Wer beim Gedanken an Marokko ausschliesslich trockene Wüsten und karge Berglandschaften vor Augen hat, irrt sich. Die Landwirtschaft bildet in dem nordafrikanischen Königreich noch vor dem Tourismus den grössten Wirtschaftszweig, und beim Blick aus dem Busfenster wechseln sich Oliven- und Dattelhaine mit den Schaf- und Ziegenherden der Nomaden ab. Mitte November nahmen 32 Leserinnen und Leser der BauernZeitung an einer landwirtschaftlichen Gruppenreise teil und erhielten so einen Einblick in die Agrarwelt Marokkos.
Öl von 80-jährigen Olivenbäumen
Im Ourika-Tal südlich von Marrakesch gibt es Olivenbäume, so weit das Auge reicht. Jedoch hat die Trockenheit der letzten Jahre ihre Spuren hinterlassen: 2024 wurden nur 30 % eines guten Ertrags erzielt, hiess es beim Besuch einer Kooperative, die die Früchte der umliegenden Olivenbauern entgegennimmt. Nichtsdestotrotz arbeiteten die Maschinen auf Hochtouren, um die Oliven zu reinigen, zu zermahlen und das Öl auszupressen. 2013 hat das Projekt, das grösstenteils aus dem Ausland finanziert wurde, seine Arbeit aufgenommen. Ein Grossteil des Öls bleibt in Marokko, nur etwa ein Zehntel wird nach Europa exportiert.
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Traditioneller geht es im Olivenhain zu und her, den die Gruppe im Anschluss besuchte. Hier werden die Früchte noch von Esel und Mühlstein zermahlt und das Öl mit schweren Holzbalken ausgepresst. Anschliessend werden die gehäckselten Steine extrahiert und verfeuert, der Rest der Olivenmasse wird in Kosmetikprodukten weiterverarbeitet. Die 500 Bäume, die hier auf zehn Hektaren wachsen, sind bis zu 80 Jahre alt und werden durch ein Kanalsystem bewässert. Pflanzenschutzmittel kommen nur beim Stamm zum Einsatz, nicht bei den Früchten. Denn hat der Wurm den Stamm erst einmal befallen, ist der Baum verloren.
Alle klettern sie auf die Dattelpalme
Jenseits des Atlasgebirges, im idyllischen Draa-Tal, erstreckt sich ein Palmenhain über 200 km Länge und bis zu 5 km Breite. Ganze 37 Dattelsorten wachsen hier. Im dichten Palmengeflecht bewirtschaften Bauern ihre Parzellen, die jeweils 30-40 Palmen umfassen. Das Anbausystem ist dreistöckig: Auf der Bodenebene werden Luzerne, Futterklee, Gemüse und Getreide für den Eigenbedarf angebaut, auf der mittleren Ebene findet man Feigen- und Granatapfelbäume und ganz zuoberst schliesslich wachsen die Datteln.
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Für Maschinen ist hier kein Platz, bei der Bodenbearbeitung kommt stattdessen der «Berbertraktor» zum Einsatz, der nichts anderes ist als ein Esel. Auch die Bestäubung erfolgt durch Handarbeit: Die Staubbeutel der männlichen Palmen werden von Hand geholt und damit die Weibchen befruchtet. Der Ertrag fällt dadurch wesentlich besser aus, als wenn sich die Bauern nur auf die Bestäubung durch Wind und Insekten verlassen würden. Die Besucherinnen und Besucher aus der Schweiz staunten nicht schlecht, als ein einheimischer Landwirt auf seine Palme kletterte, um die Ernte zu demonstrieren. Auf die Frage hin, bis in welches Alter man dies denn mache, zeigte sich der Führer des Rundgangs, Moulay Elhassan El Alaoui, gespielt empört – und kletterte gleich hinterher.
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160 Meter tiefe Brunnen
Der nächste Besuch führte zu einer deutlich grösseren Dattelplantage nahe der Wüstenstadt Zagora, wo sieben Dattelsorten auf 16ha angebaut werden. Auf der Farm arbeiten acht Festangestellte, zur Erntezeit kommen 20-25 Hilfskräfte dazu. Beim Spaziergang zwischen den Palmen wurden Milch und Datteln offeriert, dazu stieg der Geruch von wildem Rucola in die Nase, den kürzliche Regenfälle gebracht haben. Generell lag der Fokus auf dem Thema Bewässerung: 2010 hat der Betrieb auf das Tröpfchenbewässerungs-System «Goutte-à-Goutte» (deutsch etwa: Tropfen um Tropfen) umgestellt, 80 % der Kosten sind dabei vom marokkanischen Staat subventioniert. Um an das kostbare Wasser zu gelangen, wurden drei Brunnen gebaut. Das Beeindruckende: Die Brunnen sind bis zu 160 Meter tief. An die Erdoberfläche kam das Wasser früher noch per Dieselpumpe, heute werden die Pumpen mit Sonnenenergie und alternativ mit Butangas betrieben.
