AGIR: «Innovationen und ihre Finanzierung» lautete das Thema des 6. Agrotourismus-Forums. Ist der Sektor des Agrotourismus innovativ genug?
Andreas Allenspach: Die Idee war, zu zeigen, dass man mit Kreativität und Beharrlichkeit das Angebot erweitern und neue Gäste gewinnen kann, selbst in Zeiten einer Pandemie. Die vorgestellten Projekte wurden in den letzten zwei Jahren entwickelt und mithilfe von Crowdfunding finanziert. Die Menschen sind immer bereit, eine gute Idee zu unterstützen. In der Schweiz gibt es genügend finanzielle Mittel, aber nicht genug innovative Projekte.
Ökologie war eines der Themen, die behandelt wurden. Sind die Anstrengungen in der Branche nicht gross genug?
Die Gäste suchen nicht nur nach einer gesunden, regionalen und saisonalen Ernährung, sondern auch nach einem nachhaltigen Urlaub. In dieser Hinsicht gibt es viel Raum für Verbesserungen.
Wie hat sich die Pandemie auf den Agrotourismus ausgewirkt?
Die Pandemiejahre stärkten den Inlandstourismus und wirkten sich daher positiv auf den Agrotourismus aus. Viele Familien haben den Urlaub auf dem Bauernhof für sich neu entdeckt. Während das Segment der Selbstversorgerunterkünfte boomte, litt das Segment der Gruppenunterkünfte und «Schlafen im Stroh» jedoch darunter, dass Schul- und Vereinsreisen nicht mehr an der Tagesordnung waren.
Wie sieht die Bilanz von Agrotourismus Schweiz für die Jahre 2021 und 2022 aus?
Im Jahr 2021 wurden 162'479 Logiernächte und ein Umsatz von 4,8 Millionen Franken verzeichnet. Mit einem Wachstum von 19% erreichte 2021 im Vergleich zu 2020 einen absoluten Rekordwert. Im Jahr 2022 gab es im Vergleich zum Vorjahr rund 28% weniger Buchungen, da die Gäste wieder vermehrt ins Ausland reisten. Das ist verständlich.[IMG 2]
Agrotourismus Schweiz hat rund 215 Mitglieder. Eine zufriedenstellende Zahl?
Die Zahl der Anbieter bleibt stabil, während die Nachfrage im Laufe der Jahre steigt. Handlungsbedarf besteht insbesondere darin, die Jugend für den Einstieg in den Agrotourismus zu motivieren.
Wie kann dies geschehen?
Bürgerinnen und Bürger, die Ferien auf dem Bauernhof verbringen, verstehen die Landwirtschaft und deren Herausforderungen besser oder wissen, wie wichtig es ist, Schweizer Produkte zu essen. Die Anbieter von Agrotourismus sind die Botschafter der Landwirtschaft. Das sollte die Landwirtinnen und Landwirte motivieren. Laut einer Studie von Agridea bietet der Agrotourismus die besten Möglichkeiten zur Diversifizierung des landwirtschaftlichen Betriebs. Sie sollten diese zusätzliche Einkommensquelle nicht unterschätzen. Man muss aber auch sagen, dass das Raumplanungsgesetz - das in der Schweiz im Gegensatz zu unseren österreichischen, deutschen und italienischen Nachbarn sehr streng ist - uns die Arbeit nicht erleichtert. Wenn wir schnell Anbieter gewinnen wollen, muss es gelockert werden.
Wie trägt der Agrotourismus zur Wirtschaft bei?
Vor 2022 fehlen die Daten dazu. Sie sind jedoch notwendig, um die Interessen der Brancheauf politischer Ebene glaubwürdig vertreten zu können. Deshalb wurde 2022 in Partnerschaft mit Agrotourismus Schweiz vom Institut für Tourismus der HES-SO Valais-Wallis in Siders eine Studie bei den Anbietern durchgeführt. Der Jahresumsatz des agrotouristischen Sektors in der Schweiz beträgt gemäss dieser Studie 2021 zwischen 52 und 91 Millionen Franken. Für das Jahr 2019 lag er zwischen 43 und 76 Millionen. Er wächst, das ist sehr positiv.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
In Kanada werden Aufenthalte auf dem Bauernhof - deren positive Auswirkungen auf die Gesundheit nachgewiesen und anerkannt sind - von den Versicherungen zurückerstattet. Man würde sich wünschen, dass dies auch in der Schweiz der Fall wäre. Im nächsten Sommer wird die Hochschule Luzern in Zusammenarbeit mit Agrotourismus Schweiz eine Studie mit 15 Familien durchführen, die zu Ferien auf dem Bauernhof eingeladen werden. Sie werden vor, während und nach ihrem Aufenthalt beobachtet, um die gesundheitlichen Folgen zu eruieren. Wenn es gute Ergebnisse gibt, wird man nicht zögern, die Versicherungen in dieser Angelegenheit zu kontaktieren. Dann gibt es noch ein weiteres Projekt mit der Fachhochschule Graubünden.
Um was geht es dabei?
Bauernhöfe haben oft wunderschöne Gärten, in denen eine grosse Vielfalt an Blumen und Kräutern wächst. Diese können zu verschiedenen Produkten verarbeitet werden: Salben, Gewürze, Tee und andere natürliche Heilmittel. Dieses Jahr führt eine Schülerin eine Marketingarbeit durch, um herauszufinden, wie man diesen Bereich für den Agrotourismus aufwerten kann.
Was erhoffen Sie sich für den Agrotourismus in der Zukunft?
Wir möchten, dass sich die Einstellung zu bestimmten Themen verändert. Es gibt zum Beispiel immer noch viel zu viele Betriebe, die das ganze Jahr über die gleichen Preise für Übernachtungen verlangen, obwohl sie einen Mehrwert dank einem erlebnisreichen Aufenthalt mit Tieren und Pflanzen bieten. Warum sollten die Preise in der Hochsaison nicht um 30% höher sein, wie es in der Hotellerie und Parahotellerie der Fall ist? Agrotourismus Schweiz hat eine Studie gestartet, deren Ergebnisse Mitte Dezember veröffentlicht werden, in der nicht die Bauernhöfe, sondern die Gäste gefragt werden, wie viel sie zu zahlen bereit wären. Die Ergebnisse werden es uns ermöglichen, eine Diskussion über dieses heikle Thema mit den Bauern zu eröffnen, die oft der Meinung sind, dass sie eine soziale Aufgabe zu erfüllen haben, jedermann preiswerte Ferien auf dem Bauernhof anzubieten. Stattdessen sollten dank dem Agrotourismus neue Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Hof zu fairen Löhnen und ein Zusatzeinkommen von 20 – 30% dank Übernachtungen, Gastronomie oder Veranstaltungen generiert werden.