Das Naturschutzgebiet Brunnmatte in der Berner Gemeinde Roggwil ist ein Ort, wo sich Hase und Fuchs Gute Nacht sagen. Nur ein paar Meter neben den Schienen der Bahnstrecke Olten-Bern befindet sich ein Naturparadies, wo Biber, Eisvögel und unzählige andere Tiere leben. Ausserdem wächst teilweise direkt im Naturschutzgebiet eine Salatpflanze heran, deren Wurzeln ständig im Wasser stehen.
Einzigartiger Anbau in der Schweiz
Es handelt sich um die Brunnenkresse, eine Pflanze, die auch im Winter wächst. Die Brunnenkresse kommt in der Natur in fliessendem Gewässer vor. Heute wächst sie fast überall auf der Welt, ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet liegt in Europa und Nordafrika. Gezielt kultiviert wird sie vor allem in England. Aber auch im deutschen Erfurt gebe es eine kleine Anlage, sagt Werner Stirnimann, Betriebsleiter der Brunnbachkresse GmbH. «In der Schweiz ist unser Anbau von Brunnenkresse, inmitten von ganz viel Biodiversität, einzigartig», sagt er.
Quellwasser für den vitaminreichen Salat
Auf den ersten Blick fallen die rund 27 beckenartigen Bäche, worin die Brunnenkresse wächst, nicht wirklich auf. Dreissig Meter lang und drei Meter breit, sind sie in den Boden eingelassen und ständig vom Wasser durchflossen. Mit den Wurzeln im Sediment wächst die vitaminreiche Brunnenkresse bis über die Wasseroberfläche, farblich kaum vom umgebenden Rasen unterscheidbar. Wer nicht gut Acht gibt, steht schnell mit einem Bein im kalten Nass. Die rund sechzigjährigen Becken sind etwa knietief und werden mit Bachwasser aus den Quellen des Naturschutzgebiets «Mumenthaler Weiher – Brunnmatte» versorgt. Der Wasserstand muss je nach Lufttemperatur und Zustand der Pflanze angepasst werden. «Ein ausgeklügeltes, aber vollkommen manuelles System hilft uns dabei», sagt Agronom Stirnimann. Zu- und Abfluss des Wassers müssen genau geregelt sein, denn «fliesst das Wasser zu langsam und ist gleichzeitig kalt, könnten die Pflanzen beispielsweise erfrieren».
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Brunnenkresse gedeiht wild, hier in Roggwil-Wynau wird sie in über 60-jährigen Becken angebaut. (Bilder lid/mg)[IMG 4]
Für Gesundheitsbewusste und Feinschmecker
Die Brunnenkresse schmeckt allein oder als Ergänzung im Salat. Werner Stirnimann empfiehlt das Gemüse auch in Wraps, Sandwiches oder aufgestreut auf Suppe oder feine Pizzas direkt aus dem Ofen. «Wer es nicht ganz so bitter-scharf mag, lässt die Kresse mit Dressing ein paar Minuten stehen. Vermutlich macht der Salzgehalt der Sauce auch die Senfölgycoside milder», sagt Stirnimann. Senfölglycoside verleihen (Meer-)Rettich, Senf, Kohl sowie Brunnenkresse den etwas scharfen und bitteren Geschmack. Es gibt Studien, die dem Verzehr dieser sekundären Pflanzenstoffe eine entzündungshemmende und gesundheitsfördernde Wirkung nachsagen. «Ich habe mir bei Flickarbeiten im kalten Wasser diesen Winter mehrere Erkältungen zugezogen», sagt Werner Stirnimann und ergänzt schmunzelnd, «aber wenn ich nicht regelmässig Brunnenkresse konsumiert hätte, wären es wohl noch einige mehr gewesen.»
Wächst immer wieder nach
Ausser im Juli und August, wenn die Pflanze blüht sowie bei starkem Frost, kann die Brunnenkresse ganzjährig geerntet werden. Das geschieht grossmehrheitlich von Hand, auch im Winter. Mit Fischerstiefeln ausgerüstet stehen Stirnimann und seine Mitarbeitenden in den Bächen und schneiden die Kresse mit der Rasenschere ab. Wenn die Brunnenkresse ihren Kopf aus dem Wasser halten kann, gedeiht sie am besten. In der kalten Jahreszeit müssen die Pflanzen jedoch regelmässig unter Wasser gedrückt und manchmal mit Kulturschutznetzen abgedeckt werden, damit sie vor Frost geschützt sind.
