AboVideoBrienz/BrinzaulsEin Entwässerungsstollen für die HoffnungMontag, 14. August 2023 Der Mineur hornte einmal und dann noch mehrere Mal. Der Sprengmeister kurbelte und betätigte den Auslöser. Sekundenspäter ein grosser Knall, ein zweiter folgt und Staub verteilt sich im Sondierstollen. Diese Sprengung in den Berg konnten am Montag, 3. Juni, über 20 Medienschaffende aus einer Sicherheitsnische heraus verfolgen.

Die Zündung der ersten Sprengung markierte den Baubeginn des Entwässerungsstollens Brienz/Brinzauls. Er beginnt als Seitenarm im Sondierstollen und soll auf gut zwei Kilometer Länge ausgebaut werden. Mit100 Bohrungen senkrecht hinauf soll er den Untergrund des Dorfes Brienz/Brinzauls entwässern und die Rutschung beruhigen. Ziel ist, die Rutschung auf jährlich 10 cm zu vermindern. Aktuell bewegt sich die Rutschung in Brienz/Brinzauls mit gut zwei Meter pro Jahr talwärts.

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Ortstermin im Stollen

«Die Sprengung war erfolgreich», sagte nach einer ersten Sichtung Projektleiter Josef Kurath. Für die Abschlagslänge von 1,2 m wurden 8 kg Sprengstoff verwendet. Für die weiteren Sprengungen auf der Abschlagslänge von 3,4 bis 3,5  m sind 120 kg Sprengstoff nötig. Auch Gemeindepräsident Daniel Albertin äusserte sich nach der Sprengung: «Unser Ziel ist es, dass die Rutschung in Brienz/Brinzauls keine Schäden mehr verursacht und wieder neue Häuser gebaut werden können.»

Josef Kurath ist diesbezüglich zuversichtlich: «Die Erfahrungen aus dem 2021 bis 2022 gebauten Sondierstollen zeigen, dass die Tiefenentwässerung funktioniert und sich sehr positiv auf die Rutschung auswirkt.» 

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Der Stollen zweigt vom Sondierstollen Richtung Norden ab, führt um das Dorf Richtung Osten und endet mit rund 2 km Länge im Westarm. Aus dem Stollen, der unter der rutschenden Masse im festen Gebirge liegt, werden dann mehr als hundert Bohrungen hinauf in die Rutschmasse getrieben. Durch sie wird Wasser abgeleitet und der Wasserdruck gesenkt.

Inbetriebnahme 2028

Die Bau- und Bohrarbeiten dauern bis 2027 und kosten 40 Millionen Franken. Der Bund und der Kanton Graubünden steuern 90 Prozent dazu bei. Die restlichen 10 Prozent werden zwischen der Gemeinde Albula/Alvra und den Eigentümern von Infrastrukturen aufgeteilt, die ebenfalls von der Rutschung beschädigt werden. Dazu gehören etwa die Albulalinie der Rhätischen Bahn, verschiedene Kantonsstrassen oder eine internationale Starkstromleitung.

In Betrieb soll der Stollen 2028 gehen. Für Betrieb und Unterhalt ist dann die Gemeinde zuständig. Vorgesehen sei, dass zumindest die recht ins Geld gehenden Unterhaltsarbeiten zu 90 % vom Bund übernommen werden.


«Alle Hoffnung ruht auf dem Stollen»

Interview mit Gemeindepräsident Daniel Albertin

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Welche Hoffnung verknüpfen Sie mit dem Baubeginn des Entwässerungsstollens?

Daniel Albertin: Wir werden alles daransetzen, dass die Brienzer ihr Dorf nicht noch einmal verlassen müssen, und setzen alle unsere Hoffnung auf den Entwässerungsstollen. Am besten wäre es, wenn sich schon Ende Jahr die Rutschung verlangsamen würde. Das Ziel ist, mit der vierjährigen Bauzeit die Rutschgeschwindigkeit auf 10 cm pro Jahr zu verlangsamen. Bleibt zu hoffen, dass uns die Natur dafür genug Zeit lässt und uns nicht mit extremen Wetterereignissen überrollt.

Sie tönen etwas besorgt …

Zurzeit beträgt die Rutschgeschwindigkeit am Messhäuschen bei der Kirche hochgerechnet 2,05 m pro Jahr. Vergangenes Jahr war es noch 1 m. Es darf nicht so weit kommen, dass wir 2025 bei 3 m sind. Das würde die Grundinfrastruktur, die Wasserversorgung, Strassen, Abwasser, Stromversorgung in Brienz massiv beschädigen. Ich weiss nicht, wie wir das bewältigen können.

Muss das oberhalb gelegene Dorf Brienz/Brinzauls durch die Detonation beim Stollen mit Geländeabsenkungen oder Schäden an Gebäuden und der Infrastruktur rechnen?

Die Bohrungen und Sprengungen sind 170 m unterhalb des Dorfes im festen Gesteinsmassen, sodass es keine Nachwirkungen im Dorf haben kann. Zumal die gesetzlichen Grenzwerte beim Bauen punkto Erschütterungen um ein Vielfaches unterboten werden. Allenfalls sind leichte Vibrationen spürbar.

Die Bauherrschaft liegt bei der Gemeinde. Wie kann die Gemeinde Albula/Alvra, zu der Brienz gehört, das finanziell stemmen?

Wir sind sieben Dörfer, die 2015 fusioniert haben. Unsere Steuerkraft ist mit insgesamt 1300 Einwohnern tief. Trotz der grossen Unterstützung von Bund und Kanton, die 90 % der 40 Millionen Franken beitragen, müssen wir 10 % der Restkosten gemeinsam mit weiteren Nutzniessern wie der RhB, den Kantonsstras­sen oder Swissgrid aufbringen. Die Solidarität im Gemeindeverbund ist gross. Der Cashflow floss 2023 nur nach Brienz – aber es ist klar, das hat Grenzen. Es darf keine Verzichtsplanung für den Erhalt von In­frastruktur bei den übrigen Dörfern geben.

Sollten bei solchen Grossprojekten Bauherrschaft und Verantwortung nicht sowieso grundsätzlich bei Bund und Kanton liegen?

Die Finanzierung läuft im Kanton über das Amt für Wald und Naturgefahren. Bisher wurden damit beispielsweise Waldstras­sen oder die Instandstellung durch einen Murgang finanziert. Diese Projekte basieren auf Summen zwischen 2 und 5 Millionen. Die Restkosten können ohne Weiteres von Gemeinden getragen werden. Hingegen bei einem Grossprojekt wie beim Entwässerungsstollen stellt sich schon die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn die Bauherrschaft bei Kanton oder Bund liegen soll. So, wie es jetzt läuft, haftet die Gemeinde. Ich hoffe, dass die Rechnung aufgeht. Auf der anderen Seite sind wir von der Gemeinde nahe am Geschehen und können umgehend reagieren und Druck machen, wenn es nicht wunschgemäss läuft.

Können Sie abschätzen, wie hoch die Betriebs- und Unterhaltskosten ab 2028 sein werden?

Die Kosten betragen zwischen 300 000 und 1,8 Millionen Franken jährlich. Daran beteiligen sich aber auch die oben erwähnten Nutzniesser. Den grössten Teil machen die Nachbohrungen für die Drainagerohre aus, die durch die Rutschung abscheren. Dank eines im vergangenen Jahr gefällten ständerätlichen Entscheids übernimmt diese Kosten nun auch zu 90 % der Bund.