Andrea und Severin Kiener sind zufrieden mit ihren Blühstreifen. Sie passen perfekt zu ihrer Vorstellung von Landwirtschaft. «Produktivität, Ökologie und Nachhaltigkeit wollen wir im Gleichgewicht halten», sagt Severin Kiener. Ackerbau betreiben sie auf ihrem Betrieb in Habstetten BE nach den Grundsätzen der Konservierenden Landwirtschaft. Die Blühstreifen haben Kieners im Rahmen des Projektes «Die Schweiz blüht» des Schweizer Bauernverbandes (SBV) gesät. Severin Kiener zeigt auf einem Feld mit Dinkel einen der farbenprächtigen Streifen. Er zieht sich auf drei Metern Breite direkt durchs Feld. Durch ihn werden zahlreiche Nützlinge gefördert. Bereits jetzt haben sich Andrea und Severin Kiener dazu entschieden, auch nächstes Jahr Blühstreifen anzubauen. Es sollen sogar mehr werden als dieses Jahr, zudem kommen spezifische Nützlingsstreifen zum Einsatz, die den Nützlingen auch im Winter Schutz bieten.
Beim Projekt des Bauernverbandes machen mehr als 400 Bauernfamilien aus der ganzen Schweiz mit. Sie legten mehr als 500 Blühstreifen an. «Ziel des Projekts ist es, die Biodiversität zu fördern und der Bevölkerung zu zeigen, was die Landwirtschaft dazu unternimmt», sagte Diane Gossin vom SBV-Geschäftsbereich Energie und Umwelt einer Medienkonferenz auf dem Betrieb Kiener. Der Erfolg des Projekts übertrifft die Erwartungen des Bauernverbandes. Gerechnet hatten die Verantwortlich mit etwa 300 teilnehmenden Betrieben. Rund die Hälfte hatte zuvor noch keine Blühstreifen angesät. «Wir sind stolz darauf, dass wir so viele motivieren und mobilisieren konnten», so Gossin.
Die Artenvielfalt in der Schweiz sei seit Jahrzehnten rückläufig, betont Mathias Götti Limacher, Präsident von Apisuisse, dem Dachverband der Schweizer Bienenzüchtervereine. Eine Trendumkehr sei noch nicht feststellbar. Die Insektenbestäubung sichere jährlich einen Erntewert von 205 bis 479 Millionen Franken, betonte er. Damit eine optimale Bestäubung stattfindet ist eine Vielfalt der Bestäuber wichtig. «Wildbienen fliegen zum Beispiel bereits bei tiefen Temperaturen. Honigbienen verfügen wegen ihrer grossen Zahl von Arbeiterinnen in einem Volk über eine grosse Schlagkraft», so Götti Limacher. Vor allem in den Sommermonaten gebe es jedoch für Bienen bei der Nahrung Versorgungslücken, erklärt er (siehe Textbox). «Wir sind deshalb erfreut über das Projekt des Bauernverbandes», so Götti Limacher. «Die Blühstreifen blühen in einer optimalen Zeitspanne, um Bienen und anderen Insekten wertvolle Nahrungsressourcen zu bieten.» Apisuisse ruft denn auch dazu auf, die Zusammenarbeit zwischen Imkerei und Landwirtschaft zu intensivieren.
Blühstreifen bieten Nahrung...
...wenn Obstbäume abgeblüht sind.
«Mit dem Abblühen beginnt die Dürre»
Einen reich gedeckten Tisch finden die Insekten jeweils im Frühling vor, wenn Obstbäume und Rapsfelder in Blüte stehen. «Doch mit dem Abblühen beginnt die grosse 'Dürre'», sagt Stefan Lutter, von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL. Diese «Dürre» dauert von Mai bis Ende Juli. «Selbst die extensiven Wiesen werden Mitte Juni zahlreich gemäht», so Lutter. Das Angebot an Polen und Nektar reduziere sich drastisch. Finden Honigbienen zu wenig Nahrung, geraten sie in eine Nahrungsstress. «Die Völker werden geschwächt und anfälliger gegenüber Krankheiten und der Varroamilbe», erklärt Lutter. Dasselbe Problem trifft die Wildbienen.
Die einjährigen Blühstreifen sind entwickelt worden, um dieses «Futterloch» zu stopfen. Sie bestehen aus Pflanzen, die viel Pollen und/oder Nektar produzieren und gestaffelt blühen. «Somit überbrücken sie perfekt die Trachtlücke», sagt Stefan Lutter. Ab Mitte August reduziert sich die Problematik, denn dann setzt die Waldtracht ein und die Bienen finden dort ihre Nahrung.
Nicht nur Bestäuber, sondern auch weitere Nützlinge profitieren von den Blühstreifen. So zum Beispiel Schlupfwespen, Schwebfliegen oder Florfliegen. Für diese gibt es auch spezifische Nützlingsblühstreifen, die in der Zusammensetzung auf sie zugeschnitten sind. Diese gibt es auch als Herbstaussaat, die den Nützlingen Überwinterungsmöglichkeiten bieten.
Martin Rufer will den Fokus auf die Qualität der Biodiversitätsförderflächen legen.
«Die Landwirtschaft ist sich ihrer direkten Wirkung auf die Umwelt bewusst und weiss, dass für ihre Zukunft eine intakte Biodiversität sehr wichtig ist», sagt SBV-Direktor Martin Rufer. Die Schweizer Landwirtschaft nehme ihre Verantwortung bezüglich der Förderung der Biodiversität sehr ernst. Rufer verwies darauf, dass die Biodiversitätsförderflächen aktuell bei 18,8 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen liegen. Damit wird die Vorgabe von 7 Prozent deutlich übertroffen. Die Landwirtschaft wolle sich aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen: «Der Fokus liegt in der Erhöhung der Qualität auf den bestehenden Biodiversitätsförderflächen. Zudem wollen wir die Auswirkungen unserer Produktion auf die Umwelt weiterhin senken», so Rufer.
Auch Private sind gefordert
Im Rahmen des Projektes verteilte der Bauernverband im April an verschiedenen Bahnhöfen Saatguttütchen mit einer Blumenmischung an Passantinnen und Passanten. Dies nach dem Motto, dass alle etwas für die Biodiversität tun können, so Diane Gossin. 50'000 Tütchen konnten verteilt werden. Und auch für SBV-Direktor Martin Rufer ist klar: «Jede und jeder kann die Biodiversität fördern. Sei dies im eigenen Garten oder durch das Einkaufsverhalten.» Zum Thema Biodiversität hat der Bauernverband ein Fokusmagazin publiziert.
Blühstreifen sind so zusammengesetzt, dass immer andere Blumen blühen.