Seit vier Jahren ist der Fungizid-Wirkstoff Chlorothalonil in der Schweiz verboten. Der Grund dafür war, dass 2019 und 2020 Abbauprodukte (Metaboliten) von Chlorothalonil «verbreitet und in hohen Konzentrationen» in Grund- und Trinkwasser festgestellt worden sind, rekapituliert das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in einer aktuellen Weisung. Die Metaboliten gelten als langlebig und das Grundwasser erneuert sich langsam, daher war es nicht verwunderlich, dass die Belastung auch 2022 noch gross war – sie dürfte es voraussichtlich auch bleiben, sofern nicht anderweitige Massnahmen getroffen werden.
Grenzwert sank drastisch
Passende Weisungen zum Umgang mit verunreinigtem Trinkwasser hat das BLV eigentlich schon vor Jahren veröffentlicht, musste sie aber nach Beschwerden vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückziehen: Syngenta ging rechtlich gegen den Entzug der Zulassung für Chlorothalonil und die öffentliche Information der Behörden vor. Aus Sicht des Konzerns war der Entscheid nicht nachvollziehbar und willkürlich, da «plötzlich» alle Metaboliten als möglicherweise gesundheitsgefährdend bezeichnet wurden. Mit dieser Einstufung sank der zulässige Grenzwert im Schweizer Grundwasser um das 100-fache, womit es in diversen Regionen als belastet galt.
Keine Kommunikation mehr
«Eine Senkung von Grenzwerten ist dann sinnvoll, wenn ein Abbauprodukt in der gefundenen Dosis nachweislich schädlich für Mensch oder Umwelt ist», schreibt Syngenta auf seiner Webseite. Das sei bei den Chlorothalonil-Metaboliten nicht der Fall gewesen. Bis zum Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts durfte das BLV vier Metaboliten von Chlorothalonil nicht mehr als relevant bezeichnen und nicht mehr dazu kommunizieren. Das ist nun vorbei, denn Syngenta ist vor Gericht unterlegen.
Mit der Information über den Gerichtsentscheid veröffentlicht das BLV eine neue Weisung und ordnet Massnahmen beim Überschreiten des Höchstwerts von 0,1 µg/l durch einen oder mehrere Metaboliten von Chlorothalonil. Für die betroffenen Wasserversorger bedeutet das, durch das Mischen mit unkontaminiertem Wasser und evtl. die Schliessung einzelner Fassungen die Metabolitenkonzentration zu senken. Langfristig sind Filteranlagen eine Möglichkeit. Die Seeländische Wasserversorgung (SWG) hat den Bau einer solchen bereits beschlossen, denn auf ihrem Gebiet werden gemäss Informationen zur Wasserqualität auch 2024 noch bei einem Abbauprodukt von Chlorothalonil zu hohe Werte gemessen.
«Extrem tief angesetzt»
Der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches (SVGW) hält in seinem Argumentarium zum Thema Chlorothalonil fest, dass die Wasserversorger wohl für die Finanzierung der Massnahmen aufkommen müssten, was zu Gebührenerhöhungen für die Endverbraucher führen könne. Der Grenzwert von 0,1 µg/l sei aber im Sinne der Vorsorge «extrem tief angesetzt», so der SVGW, weshalb belastetes Wasser nach wie vor konsumiert werden könne und Hahenwassertrinken sicher sei.
Suche nach den Schuldigen
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Kommentar von Jil Schuller
Wie im Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zu lesen ist, ging es im Rechtsstreit um Chlorothalonil auch um den guten Ruf von Syngenta als Herstellerfirma. Um ihn nicht zu schädigen, bekam das zuständige Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) vorübergehend einen Maulkorb. Nun herrsche wieder Rechtssicherheit, freut sich das BLV nach dem Urteil. Die Vorgabe für den Höchstwert von Chlorothalonil-Abbauprodukten ist wieder klar und somit auch, dass das Schweizer Grund- und Trinkwasser regional den lebensmittelrechtlichen Vorgaben nicht (mehr) genügt.
Der Schaden ist angerichtet – oder nicht? Für die Landwirtschaft ist das Thema insofern abgehakt, als dass Chlorothalonil seit Jahren verboten ist. Da die fraglichen Metaboliten aber sehr langlebig sind, ist es auch das Problem mit überschrittenen Grenzwerten im Grund- und Trinkwasser. Die Wasserversorger müssen jetzt je nach Ausgangslage investieren. Sie benannten in der Vergangenheit die Landwirtschaft klar als Hauptverursacher der Kontamination. Es steht allerdings ausser Frage, dass Chlorothalonil einst ein zugelassenes Pflanzenschutzmittel war.
Mit der Finanzierungsfrage – beispielsweise von Wasserfilteranlagen – ist absehbar, dass die Schuldfrage wieder aufflammen wird. Könnte ein Gericht sie klären? Trifft die Schuld jene, die den Wirkstoff verkauft, oder jene, die ihn zugelassen oder ausgebracht haben? Oder gibt es jemanden, der dafür verantwortlich ist, dass der Einsatz des Fungizids überhaupt notwendig geworden ist? Darauf wird sich keine Antwort finden lassen. Und es ist müssig, darauf Zeit und Energie zu verwenden. Denn ein Entscheid ist eindeutig: Heute gelangt kein Chlorothalonil mehr auf Schweizer Felder.