Die Regenerative Landwirtschaft will die biologische Vielfalt erhöhen, die Böden bereichern, Wassereinzugsgebiete schützen und damit Ökosystemleistungen verbessern. Wer auf das neue System setzt, darf nicht sofort auf einen Mehrwert hoffen. Nebst dem Beobachten und Experimentieren muss die Bereitschaft da sein, sich dem voranschreitenden Klimawandel zu stellen und neue Wege zu gehen.
Natur wertschätzen
Daniel Bärtschi (53), bis 2018 Geschäftsführer von Bio Suisse, beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie eine gesunde Land- und Ernährungswirtschaft aussehen könnte, ohne dass die Umwelt geschädigt wird. Bärtschi wuchs auf dem elterlichen Biopionierbetrieb im Emmental auf, lernte Landwirt, studierte Agrarwirtschaft und arbeitete als Berater und in der Entwicklungszusammenarbeit. «Mir ist wichtig, dass Menschen die Natur, die Schöpfung wertschätzen und verantwortungsvoll nutzen», sagt er.
Sein Weg zur Regenerativen Landwirtschaft habe vor ein paar Jahren Auftrieb erhalten, als er seine Aufgabe bei Bio Suisse aufgab und sich auf den Weg jenseits von Bio begab. Inspiriert hätten ihn viele Menschen, sagt er, besonders aber der US-amerikanische Autor, Landwirt und Philosoph Wendell Berry sowie Joel Salatin und andere regenerative Farmer in den USA. Bärtschi ist heute selbständig als Berater, Coach und Mentor tätig.
Viele Quereinsteiger und Frauen
Mittlerweile hat er landwirtschaftliche Betriebe in über 50 Ländern besucht und traf dabei oft auf hart arbeitende Menschen, die mit teils einfachsten Mitteln ihre Flächen bewirtschafteten. Bäuerinnen und Bauern, die mit Herzblut den Boden als Lebensgrundlage nutzen, dabei aber stark von einer immer mächtiger werdenden Agroindustrie und einer verfehlten oder ziellosen Agrarpolitik abhängig seien. Ob auf Biobetrieben, wo das Korsett des Labels eng, manchmal zu eng sei oder auf konventionellen Betrieben, Bärtschi ist überzeugt, dass sich viele eine neue Richtung wünschen.
Seit die beiden deutschen Agronomen Dietmar Näser und Friedrich Wenz auch in der Schweiz Kurse zur Regenerativen Landwirtschaft durchführen, kommt das Thema hierzulande langsam in Gang.
Wie viele Betriebe bereits nach diesem System arbeiten, kann auch der 2019 gegründete Verein «Agricultura Regeneratio», deren Präsident Daniel Bärtschi ist, nicht beziffern. «Wir spüren ein stark wachsendes Interesse», sagt Bärtschi. Weil sie für alle Betriebe offen seien, interessierten sich sowohl Bio-, konventionelle wie auch Demeterbetriebe dafür. Zu beobachten seien sehr viele Quereinsteiger und besonders auch Frauen in der Landwirtschaft, die sich für eine Umorientierung interessierten.
In fünf Prinzipien die regenerative Landwirtschaft erklärt
- Die Regenerative Landwirtschaft ist als System zu verstehen. Der Boden soll nicht gestört werden. Pestizide und Kunstdünger minimieren, nur spritzen wenn es absolut notwendig ist. Damit wird das Bodenleben verbessert. Wenn gepflügt wird, dann nur flach.
- Böden sollen immer bedeckt sein. Damit schont man die Böden, der Wasserhaushalt wird verbessert und Trockenheit wird vermieden.
- Es braucht immer lebende Wurzeln im Boden. Wurzeln sind die Kohlenstoffpumpe aus der Atmosphäre. Lebende Wurzeln bringen Zucker in den Boden, aus welchem sich das Bodenleben ernährt. Wenn das nicht passiert, ernährt sich das Bodenleben vom Humus, der deshalb abnimmt.
- Nötig ist eine hohe Diversität, innerhalb der Fruchtfolge, aber auch innerhalb der Kultur. Möglichst Mischungen und robuste Sorten verwenden. Es geht Richtung Permakultur, auch wenn man hier meistens von einjährigen Kulturen ausgeht. Vitalisierende Spritzungen mit natürlichen Extrakten werden empfohlen.
- Tierhaltung soll ins Ökosystem integriert werden. Hühner, Kühe und Schweine sollen vermehrt auf die Weiden. Dies gibt eine positive Wirkung auf die Böden und hilft beim Humusaufbau und dient der Erneuerung.
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Neu beleben statt auslaugen
Daniel Bärtschi ist sich bewusst, dass es bei den fünf Prinzipien noch viel Interpretationspunkte gibt. Er findet es gut, dass jeder Betrieb sein eigenes System finden kann, das zu ihm passt. Die Regenerative Landwirtschaft verlangt vom Betriebsleiter den Mut zum Experimentieren. Das ständige Beobachten der Bodengesundheit und der Bodenstruktur sei extrem wichtig und brauche Zeit. «Ganz wichtig dabei ist, dass sich Betriebe bewusst sind, dass man die Böden regeneriert und nicht degeneriert», so Bärtschi.