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Im Winter decken Werner Stirnimann und sein Team die Brunnenkresse mit einem Netz ab. So frieren die oberen Teile der Pflanze nicht ab.
Die Pflanzen können fünf- bis sechsmal im Jahr geschnitten werden. Erst nach einigen Jahren müssen die beckenartigen Bäche geleert und Sedimentschichten entfernt werden. Zur Vermehrung schneidet das Team hochgewachsene Brunnenkresse in Teile, streut sie auf das wenige verbleibende und geglättete Sediment und leitet nach und nach wieder mehr Wasser ein. Sobald der neu heranwachsende Pflanzenbestand etwa 20 Zentimeter hoch ist, kann erneut Salat geerntet werden.
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Die Mitarbeiter der Brunnbachkresse kontrollieren täglich den Wasserfluss und die -temperatur.
Aufgepasst mit dem Biber
Nicht nur die Ernte, auch das Kultivieren von Brunnenkresse ist arbeitsaufwändig, teils täglich müssen die Wasserpegel angepasst werden. Da im obliegenden Naturschutzgebiet ganze Biberfamilien leben, muss jeden Morgen kontrolliert werden, ob der Biber nicht die Wasserzufuhr gestört hat oder Enten die Pflanzen beschädigen. «Da direkt im Quell- und Bachwasser kultiviert wird, ist der Einsatz von Dünger und Bioziden in unserem Bio-Betrieb komplett tabu», sagt Werner Stirnimann, ein gelernter Gärtner, der neben seinem Agronomie-Diplom auch einen Abschluss in Umweltingenieurwesen gemacht hat.
Das Kulturerbe erhalten
Stirnimann ist froh um seine rund neun Teilzeitmitarbeitenden, die abwechselnd in der Brunnenkressekultur arbeiten. Mitte letztes Jahr sprang er, nachdem sich die GmbH von der damaligen Betriebsleitung getrennt hatte, kurzfristig ein. Es war ein «Sprung direkt ins kalte Kressewasser». Ein halbes Jahr zuvor war die dritte Generation der ehemaligen Eigentümerfamilie Motzet in Pension gegangen und verkaufte zuvor den Betrieb und das gesamte Gebiet an die Stiftung Wasserland Oberaargau und als Miteigentümerin Pro Natura. Die Stiftung gründete im August 2018 die Brunnbachkresse GmbH, welche fortan den Betrieb sicherstellte. «Wir möchten die Brunnenkresse-Produktion auch als Kulturerbe erhalten und ein intensives Zusammenspiel von Landwirtschaft und Biodiversität ermöglichen», sagt Werner Stirnimann.
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Die Ernte ist Handarbeit: die Brunnenkresse wird mit der Rasenschere oder der Sense abgeschnitten.
Seine verschiedenen Interessen und Ausbildungen kombinieren zu können, ist für Werner Stirnimann schon fast ein Traumjob. Er arbeitet Teilzeit für die BrunnBachKresse GmbH, managt hauptberuflich die Projekte seiner Biodiversia GmbH und präsidiert den Verein Slow Food Oberaargau. Trotz viel Herzblut sei sein Start in die Brunnbachkresse GmbH holprig gewesen, erzählt Stirnimann: «Nebst der grossen Hitze machte uns der Meerrettichblattkäfer letzten Sommer das Leben schwer.» Um die Kressekulturen herum hat das Team zwanzig Zentimeter breite Graben ausgehoben, inzwischen teils gefüllt mit Wasser, eine physische Barriere gegen den Blattkäfer. «Damit und mit vielen weiteren Massnahmen haben wir den Käfer einigermassen im Griff», sagt Stirnimann.
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Zur Ernte steigt Werner Stirnimann ins kalte Wasser. Vorsichtig hebt er die Stiefel an, wenn er durch die Becken watet.
Hier wird die Brunnenkresse verkauft
Seit 1993 ist die Brunnenkresse aus traditionellem Schweizer Anbau Bio-zertifiziert. Jährlich liefert die Brunnbachkresse GmbH rund 17 Tonnen direkt an die Gewürzsalzherstellung der Dr. A. Vogel im französischen Colmar. Die restliche Ernte (6-8 Tonnen) wird in der Schweiz über den (Bio-)Grosshandel vertrieben und an Wochenmärkten in der Region Oberaargau abgesetzt. Die Dorfkäserei Melchnau produziert zudem einen Käse mit Brunnenkresse.