Für viele Bäuerinnen ist der Advent nicht unbedingt die ruhigste Zeit: Statt ihre Schulaufgaben zu machen, bestürmen die Kinder ihre Mütter mit den verrücktesten Geschenkwünschen. Das grosse Guetzlibacken steht an. Daneben sollten die Kinder noch etwas Originelles für ihre Gotte und den Götti basteln. Das kann ganz schön viel Stress bedeuten. Und doch möchte keine die Adventszeit missen. Was macht ihren Reiz aus?
Ein Grund ist, dass der Dezember die wunderbare Zeit der verführerischen Düfte ist. Viele Landfrauen backen sich durch die Nächte für grosse und kleine Anlässe oder ihren Hofladen. Das gemeinsame Backen mit den Kindern und das jährliche Hervorholen der alten Familienrezepte hat etwas Heimeliges. Das Haus ist gefüllt mit den verschiedensten Backaromen. Diese Düfte prägen sich selbst bei den jüngsten Kindern für immer ein.
Düfte und Gefühle
Die Verknüpfung von Düften und Emotionen wurde schon oft wissenschaftlich untersucht. Dem Geruch kann man sich nicht entziehen, er greift ganz direkt in unsere Empfindungswelt. Man könnte auch sagen, Gerüche stellen eine unsichtbare Verbindung her zwischen Erinnerungen und dem Jetzt. Diese Kommunikationsform mit verschlüsseltem Inhalt kann natürlich auch manipulativ ausgenutzt werden. In einer Immobilienzeitschrift war vor Jahren zu lesen, dass sich Häuser und Wohnungen zu einem besseren Preis verkaufen lassen, wenn der feine Duft von Apfelkuchen durch die Räume schwebt.
Es gibt auch über das Jahr verteilt verschiedene Gelegenheiten, um feine Sachen in der Küche oder Backstube herzustellen. Wir alle wissen, wie der Geruch von frisch Gebackenem eine düstere Stimmung aufhellen kann. Diese Düfte sind Balsam für die Seele. Das Backen bedient natürlich noch andere Sinneswahrnehmungen und löst bei den eigentlichen Akteuren, den Bäckerinnen, ebenfalls Emotionen aus.
Erholung vom Militärdienst
Das erzählt auch Lea Glättli. Die Bauerntochter aus dem Knonaueramt im Kanton Zürich leistete für die Schweiz im Rahmen des Friedensförderungsprogramms Swisscoy den Militärdienst im Kosovo. «Wenn ich aus einem Einsatz nach Hause kam, ermöglichte mir das Backen, in eine andere Welt einzutauchen», erinnert sie sich.
Sie habe sich jeweils nicht speziell vorgenommen, über das freie Wochenende zu backen. «Es hat sich einfach so ergeben.» Das Arbeiten mit den Händen und sich auf etwas zu konzentrieren, unterstützte sie beim Abschalten und war für sie auch ein Ausgleich zum rauen Alltag in einer eher von Männern dominierten Welt. Lea Glättli arbeitete sich meist vom Briocheteig zum Cake durch und landete zum Schluss bei der Herstellung von Blätterteigkonfekt.
Nach Lust und Laune
«Meine Produktion entstand nach Lust und Laune und mit den vorhandenen Vorräten in der Küche meiner Mutter», berichtet Lea Glättli weiter. «Das Verzieren von Torten bereitete mir ebenfalls unheimlich Freude, und wenn ich wieder in den Einsatz ging, hatte meine Familie ihre Freude an den Gebäcken.»
In ihrer Kindheit habe sie mitbekommen, dass man in der Küche durchaus sehr erfinderisch sein kann. «Meine Mutter bewegt sich sehr kreativ durch die grosse Welt der Rezepte und mischt oft einfach die Zuhause vorhandenen Zutaten in immer neuen Varianten zu feinen Backwaren zusammen.» Lea Glättlis Fazit heisst: Das Resultat muss stimmen. Der Geruch, der sich im Haus verbreitet, verzaubert die Menschen, die dorthin kommen. Er beeinflusst die Gefühlslage ganz ohne Worte. «Man kann das auch Auftanken nennen. Oder Therapie. Mich hat es immer wieder gestärkt.»
Backen stärkt
Leas Mutter Susan Glättli meint dazu, dass sie noch einen ganz anderen positiven Einfluss des Backens erlebe: «Manchmal hilft mir das Backen auch, stressige Situationen auszuhalten oder auszublenden. Es braucht dann meine gebündelte Aufmerksamkeit, ich arbeite nach einem klaren Plan und sehe durch das Wirken meiner Hände, wie etwas entsteht.» Wenn sie in der Küche loslegt, arbeitet auch sie sich meist durch einige Rezepte durch, bis am Schluss der Tisch mit vielen feinen Sachen bedeckt ist. Die Backwaren werden in der Familie genossen oder verschenkt. «Das gibt dann doppelte Freude.»
Das Backen hilft beiden Frauen dabei, abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Auf die Frage, ob die Tochter als Kind bei ihrer Mutter die Stimmung je nach Backtag herausfinden konnte, verneinte sie. Es sei einfach immer wieder überraschend und fein gewesen. Eine 66-jährige Bäuerin aus dem Bekanntenkreis schildert Ähnliches von ihrer eigenen Mutter: «Wenn meine Mutter bereits am Morgen spürbar angespannt war, gab es oft nach dem Mittagessen einen frischen Kuchen und die Mutter war wieder besser gelaunt.»
Offensichtlich sind die Erfahrungen der drei Frauen weitherum verbreitet. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf den beruhigenden und entschleunigenden Prozess des Backens richten, kann sich eine entspannte oder fast meditative Stimmung entwickeln. Susan und Lea Glättli sind sich einig: Man kann sich die Welt nicht «schönbacken» und sie damit verändern. Aber man kann einen Kuchen backen, der einem den Moment verschönert und sogar etwas märchenhaft verzaubert.