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Beim Safran selber Hand anlegen
Ganz im Zeichen des Safrans stand der Fachbesuch auf einem Betrieb nahe Taliouine. Safran wird eigentlich frühmorgens geerntet, wenn er noch ganz frisch ist, aber die Bauernfamilie hat an diesem Tag extra einen Teil der blassvioletten Blumen stehengelassen, damit die Besucherinnen und Besucher aus der Schweiz selber anpacken konnten. Die gepflückten Blumen wurden auf einem Tisch ausgebreitet und die kostbaren Gewürzfäden von den Blüten gezupft, während ein ausgebüxtes Schaf um die Terrasse lief. Das Gewürz muss zuerst noch getrocknet werden, der Rest der Blüten kann als Farbstoff oder Tierfutter weiterverarbeitet werden. Wieso Safran zu den teuersten Gewürzen der Welt zählt, wird klar: Die Pflanze blüht nur im Herbst und aus jeder Blüte können nur wenige Fäden gezupft werden.
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Die Kultur hautnah erlebt
Neben dem landwirtschaftlichen Programm konnte die Reisegruppe aus der Schweiz auch die marokkanische Kultur im Allgemeinen kennenlernen. So erkundete sie im Rahmen einer Stadtführung die verschlungenen Souks von Marrakesch und die besonders abenteuerlustigen ritten bei den Dünen von Tinfou im Sonnenuntergang auf Dromedaren, während die anderen sich bereits Panorama-Plätze zuoberst auf der eindrucksvollen Sanddüne sicherten. Beim Mittagessen unterwegs und beim Abendessen im Hotel oder einem lokalen Restaurant wurden marokkanische Spezialitäten probiert und viel Pfefferminztee getrunken. Während der langen Fahrten im Car lieferten die Reiseleiter Beatrice und Lahoucine Oulkadi kulturelle und geschichtliche Hintergrundinformationen und beantworteten den stetigen Strom an Fragen. Nur den Schnee, in dem die Schweiz in dieser Woche zeitweise versank, sah man ausschliesslich auf Fotos, die einem von Bekannten und Angehörigen geschickt wurden – und am Horizont auf den hohen Gipfeln des Atlasgebirges.
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Marokkanische Kühe haben rekordverdächtigen Nachwuchs
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Kommentar von Eric Morgenthaler
Unsere Landwirtinnen und Landwirte lassen sich keinen Bären aufbinden. Als erklärt wurde, dass die Kühe auf dem Betrieb zweimal im Jahr Nachwuchs haben und oft Drillinge oder Vierlinge auf die Welt kommen, glaubte keiner auch nur eine Sekunde ein Wort. «Der erzählt uns doch Märchen!», hörte man in der Reisegruppe. Nach einiger Diskussion konnte das Missverständnis, dem ein Übersetzungsfehler zugrunde lag, aufgedeckt werden: Die Rede war nicht von Rindern, sondern von Schafen. Immerhin war damit ein «Running Gag», ein wiederkehrender Witz, geboren. Vom rekordverdächtigen Nachwuchs der marokkanischen Kühe war für den Rest der Woche noch ein paar Mal die Rede.
Es war schön, zu sehen, wie die Landwirtschaft über Landes- und Kulturgrenzen hinweg verbindet. Bei den Fachbesuchen wurden Fragen gestellt und Diskussionen geführt, andersrum zeigten sich auch die Einheimischen interessiert, wenn gesagt wurde, dass es sich bei den Besucherinnen und Besuchern allesamt um Bauern handle. Ein Teilnehmer erklärte, dass es mit Landwirten auch auf längeren Autofahrten nicht langweilig werde, weil man beim Blick in die Landschaft auch immer etwas aus der Landwirtschaft entdecke, was sich beobachten und diskutieren lässt. Das ist ein guter Punkt, über den ich mir so zuvor noch nie Gedanken gemacht hatte. e.morgenthaler@agrarmedien.ch