Wie geht man auf einem Hof im Berggebiet sachlich und präventiv mit der Wolfspräsenz um? Was heisst das konkret für den eigenen Betrieb? Damit setzten sich Séverine Curiger und Michael Dick schon seit geraumer Zeit auseinander. Die beiden führen in Tinizong GR einen Biobetrieb mit 60 Milchziegen, einer eigenen Hofkäserei sowie mit Direktvermarktung von Ziegenkäse und Gitzifleisch. Weiter wird Ackerbau für Gran Alpin betrieben, Kornblumen für Swiss Alpine Herbs angebaut und eine Alpweide für nichtlaktierende Tiere bewirtschaftet.

Bisher musste der Hof noch keine Wolfsrisse beklagen. Damit das so bleibt, gehören zum Hof zwei geprüfte Herdenschutzhunde sowie zwei weitere Hunde in Ausbildung. Im Interview erklärt Séverine Curiger, welche Auswirkungen die Hunde auf den Betriebsalltag haben – und was vorgängig geklärt werden musste.

Séverine Curiger, welche Gedanken machten Sie sich vor der Anschaffung der Herdenschutzhunde?

Séverine Curiger: Die Frage war, wie die Hunde unseren Betriebsalltag und die Ziegenhaltung verändern würden. So kann zum Beispiel nicht einfach eine den Hunden unbekannte Person eine Stallvertretung machen. Wir fragten uns, was die Haltung von Herdenschutzhunden für unsere Nachbarn, für andere Hundebesitzer im Dorf und für Gäste bedeutet.

Warum ist das wichtig?

Der Hof liegt in einem Tourismusgebiet. Als Halterin von Herdenschutzhunden ist man plötzlich exponiert. Bevor wir Hunde über das Bundesprogramm beantragt haben, haben wir mit erfahrenen Herdenschutzhundehaltern gesprochen, diese auf ihren Höfen besucht und Kurse gemacht. [IMG 2]

Was war zu beachten?

Unsere Entscheidung, Herdenschutzhunde zu halten, betrifft auch unsere Nachbarn. Es war uns wichtig, die Leute im Voraus zu informieren. Einige besuchten unseren Stall, um sich selbst ein Bild zu machen. Während des Sommers informieren wir die Menschen mit Infotafeln bei den Weiden und mit Flyern im Hofladen. Auch das Tourismusbüro legt Flyer auf. In Gebieten mit Herdenschutzhunden ist es wichtig, dass sowohl Einheimische als auch Gäste lernen, wie man sich am besten verhält. Beim Aufstellen der Zäune achten wir darauf, sie nicht ganz an die Wegränder zu setzen. Es braucht ein gegenseitiges Entgegenkommen und Rücksichtnahme.

Wie lief die erste Zeit mit den Hunden auf dem Hof?

Für uns war die Herdenschutzhundehaltung komplettes Neuland. Es war uns wichtig, die Hunde gut in unseren Betriebsalltag zu integrieren. Die Gewöhnungsphase war für alle Beteiligten sehr zeitintensiv. Die Hunde sind das ganze Jahr über bei der Herde. Also mussten sich die Ziegen zuerst an die Präsenz der Hunde gewöhnen.

Wie sind Sie das angegangen?

Diese Phase fand im Winter im Stall statt und der erste Sommer war eine echte Herausforderung. Sehr wertvolle Unterstützung haben wir in dieser Zeit von Mitarbeitenden des Bundesprogramms und von erfahrenen Halterinnen bekommen.

Was ist der Unterschied zur «normalen» Hundehaltung?

Herdenschutzhunde zu halten, ist eine grosse Entscheidung. Es gehören Zeit, Interesse, Geduld und Herzblut dazu. Schutzhunde müssen selbstständig Entscheide fällen können. Das ist ein bedeutender Unterschied zu den Hunden, die wir sonst auf den Höfen haben. Es sind sehr feinfühlige Tiere, das hat mich überrascht. Wir lernen immer noch dazu und so bleibt die Arbeit mit unseren Tieren spannend.

Für Sie war das Bundesprogramm sehr hilfreich. Wagen Sie eine Prognose, wie es weitergeht?

Wie es nun weitergeht, wenn der Bund die Verantwortung an die Kantone übergeben wird, wird die Zukunft zeigen. Die Qualitätszucht von tauglichen Herdenschutzhunden ist für uns Tierhalterinnen das Wichtigste. Die Hunde müssen ein zuverlässiges Abwehrverhalten zeigen und herdentreu sein. Nur so nützen sie. Wichtig wäre weiterhin ein solider Rechtsschutz. Ich wünsche mir, dass das Thema Herdenschutz vermehrt fachlich behandelt und weniger emotional und politisch instrumentalisiert wird.

Wie sehen Sie die Zukunft für das Zusammenleben von Tierhaltern und Wölfen?

Das ist ein schwieriges Thema. Die Wölfe kennen weder Kantons- noch Landesgrenzen. Die Gegebenheiten sind hier anders als in Frankreich, Rumänien, Italien oder den USA. Es braucht Herdenschutz und ebenso finde ich es nötig, dass Wölfe, die Nutztiere gerissen haben, innert nützlicher Frist reguliert werden können. Wichtig finde ich, dass wir Tierhalter beim Herdenschutz unterstützt werden.

Warum braucht es Unterstützung?

Herdenschutz bedeutet einen enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Der finanzielle Aufwand ist bisher weitgehend gedeckt worden, nicht aber unsere zusätzliche Arbeit. Auch die emotionale Belastung, wenn sich Probleme mit den Herdenschutzhunden ergeben oder es Risse gibt, darf nicht unterschätzt werden. Ich bin überzeugt, dass wir lernen müssen, nebeneinander zu existieren. Dafür braucht es Engagement, Anpassung und Verständnis von allen.