Die Niederlande wappnen sich an diesem Samstag für einen grossen Protest von Bauern und Bürgern. Zehntausende Menschen wollen in Den Haag unter anderem gegen geplante Umweltauflagen für die Landwirtschaft protestieren. Die radikale Bauernorganisation «Farmers Defence Force» rief zur «grössten Demo aller Zeiten» auf.
Klimaschützer(innen) wollen auch protestieren
Diesmal soll es nicht nur um Proteste gegen Umweltauflagen gehen. Rechtspopulistische Parteien, allen voran Rechtsaussen Geert Wilders, wollen das Podium nutzen, um zum Widerstand gegen die Regierung aufzurufen. Ausserdem mobilisierte die Bewegung der früheren Corona-Gegner «Samen voor Nederland» (Gemeinsam für die Niederlande) ihre Anhänger.
Im Gegenzug kündigten auch die radikalen Klimaschützer von Extinction Rebellion eine Protestaktion in Den Haag an. Sie wollen einen Autobahnzubringer blockieren. Ihnen gehen die Massnahmen zum Klimaschutz nicht weit genug.
Ende für rund 30 Prozent der Bauernhöfe
Bei den Behörden ist die Sorge vor Gewalt gross. Im vergangenen Jahr protestierten Bauern wochenlang im ganzen Land. Sie blockierten mit Treckern Autobahnen, legten Brände oder schütteten Müll, Mist und Asbest auf Strassen. Sie bedrohten ausserdem Politiker vor ihren Privatwohnungen.
Anlass für die Bauern-Proteste sind die angekündigten Auflagen zum Schutz der Naturgebiete. Die Mitte-Rechts-Koalition von Premier Mark Rutte will den Stickstoff-Eintrag bis 2030 drastisch reduzieren. Auslöser für diese Entscheidung war ein Urteil des höchsten Gerichts im Jahr 2019. Die Massnahmen könnten das Ende für etwa 30 Prozent der Höfe bedeuten, schätzt die Regierung.
«Die Natur kann nicht warten»
Die Eigentümer von rund 3000 Höfen, die in der Nähe von bedrohten Naturgebieten die Böden am meisten belasten, sollen zum Verkauf bewegt werden oder zumindest zur drastischen Reduzierung des Viehbestandes. Aber auch Enteignungen werden nicht ausgeschlossen. «Wir haben keine Wahl», sagte die für Stickstoff-Politik zuständige Ministerin Christianne van der Wal. «Die Natur kann nicht warten.»
Wie auch in Deutschland sind in den Niederlanden Grundwasser und Böden stark belastet. Überschüssiger Stickstoff aus landwirtschaftlichen Quellen gelangt laut deutschem Umweltbundesamt als Nitrat in Grund- und Oberflächengewässer und als Ammoniak und Lachgas in die Luft. Lachgas trägt als hochwirksames Treibhausgas zur Klimaerwärmung bei. Wird überschüssiger Stickstoff durch Regen aus dem Boden gewaschen, gelangt er als Nitrat ins Grundwasser. Die Folge: Um daraus Trinkwasser zu gewinnen, muss das Wasser teuer aufbereitet werden. Zudem gelangt der Stickstoff auch in Seen, Flüsse und Meere.
Hauptverursacher sind in den Niederlanden Viehbetriebe. Und der Agrar-Sektor ist riesig, einer der grössten Exporteure der Welt. Im vergangenen Jahr exportierten niederländische Bauern für 122 Milliarden Euro Waren ins Ausland.
Umweltbelastungen jahrelang vernachlässigt
Jahrelang wurden die Umweltbelastungen geduldet oder mit Ausnahmeregeln legalisiert, obwohl Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, um nur nicht die landwirtschaftliche Produktion einzuschränken. Dass dies ein Fehler war, räumt inzwischen auch die Regierung ein.
Das Urteil des höchsten Gerichts von 2019 hatte grosse Folgen: Alle Projekte, bei denen Stickstoff freikommt, dürfen nicht genehmigt werden. Das heisst, der Bau von Wohnungen und Strassen stockt, die Industrie kann nicht expandieren, und sogar die Energiewende kommt in Gefahr. «Der grosse Umbau der Landwirtschaft ist unvermeidlich», sagte Ministerin van der Wal. Grund dafür sei nicht nur der Naturschutz, sondern auch der Klimawandel.
Stickstoff-Thema polarisiert
Die Bauern aber fordern eine Zukunftsperspektive, und sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Ausserdem zweifeln sie die Notwendigkeit der Massnahmen an.
Am Stickstoff-Thema zeigt sich auch, wie sehr das Land polarisiert wird. Es beherrscht auch den jetzigen Wahlkampf. Am 15. März wählen die Niederländer ihre Provinzparlamente, und sie bestimmen dann auch die Zusammensetzung der Ersten Kammer des Parlaments (vergleichbar dem Bundesrat). Nach Umfragen steht ein deutlicher Rechtsruck bevor, mit der Protestpartei Bauer-Bürger-Bewegung als grossem Sieger. Der Koalition aber droht eine riesige Schlappe, und sie kann dann womöglich ihre Pläne nicht länger durchsetzen.