Zackig fährt Jolanda Brändle in ihrem weissen Auto im Scherenschnitt-Sujet dekoriert vor. Eine Tochter benötigte ihre Hilfe beim Starten des Töfflis, entschuldigt die schlanke und eher zierliche Frau ihren Auftritt. Dabei ist sie auf die Minute pünktlich.

Alles begann mit einem Kurs

Die Bäuerin wohnt oberhalb des Dorfs Mosnang SG. Dort bewirtschaftet die Familie Brändle einen Biomilchwirtschaftsbetrieb. Mit braunen Kühen, wie es im Toggenburg üblich ist. Brändles waren bei den Ersten, die in der Gegend einen Laufstall bauten. Zurzeit stehen nur noch 15 Kühe im Stall, da Pachtland verloren ging. «Umso wichtiger ist deshalb mein berufliches Standbein, der Scherenschnittverkauf. Mein Mann Stefan hat Freude daran und unterstützt mich sehr.» 

Die Leidenschaft für das Papierhandwerk begann vor 20 Jahren in einem Abendkurs des regionalen Bäuerinnen- und Landfrauenvereins. An drei Abenden wurde mit Papier und Schere geübt. «Bereits da wollte ich meine eigenen Sujets gestalten», erzählt Jolanda Brändle mit Begeisterung. Zwei Jahre später machte sie ihre erste Ausstellung. «Ich habe schon als Kind immer gerne gebastelt.» Obwohl die Mutter manchmal froh gewesen wäre, sie würde einfach nur spielen. «Häufig herrschte Unordnung auf dem Tisch, und ich sammelte immer viel Material.» Brändle wuchs zusammen mit fünf Geschwistern auf. Der Abstand zu den drei älteren Geschwistern betrug fünf Jahre, zu den zwei jüngeren sechs. «Ich war deshalb eher immer etwas für mich allein», versucht sie, ihre Bastelleidenschaft zu erklären.

Eine grosse Familie

Jolanda Brändle hat selber auch eine grosse Familie. «Vier bis fünf Kinder wollten mein Mann und ich.» Heute sind es neun, zwischen 22 und acht Jahre alt. Man kann sich fast nicht vorstellen, wo da noch Zeit für so viel Kreativität bleibt. Keine Zeit blieb ihr für die Bäuerinnenschule. «Ich wollte bereits in die Bäuerinnenschule, bevor ich einen Bauern heiratete. Aber dann arbeitete ich nach dem Semi auf meinem Beruf als Kindergärtnerin und dann kam das erste Kind», sagt sie mit etwas Bedauern.

Seit die Kinder nicht mehr klein sind, produziert die Künstlerin auch am Tag. Tageslicht sei von den Lichtverhältnissen her am besten. Zurzeit macht sie viele Auftragsarbeiten. Sie bekommt dazu meist ein paar Stichworte geliefert, und aus denen soll dann ein Gesamtwerk aus Papier entstehen. «Das ist nicht immer ganz einfach. Ich muss beispielsweise Haselnüsse mit Verlobungstag und Freude am Skifahren kombinieren», erklärt Jolanda Brändle. Eine Auftragsarbeit war auch die Gestaltung des Olma-Plakats von 2012. Es hat in ihrem Verkaufsladen, im Dorf unten, einen prominenten Platz.

Im Gegensatz zu andern Künstlern, die auch mit dem Messer arbeiten, schneidet Jolanda Brändle alle Scherenschnitte ausschliesslich mit der Schere. Für ein Kunstwerk von ungefähr der Grösse eines A4-Papiers benötigt sie 70 Stunden. Das Scherenschnittpapier ist auf der Rückseite weiss. Da malt Brändle das Sujet auf. «Eine Begabung fürs Zeichnen sollte schon auch vorhanden sein, wer sich diesem Hobby zuwenden will», meint sie. Und manchmal wird auch das räumliche Vorstellungsvermögen getestet. Beim Ausschneiden einer Bergkette oder einer Kirche muss nämlich seitenverkehrt vorgezeichnet werden.

Grosse Leidenschaft

Ihre Leidenschaft für den Scherenschnitt ist gross. Jolanda Brändle kreiert nebst den klassischen Papierscherenschnitten auch Produkte im Scherenschnitt-Design. Das Sortiment reicht von Zündholzschachteln, Geschirr, Gummistiefeln und Schirmen bis zu Küchentüchern oder neuerdings Socken. Die Kreativität der Künstlerin kennt kaum Grenzen. Immer wieder kommen ihr neue Ideen, wo sie noch überall ihre Scherenschnittmuster anbringen könnte. Sogar vor der Geschirrspülmittelflasche macht sie nicht halt. Wichtig bei der Produktentwicklung ist ihr jedoch, dass sie möglichst mit Firmen aus der Schweiz oder dem benachbarten Ausland zusammenarbeiten kann.

Die Scherenschnittleidenschaft ist sogar so gross, dass Jolanda Brändle nie ohne ihre Schere und Papier aus dem Haus geht. Auch im Feriengepäck sind diese beiden Dinge mit dabei. Letztes Jahr am Meer schnitt sie ganz viele kleine Bäumchen aus. «Die brauche ich nicht vorzuzeichnen, die kann ich aus dem Kopf.» Und zum Spass suchte sich die kreative Frau Leute am Strand aus und schnitt als Übung deren Silhouette. Einer Italienerin schenkte sie das papierene Konterfei. Diese war ganz aus dem Häuschen. Leider konnten die beiden Frauen nicht zusammen sprechen. Aber am nächsten Morgen und an den nachfolgenden Ferientagen tönte es über den ganzen Strand: «Ciao Jolanda, buongiorno! (Hallo Jolanda, guten Tag!)»

Weitere Informationen zu Jolanda Brändle und ihrem Kunsthandwerk: www.schererei.ch

2018 ist Europäisches Kulturerbejahr. Die BauernZeitung publiziert in loser Folge Artikel zum Thema.

Einen ausführlichen Artikel zum Thema lesen Sie in der Printausgabe der BauernZeitung vom 3. August.