Die Anbindehaltung in der Schweiz, namentlich im Berggebiet, ist immer noch eine weit verbreitete Haltungsform. Auch heute noch werden fast 50 % der Kühe in einem Anbindestall gehalten. Fast 100 % dieser Kühe geniessen in der Vegetationszeit Weidegang und 86 % sind im RAUS-Programm. Dass diese Haltungsform auch in Zukunft ihre Daseinsberechtigung hat, dafür setzt sich die Interessensgemeinschaft IG Anbindestall (IGA) ein.

Anbindehaltung sorgt für politischen Gesprächsstoff 

Am Mittwoch, 2. Februar 2022,  lud die IGA auf den Betrieb der Familie Melchior Grossen im bernischen Kandergrund ein, um die Vorzüge eines Anbindestalls aufzeigen. Eingeladen waren auch Christine Badertscher, Grüne Nationalrätin und Jürg Grossen, Nationalrat der Grünliberalen. Mit von der Partie war auch der SVP-Grossrat Ernst Wandfluh. Für Konrad Kötzli, Präsident der IGA, ist es wichtig, dass auch die Politiker(innen) vor Ort selber die Vorzüge eines Anbindestalls sehen können. Nicht zuletzt, weil die Anbindehaltung auch auf dem politischen Parkett immer wieder für Gesprächsstoff sorgt. «Das hier ist doch ein Bijou von einem Anbindestall», sagt Klötzli entschieden. Ein Nicken und Staunen ist vonseiten der Nationalräte zu sehen. «Vorzeigemässig; ich kann zu diesem Betrieb nur gratulieren», sagt Grossen, während sein Blick zur Gastgeberfamilie schweift. «Ich zweifle auch keine Sekunde daran, dass es den Tieren hier gut geht», fährt er fort. Dem GLP-Politiker ist vor allem der Import von Soja ein Dorn im Auge und der hohe Anteil von tierischen Produkten in der menschlichen Ernährung.

«Ich bezweifle nicht, dass es den Tieren hier gut geht.»

Jürg Grossen, GLP-Nationalrat

Viel Lob für die Tierhaltung

Auch Christine Badertscher ist voll des Lobes über die Haltung der Tiere bei Familie Grossen: «Ich bin auf einem Betrieb im Emmental mit Anbindehaltung aufgewachsen», so Badertscher. Und: «In Madiswil, wo ich jetzt wohne, haben wir einen Laufstall. Aber ich muss schon zugeben, dass mir ein Anbindestall in Bezug auf den Kontakt mit den Tieren immer besser gefallen hat», sagt die Nationalrätin. Für sie sei es wichtig, dass die Kühe, ob in einem Lauf- oder Anbindestall, während der Vegetationszeit draussen auf der Weide sein könnten. «Einheimisches Grundfutter spielt für mich ebenso eine grosse Rolle», doppelt sie nach.

«Ich habe den Anbindestall immer besser gefunden.»

Christine Badertscher, Grüne-Nationalrätin

Schöne Simmentalerherde mitsamt dem Stier

Bei der Familie Melchior Grossen befinden wir uns auf einem eindrücklichen Bergbauernbetrieb hoch oben über Kandergrund. Im Stall stehen 16 reine, wunderschöne Simmentalerkühe, ein Stier plus die Nachzucht. Die Milch wird für die eigene Kälbermast vertränkt, da der Weg ins Tal vor allem im Winter recht beschwerlich ist. «Alle unsere Stierkälber mästen wir selber, zudem kaufen wir noch welche dazu», hält der erfolgreiche Reinzüchter fest. Der «Talbetrieb» umfasst 20 ha und im Sommer geht es mit dem ganzen Viehbestand auf die Alp. «Die Anbindehaltung stimmt für uns», so Melchior Grossen. Denn sie seien eingefleischte Züchter und der tägliche Kontakt zu ihren Tieren sei wie Balsam für die Seele. «Wir brauchen eigentlich keine Ferien, wir haben bei unseren Tieren Erholung und Zufriedenheit genug», sagt der Landwirt und lacht.

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Ungleichbehandlung gegenüber dem Laufstall

«Obwohl auch ein Anbindestall Tierwohl bieten kann, sind wir von den Tierwohlbeiträgen BTS ausgeschlossen», bedauert Konrad Klötzli. Hier wünscht er sich eine Gleichstellung gegenüber dem Laufstall. «Ein Anbindestall produziert nicht nur weniger Ammoniak, sondern braucht auch weniger Wasser als ein Laufstall», sagt er. Zudem habe man auch viel weniger mit Klauenproblemen wie Mortellaro zu kämpfen, was einen tiefen Antibiotikaeinsatz nach sich ziehe, ist Klötzli überzeugt.

Der Streitpunkt Beiträge ist weiter Thema in der Politik

Nach Beat Haldimann, Vize-Präsident der IGA, sollte sowieso nicht ein «Förderprogramm» eingesetzt, sondern das «Tierwohl» finanziell unterstützt werden. «Ruhe, Wasser, Licht, Luft und Raum, das sind alles Bedürfnisse, die eine Kuh hat. Und die Anbindehaltung erfüllt genau diese Bedürfnisse», ist er überzeugt. Für Christine Badertscher und Jürg Grossen steht ausser Frage, dass Anbindeställe auch von den BTS-Beiträgen profitieren sollten. Bei diesem Streitpunkt will sich die IGA weiterhin einsetzen, weshalb sie schon einmal beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) anklopfte.

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Was passiert bei einem Ja zur Massentierhaltungs-Initiative?

Mehr Sorgen bereitet der IGA die Massentierhaltungs-Initiative. «Wenn die vom Volk angenommen wird, wird die Anbindehaltung in der Schweiz verboten, so steht es im Initiativtext», sagt Konrad Klötzli. Hier beschwichtigt Christine Badertscher. «Die Initiative will, dass für alle Betriebe der Biostandard von 2018 gilt und hier ist die Anbindehaltung erlaubt», sagt sie. Zudem könne das Parlament immer noch bei einem Ja Ausnahmen für das Berggebiet machen. «Die Massentierhaltungs-Initiative will eine RAUS-Pflicht», sagt Ernst Wandfluh. Und wenn die Bauern diese nicht erfüllen könnten, würden allein dem Berggebiet 56 Mio. an Beiträgen verloren gehen.