Routiniert steuert Julie Gabriel «Betsy», den Dreiachser-Lastwagen, retour an die Schnecke, um die 22 Meter breite Sämaschine zu füllen. Es ist Saatzeit auf der Gabriel-Getreidefarm. Julies Ehemann Karl erledigt das eigentliche Säen. Für das Zuführen von Saatgut und Dünger und das Helfen beim Füllen der Sämaschine ist seine Frau zuständig.
Betsy ist gefüllt mit gebeiztem Weizen. «Ich nannte sie so, weil sie etwas störrisch ist wie eine Kuh, die wir mal hatten», sagt die 43-jährige Farmersfrau lachend. Der Vierachser heisst Terry. Dieser ist mit weissem Harnstoff gefüllt, der Anhänger am Fendt Vario mit Phosphat-Dünger.
Das Feld geht vor
Es braucht seine Zeit, bis der Tank voll ist. Mehrmals am Tag lässt Julie Gabriel alle Arbeiten im Haus und im Garten stehen, um mit dem Pick-up aufs Feld zu fahren. Während der Saat im Frühjahr und der Ernte im Herbst hat die Feldarbeit höchste Priorität. Eigentlich wäre es Zeit, ihren Garten anzusäen. «Der wird warten müssen bis nach der Getreidesaat», sagt sie nüchtern. Das Gleiche folgt wieder im Herbst – dann, wenn alles im Garten reif zur Ernte wäre, ist auch das Getreide reif.
Liebe in der Schweiz gefunden
Die fröhliche Frau wuchs mit ihren Schweizer Eltern und einem Bruder auf einer Hobbyfarm ausserhalb Edmonton in der kanadischen Provinz Alberta auf. Am College in Edmonton studierte sie Illustration und Design. Nach dem Studium zog es sie in die Schweiz, wo sie eine Anstellung bei einer Firma für Festhallen-Vermietungen in Frauenfeld fand. Dort arbeitete zeitweise ein junger Bauer namens Karl Gabriel. Karl hatte damals den Milchbetrieb Alphof in Schleitheim (Schaffhausen) gepachtet.
Die beiden fanden sich, die Grafikerin zog auf den Alphof und lernte Kühe melken und Kälber füttern. «Ich liebe die Kühe, aber das frühe Aufstehen war etwas hart.» Ihre dunklen Augen zwinkern.
Neuanfang in Kanada
Die Pacht war keine Langzeitlösung. Als 2008 Julies Vater starb, kam auch Karl an die Beerdigung. Wenn er schon in Kanada sei, könnten sie doch mal einige Farmen anschauen, meinte er. Zwei Jahre später erwarben sie den Betrieb in Wroxton, damals noch mit einer Herde von Mutterkühen. Heute ist dieser ein reiner Ackerbaubetrieb mit 1600 Hektaren, wovon 1300 Hektaren gesät werden.
«Chan ich dir no en Kafi bringe?», fragt Julie Gabriel ihren Mann. Die zwei sprechen meist Mundart miteinander. Ihr ist es wichtig, dass die Kinder Schweizerdeutsch lernen. Ihre eigenen Eltern sprachen nur Englisch mit ihr und sie musste die Sprache erst mühsam lernen, als sie in die Schweiz kam. Ihre Kinder sollen es besser haben.
Viel Aufbauarbeit
Der Betrieb ist immer noch im Aufbau, das ist verbunden mit viel Arbeit. Dazu kommen der Haushalt, Garten und das Hin- und Herfahren der drei Kinder Michael (13), Rosie (11) und Lukas (9) zu ihren Freizeitaktivitäten ins 48 Kilometer entfernte Yorkton. Da bleibt wenig Zeit für das Kreative, das Julie Gabriel so liebt. «Die Buchhaltung ist nicht so geeignet, kreativ zu sein», sagt Julie Gabriel mit einem herzhaften Lachen. Im Winter lernte sie das Stricken von einer Freundin. Manchmal wird sie angefragt für ein Webdesign oder einen Flyer. Ihr letzter Auftrag war die Werbung für die Kunstausstellung ihrer Mutter.
Yorkton ist eine kleine Stadt, in der man eigentlich alles bekommt, was zum Leben und Farmen nötig ist. Ausser man braucht einen Spezialisten, zum Beispiel für die Allergien von Sohn Michael. Dann muss man mindestens nach Regina, eine dreistündige Fahrt. «Ich mag es aber, weit weg von allem zu leben.»
Nordlichter gehören dazu
Sie lebte auch gerne in Schleitheim, aber Schleitheim hat nun mal kein Nordlicht. Sie holt ihr Handy heraus, sucht Bilder vom letzten Herbst. Das Nordlicht auf den Fotos schimmert grün über den erntereifen Weizenfeldern. Atemberaubend. Die Provinz Saskatschewan ist das «Land of the living skies», Land des lebendigen Himmels. Julie liebt diesen Himmel, ausser wenn die Wolken sich zu einem Tornado auftürmen. Dann macht er ihr Angst. In Saskatchewan sind die Felder grösser, der Himmel breiter und der Wind hat freie Bahn.
Frauen brauchen «manchmal eine dicke Haut»
Die Getreidepreise werden an der Börse gehandelt. Julie Gabriel nimmt meistens die Preise und Angebote entgegen und entscheidet zusammen mit Karl. Das musste sie alles lernen. Die Händler und Käufer wiederum mussten lernen, dass sie es hier mit einer Frau zu tun hatten. Vor allem die älteren Semester hatten am Anfang etwas Mühe. «Für eine Frau in der Landwirtschaft ist es nicht immer einfach. Du brauchst manchmal eine dicke Haut.» Es sei zwar besser als früher: «Die jungen Frauen bringen eine neue Energie in den Beruf.»
Das Geschäft muss laufen
Betriebspartner und Ehepartner in einem zu sein, sei oft eine Herausforderung. Das Business muss laufen, auch wenn gerade ein Konflikt in der Luft liegt. Julie wuchs in einer Unternehmer-Familie auf, ihr Vater hatte eine Metzgerei. «Ich brauche es, einbezogen zu werden, mitzudenken und zu entscheiden.»
In der nächsten Nacht regnet es, Karl und Julie Gabriel können es am Morgen ruhiger nehmen. Die Nachbarn Wally und Nicole kommen mit Eiern. Und bleiben zum Kaffee. Die Kinder werden umarmt. So weit weg von Familie ist die nachbarschaftliche Freundlichkeit ein Schatz. Nicht nur der Himmel ist in Saskatchewan lebendig.
5 Fragen an Julie Gabriel
Worüber können Sie lachen?
Wenn mein Mann mit den Maschinen stecken bleibt im Feld und mich anruft, um ihn abzuschleppen. Ich komme nur unter der Bedingung, dass ich ein Beweisfoto mache. Das ist eine Familientradition geworden.
Welches Alltagsritual gehört für Sie dazu?
Die Kinder auf den Schulbus jagen, jeden Morgen beginnt es wieder von vorn!
Wie belohnen Sie sich selbst?
Ich kaufe neue Bücher oder geniesse ein gutes Essen.
Was ist Ihnen in einer Beziehung wichtig?
Wichtig ist die Kommunikation und Zeit zu haben füreinander.
Welches Menü gelingt Ihnen immer?
Steaks, Gemüsepakete und Kartoffeln auf dem Feuer.