Es sei normal, wenn Betriebe klein begännen, zuerst nur das eine oder das andere veränderten und Schwerpunkte setzten. Weil der Verein kein Label anstrebt, sind die Betriebe nicht gezwungen, auf einen gewissen Zeitpunkt hin ihren Betrieb umzustellen. «Wir setzen bewusst auf Weiterbildung, Vernetzung und das verantwortungsvolle Handeln der Landwirte und Landwirtinnen», sagt Bärtschi.
Jeder müsse wieder lernen, den eigenen Weg zu gehen, ohne dass ihm Verbände oder die Agroindustrie dreinrede. Zudem müsse er sich auf ein lebenslanges Lernen einstellen. Speziell für Direktvermarkter öffneten sich neue Wege, ist Bärtschi überzeugt. «Wer im Kundenkontakt seinen Weg der Regenerativen Landwirtschaft erklären kann, ist gut dran.»
«Von den allgemeinen Spritzplänen wegkommen»
Von Skeptikern hört man, dass bislang keine wissenschaftlichen Studien gemacht wurden und dass es gefährlich sei, wenn deutsche Agronomen mit überteuerten Kursen die Schweizer Landwirtschaft verändern wollten. Prof. Hans Ramseier, Dozent für Pflanzenschutz und ökologischem Ausgleich an der Berner Fachhochschule HAFL erklärt, dass er das System der Regenerativen Landwirtschaft sehr interessant finde, es bislang aber noch keine wissenschaftlichen Studien gebe.
Im vergangenen Jahr habe ihn jedoch eine eingereichte Bachelorarbeit sehr positiv überrascht. Ein Student habe einen Versuch mit Kartoffeln gemacht, indem er die eine Hälfte der Versuchsparzelle nach dem System der Regenerativen Landwirtschaft und die andere Hälfte konventionell angebaut hat. Nach ungefähr 100 Tagen wurden die Kartoffeln gegraben, der Ertrag war auf beiden Böden identisch.
Hingegen hätten die regenerativ bearbeiteten Parzellen gezeigt, dass das Einsickerungsverhalten signifikant besser gewesen sei als auf dem konventionell bewirtschafteten Boden. Ramseier erklärt, dass die Bodenqualität extrem wichtig sei und die Bodenlebewesen ernährt werden müssten.
Dies und auch der Aufbau und die Pflege des Humus sei bei seinen Vorlesungen seit jeher ein wichtiger Pfeiler und auch für die Zukunft von besonderer Bedeutung. Die Regenerative Landwirtschaft mit dem Schwerpunkt Bodenpflege und Bodenaufbau gehe in die richtige Richtung und es sei gut, dass immer mehr Betriebsleiter mitmachten. «Wir wissen alle, dass wir längerfristig von den allgemeinen Spritzplänen wegkommen müssen und nur dann ins System eingreifen, wenn es wirklich nötig ist.» Vieles verändere sich und ein Umdenken sei spürbar, sagt er weiter. Was könnten Verbände und Organisationen tun bei diesem Richtungswechsel? «Sich engagierter beteiligen.»
Konsument muss bereit sein, mehr zu bezahlen
Für Simon Jöhr, Berater beim Inforama, müssen Betriebsleiter bereit sein, das eigene Heft in die Hand zu nehmen, wenn sie den Weg der Regenerativen Landwirtschaft gehen wollen. Sie müssten offen sein, selbständig denken wollen und auch ihr eigenes Handeln hinterfragen können.
Jöhr appelliert auch an die Konsumentinnen und Konsumenten, denn sie hätten es in der Hand, was eingekauft werde. Grün stimmen und nach dem Preis einkaufen, passe nicht zusammen, erklärt er. Deshalb empfiehlt er den Konsumenten, sich über die Produktion von regionalen und fair produzierten Lebensmitteln zu informieren.
Ähnlich tönt es bei Jeremias Niggli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Die Regenerative Landwirtschaft eigne sich grundsätzlich für jeden Betriebstyp. Wichtig sei das Interesse am Thema Boden und die Bereitschaft, sich mit diesen Themen vertieft auseinander zu setzen, sagt er.
Keine definierten Richtlinien
«Viele Betriebsleiter und viele Konsumenten verstünden unter dem Begriff der Regenerativen Landwirtschaft das Gleiche, wie sie unter dem Begriff der biologischen Landwirtschaft bestehen», erklärt Niggli. Die Regenerative Landwirtschaft wissenschaftlich zu untersuchen sei schwierig, da es keine Richtlinien dazu gebe und eine einheitliche und klare Definition fehle: «Es ist nicht ein Anbausystem wie die biologische Landwirtschaft oder IP, welche durch Richtlinien klar definiert sind.»
Am FiBL wurden Praxis-Untersuchungen zur reduzierten Bodenbearbeitung, zu Komposttees oder zu der Tiefenlockerung gemacht. Alles Elemente, welche auch vielfach der regenerativen Landwirtschaft zugesprochen werden. Um Aussagen über die Wirksamkeit der einzelnen Elemente zu machen, brauche es jedoch noch zusätzliche Forschungsergebnisse, ist Niggli überzeugt. Bärtschi erklärt, dass diese in den USA längst gemacht worden seien.
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