Die Präsidentinnen und Präsidenten der kantonalen Bauernorganisationen aus der Innerschweiz trafen sich am Abstimmungssonntag auf dem Gastro-Bauernhof Bord von Toni und Yvonne Ettlin ob Kerns. Dort wurde auch intensiv informiert, gedankt, und analysiert.  Die Leiter der Nein-Komitees in der Region, Daniel Blättler für Uri, Nid- und Obwalden und Hella Schnider für Luzern hielten Rückblick auf eine in den letzten Jahrzehnten in der Landwirtschaft noch nie dagewesene Kampagne.

Dank für Engagement

Unzählige Aktivitäten wurden von unzähligen Helferinnen und Helfern umgesetzt. Die Leiter und Präsidenten dankten den Bäuerinnen und Bauern für die Leserbriefe, das Aufstellen von Plakaten, Verteilen von Flyern, für das Schreiben von Postkarten, für die Texte in Medienbeilagen, für die Gespräche bei Standaktionen, für die Strohballensujets und professionellen Videobotschaften der Junglandwirte, für die Teilnahme an Webinaren und Podien und vieles mehr.

Die Fortschritte aufzeigen

Das grosse Engagement habe sich ausgezahlt. In allen Kantonen unserer Region gab es eine überraschend starke Ablehnung der beiden Agrar-Initiativen. Das sei ein grosser Vertrauensbeweis in die Bauernfamilien, werteten die beiden Komitees das Resultat. Sie sei froh, dass die Bevölkerung Augenmass bewahrt habe, zumal beide Initiativen am Ziel vorbeischossen und die einheimische Lebensmittelproduktion massiv gefährdet hätten, meinte Hella Schnider. Trotz zunehmender Förderung der Biodiversität und markantem Rückgang des Pestizid- und Antibiotikaeinsatzes in den letzten Jahren sei Stillstand aber keine Option. Auch Daniel Blättler wies darauf hin, dass ja mit dem neuen Pestizidgesetz bereits weitere Verbesserungen aufgegleist seien. «Die Innerschweizer Landwirtschaft ist gewillt, diesen Prozess voranzutreiben.» Und der Luzerner Nationalrat Leo Müller und Markus Kretz, Präsident des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands, wiesen darauf hin, dass die Landwirtschaft künftig noch viel besser auf ihre Leistungen im Umweltbereich hinweisen müsse. 

 

Mein Standpunkt

Ich hätte ohne eine Sekunde zu zögern und mit Überzeugung zweimal Ja gesagt zu den Agrar-Initiativen vom 13. Juni. 2021 Hätte, denn es kam ganz anders. Seit Februar 2020 arbeite ich in der Abteilung Marketing und Kommunikation für den Bauernverband Aargau. Davor arbeitete ich mein ganzes Berufsleben lang im Journalismus, auch beim Fernsehen. Der Abstimmungskampf war nicht nur eine enorme berufliche Herausforderung für mich, sondern auch eine grossartige Chance, mich fundiert mit der modernen Landwirtschaft auseinanderzusetzen. Und wer das tut, erkannte die Unzulänglichkeiten und Schwächen der beiden Initiativen schnell.

Was mich am meisten störte an den Vorlagen: Sie wollten die Landwirtschaft bestrafen für die ökologischen Folgen des Konsumverhaltens der Bevölkerung. Angesichts des hohen Fleischkonsums in der Schweiz empört festzustellen, die Bauern würden zu viele Tiere halten, ist schlicht absurd. Ebenso absurd ist es, zu glauben, all unser makelloses Obst und Gemüse wachse nur dank frischer Luft und viel Sonne. «Es muss sich einfach etwas ändern in der Landwirtschaft. Das Vergiften des Bodens muss aufhören!», solche Aussagen hörte ich immer wieder. Interessant dabei war: Kaum jemand hinterfragte den eigenen Lebensstil hinsichtlich Nachhaltigkeit und Ökologie.

Wenn ich mit den Landwirtinnen und Landwirten spreche, wird mir klar, wie wenig es eigentlich braucht, um einen spannenden und fundierten Einblick in die Landwirtschaft zu bekommen. Würde der Dialog zwischen der Landwirtschaft und der Bevölkerung besser funktionieren, hätten wir auf einem ganz anderen Niveau über die beiden Agrar-Initiativen diskutiert. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass viele Wählerinnen und Wähler überhaupt nicht bereit waren, ihre Überzeugungen von den Fakten, die wir in der Kampagne kommunizierten, erschüttern zu lassen. Trotzdem erachte ich die Förderung des Dialogs als die herausragende Aufgabe für die Kommunikationsabteilungen der Bauernverbände.

Erstaunt hat mich, wie emotional und gereizt der Abstimmungskampf teils verlief. Dies passte so überhaupt nicht zu dem, was ich bei Sitzungen mit dem SBV erlebte. Wir analysierten und diskutierten jeweils die laufenden Kampagnenmassnahmen. Keine Spur von Überheblichkeit oder Polemisierung eines angeblich so hintertriebenen und mächtigen SBV. Ich lernte hochprofessionelle Landwirtschaftsexpertinnen und -experten kennen, die sich engagiert und leidenschaftlich einsetzen.

Mein Fazit: Eine Abstimmungskampagne aus der Innensicht zu erleben, eröffnete mir völlig neue Perspektiven. Dank unserer direkten Demokratie haben wir ein unmittelbares Mitspracherecht – ein hohes Gut. Gleichzeitig waren die beiden Agrar-Initiativen ein gutes Beispiel dafür, wie komplex die Materie oft ist, über die wir abstimmen. Dies war die grosse Herausforderung bei der Kommunikation im Abstimmungskampf: Wer die Masse erreichen will, muss seine Botschaft kurz und einfach halten. Nur: Die Zusammenhänge in der modernen Landwirtschaft sind eben alles andere als einfach. Und darum sind auch die Lösungen nicht so einfach, wie es die Initiativen darstellten.

Patrick Schellenberg, Bauernverband Aargau