Häufig hat man auf dem Traktor hochbeinige Begleitung: Weissstörche staksen direkt hinter der Maschine und suchen im frisch bearbeiteten Erdreich oder im gemähten Gras nach Nahrung. Insekten, Kleinsäuger, Amphibien und Würmer stehen auf ihrem Speiseplan – was sie auf Wiesen, in Feuchtgebieten oder eben im Ackerboden finden.
Zwei Wege nach Afrika
«Gerade jetzt im August kann man grössere Gruppen mit bis zu 60 Störchen oder mehr beobachten», sagt Livio Rey von der Vogelwarte. Sie sammeln sich derzeit für den Flug in ihr Winterquartier im Süden, genauer gesagt in Afrika. Bei der Route dorthin herrscht allerdings keine Einigkeit. «Es gibt quer durch Europa eine Zugscheide», erklärt der Ornithologe. «Störche westlich von dieser Linie ziehen via Gibraltar, östliche Populationen wählen den Weg via Bosporus und Israel.» Wieder andere sparen sich den langen Flug und überwintern in Europa, teilweise auch in der Schweiz. Ihr Gefieder schützt sie auch vor Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und so-lange der Boden nicht zu stark gefroren oder von einer geschlossenen Schneedecke bedeckt ist, finden sie genügend Nahrung.
«Im August gibt es Schwärme mit bis zu 60 Störchen.»
Laut Livio Rey von der Vogelwarte sammeln sich die Vögel jetzt für den Flug nach Süden.
Störche gehören wie Reiher zu den Schreitvögeln, und sie fallen auf. Das liegt nicht nur an ihrer schwarz-weissen Färbung, sondern primär an ihrer Grösse: Sie erreichen Flügelspannweiten bis gut zwei Meter und wiegen – trotz hohler Knochen – immerhin 3,5 kg. Viel zu hören gibt es von Störchen aber nicht. «Sie sind nicht als besonders kommunikativ bekannt, was Rufe angeht», so Livio Rey. Zwar sei es typisch für Nicht-Singvögel, zu denen auch Greifvögel oder Enten gehören, allenfalls ein einfaches Rufrepertoire zu haben und keine komplexen Gesänge verlauten zu lassen. Weissstörche fallen aber lediglich rund um ihr Nest durch lautes Schnabelklappern auf.
Brutplatz macht partnertreu
Besagte Nester richten Weissstörche bevorzugt auf Dächern oder Kaminen ein, weshalb sie als Freibrüter bezeichnet werden. Das hat den Nachteil, dass in Jahren mit nassem Frühling immer wieder Jungvögel erfrieren. Ihrer schieren Grösse wegen können sich Störche nicht so einfach in einen Nistkasten oder eine Baumhöhle zurückziehen. «Der Schwarzstorch brütet allerdings im Wald – möglich wäre das also schon», gibt Livio Rey zu bedenken. Die exponierten Horste von Weissstörchen hätten allerdings den Vorteil, optimal vor Nesträubern zu schützen. Schliesslich brüten die grossen Vögel nur einmal pro Jahr und können Verluste daher schlecht ausgleichen. Zwar gehen Weissstörche eine monogame Saisonehe ein. Ihre Brutplatztreue gehe aber nicht selten mit Partnertreue einher; man trifft sich quasi alle Jahre wieder beim bevorzugten Nest, das dann wiederverwendet und bei Bedarf ausgebaut wird.
Ein Solothurner züchtete Störche
Dass man heute Störche in der Schweiz gefühlt so ziemlich überall und oft in grösseren Gruppen sieht, ist massgeblich dem Solothurner Max Bloesch zu verdanken. Denn 1950 galt der Weissstorch hierzulande als ausgestorben. Gemäss Vogelwarte haben verschiedene Faktoren wie die grossflächige Entwässerung von Feuchtgebieten, der Bau zahlreicher Freileitungen und Dürreperioden in den Winterquartieren dazu beigetragen. Bloesch begann mit der Storchenzucht in Altreu SO, was zu einem grossen Erfolg wurde. Die Ziele des Aktionsplans Weissstorch Schweiz sind 14 Jahre nach seiner Veröffentlichung weit übertroffen und man verzeichnet in der Schweiz fast 900 Brutpaare.
Hingegen seien Freileitungen nach wie vor eine häufige Todesursache für Störche, ergänzt Livio Rey. «Die grossen Vögel berühren entweder gleichzeitig einen ungesicherten Pfosten und ein stromführendes Element oder zwei Leitungen», schildert er. Auch könnten sich Störche in den Leitungen verheddern und so zu Tode kommen. Vor allem ältere Mittelspannungsleitungen sind ein Problem, auch für kleinere Arten ab Krähengrösse. Neben Energietransport wird mit dem Bau von Windkraftwerken auch die Energieproduktion zunehmend ein Thema für den Vogelschutz.
Nahrung von der Müllhalde
Was Nahrungshabitate angeht, sind die Ziele des Aktionsplans Weissstorch laut der Vogelwarte bisher nicht erreicht worden. Er sei zwar eine Schirmart für extensiv bewirtschaftetes Kulturland, die agrarpolitischen Rahmenbedingungen für das Anlegen von extensivem Grünland oder Feuchtwiesen aber nach wie vor schwierig. «Auch in Spanien wäre es für Störche besser, ihre Nahrung in einer vielfältigen Landschaft, statt auf offenen Abfalldeponien, zu finden», bemerkt Livio Rey. Denn solche Müllhalden ziehen seit Jahren Zugvögel an, die dort mitunter den Winter verbringen.
Der stolze Adebar
Es passt nicht zum Bild des noblen Storchs, dass sich der märchenhafte Adebar seine Nahrung zwischen PET-Flaschen und leeren Dosen hervorklaubt. Als Fabelwesen wird der Weissstorch als gelehrt und hochmütig beschrieben. Vielen gilt er aber einfach als Glücks- bzw. Kinderbringer. Dies in ziemlich wörtlichem Sinne, denn der Name Adebar setzt sich aus den germanischen Wörtern für Glück (Auda) und tragen/gebären (bera) zusammen. Zur Herkunft der Rolle als Kinderbringer gibt es verschiedene Ideen, eine davon hat einen landwirtschaftlichen Zusammenhang: Früher hätten die Landwirte die Geburt ihrer Kinder auf die arbeitsarme Zeit im Februar und März geplant. Damit fiel sie mit dem Zeitpunkt zusammen, zu dem die Weissstörche aus dem Süden zurückkehrten – quasi mit dem Nachwuchs im Gepäck.
Der Nachteil des oben ungeschützten Nests: Jungvögel sind dem Wetter ausgesetzt.