland weiss genau, wann wir von etwas zu wenig haben und schraubt sofort die Preise hoch. So geschehen in Frankreich mit Luzerne für den Schweizer Export.

Die Corona-Pandemie hat ebenfalls gezeigt, dass jede Nation zuerst für sich schaut, wenn Produkte weltweit knapp werden. Das finde ich übrigens sehr verständlich, ich würde es genauso machen.

Was täten Sie, wenn die Direktzahlungen abgeschafft würden?
Irgendwie wäre ich froh, wenn das so wäre, dann müsste ich den Papierkram nicht mehr erledigen (grinst). Ich würde ein F-B-E (feststellen, beurteilen, entscheiden) machen. Diesen Ablauf kenne ich von der Feuerwehr her. Ein möglicher Entscheid könnte sein, dass ich meine Kuhherde halbiere und die gesamte Milch direkt vermarkte – obwohl, andere würden wohl auch auf die Direktvermarktung setzen.

Ich könnte in meinen Erstberuf Zimmermann zurückkehren. Vielleicht geht am Ende auch meine Frau 100 Prozent auswärts arbeiten, und ich schaue zum Kind und mähe den Rasen rund ums Haus.

Vermehrt wird von einem Stadt-Land-Graben gesprochen. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich verstehe, dass Stadtmenschen einen anderen Fokus haben als wir. Aber den Stadt-Land-Graben gibt es nicht. Wir sind eine Schweiz, jedoch gibt es verschiedene Meinungen. Ich finde es beschämend, wie die Politiker versuchen, mit dem Gerede von einem Stadt-Land-Graben die Stimmung anzuheizen und die Bevölkerung gegeneinander aufzubringen. Damit gehen sie gezielt auf Stimmenfang für die nächsten Wahlen.

Wie holt man als Landwirt die städtische Bevölkerung ins Boot?
Wenn ich mit Städtern rede und ihnen gewisse Dinge erkläre, gibt es sofort Aha-Momente. Die Branche hat es leider verpasst, geschlossen auf die Konsument(innen) zuzugehen und Vertrauen zu schaffen. Es gibt viele Organisationen und Labels, aber die sind irgendwie nicht mehr glaubwürdig. Labels generieren zwar Geld, davon profitiert jedoch vorwiegend der Detailhandel. In letzter Zeit sind es vor allem die Jungbauern, die den Dialog führen und Werbung für die Landwirtschaft betreiben.

Was für eine Rolle spielen die sozialen Medien?
Eine wichtige. Via Instagram, Twitter usw. machen Junglandwirte glaubwürdige PR für die Landwirtschaft. Auch Geschichten, welche die landwirtschaftliche Presse aufdeckt, werden so geteilt und erreichen die Menschen von ausserhalb der Landwirtschaft. Einer, der das besonders gut macht und es auf den Punkt bringt, ist meiner Meinung nach Jörg Büchi vom «Milchbauernhof». Plötzlich spielen Labels keine Rolle mehr, sondern du als Bauer mit deinem Hof und deinem Tun bist eine Marke. «Den Stadt-Land-Graben gibt es nicht. Wir sind eine Schweiz.»

 

AP-Serie (Teil 2)

Braucht es in der Agrarpolitik den grossen Wurf oder nur den richtigen Kompromiss? In einer Serie gehen wir der Frage nach und sprechen mit Praktiker(innen) über ihre Ideen für die Zukunft.

Bisher in der AP-Serie erschienen: «Fünf Eisen im Feuer»

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